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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Mark, kam er, der Sohn eines Bauraths, in seinem neunten Jahre ans die
Kloster- und Gelehrtenschule uach Zerbst, die er bis zur Secunda besuchte.
Dann kehrte er nach Brandenburg a. H. zurück, wo sein Vater domicilirte,
und vollendete dort in anderthalb Jahren privatim seine Schulstudien. Im
Jahre 1862 saßte er den Entschluß, sich der Kunst zu widmen. Er sand bei
seinem Vater ein freudiges Entgegenkommen und ging auf den Rath desselben,
der die Verhältnisse der Berliner Akademie zu genau kannte, um seinem Sohne
den Besuch des langsam dahinsiechendeu Instituts zu empfehlen, nach Weimar.
An der fröhlich aufblühenden Kunstschule wirkte damals A. v. Ramberg, dessen
Unterweisung der junge Kunsteleve jedoch nicht lange genoß, da Ramberg noch
im Jahre 1862 wieder nach München zurückging. An seine Stelle trat Ferdi-
nang Pauwels, ein Schüler von Wappers und ein charaktervoller Vertreter
des belgischen Realismus. Seine blendende Technik, sein glänzendes, kraft- und
saftvolles Colorit verfehlten nicht, auf Gussow, der bis zum Jahre 1867 sein
Schüler blieb, einen tiefen Eindruck zu machen. Aber am Ende stellte sich
zwischen Pauwels und Gussow, wie letzterer selbst sagt, eine "innere Verschieden¬
heit" heraus, die schließlich zu einer Lösung des Schulverhältnisses führte.
Schon damals mochte Gussow zu der Erkenntniß gelangt sein, daß seine Stoff-
und Ideenwelt von der seines Lehrers grundverschieden sei, daß die technischen
Ausdrucksmittel des Antwerpener Meisters wohl die Basis für die seinigen
abgeben könnten, daß sie aber noch nicht das letzte seien, womit man der Natur
in die möglichste Nähe zu rücken im Stande sein würde. Von Weimar begab
sich Gnssow nach München, in der Hoffnung, dort bei Piloty zu lernen, was
ihm noch fehlte. Aber vierzehn Tage genügten ihm, um zu erkennen, daß auch
die Pilotyschule ihm nicht die Waffen liefern konnte, deren er zur Erreichung
seines Zieles bedürfte. Nach einem siebenmonatlichen Aufenthalte in Italien
kehrte er im Sommer 1868 nach Weimar zurück und malte dort eine Anzahl
Bilder, welche im Jahre 1870 in Berlin zur Ausstellung gelangten. Es waren
drei Portraits und drei Genrebilder: "Dame auf der Jagd", "Kriegsnachrichten"
und "Kirchgängerin", welche durch die flotte, energische Behandlung auffielen.
Noch in demselben Jahre trug der Director der Weimarer Kunstschule, Graf
Kcilckreuth, dem siebenundzwanzigjährigen Maler eine Professur an, welche dieser
acceptirte. Er sammelte bald viele Schüler um sich, obwohl er noch selbst in
voller Entwicklung begriffen war. Auf der Berliner Ausstellung von 1872 trat
in einem Genrebilde, welches eine Näherin darstellte, feine Eigenart schon aus¬
geprägter und schärfer hervor. Im Jahre 1874 wurde Gussow als Prosessor
an die Kunstschule in Karlsruhe berufen, wo er während einer anderthalbjährigen
Lehrthätigkeit ebenfalls eine Reihe von Schülern heranbildete, von denen einer,
Paul Borgmann, sich bereits auf mehreren Ausstellungen vortheilhaft bekannt


Mark, kam er, der Sohn eines Bauraths, in seinem neunten Jahre ans die
Kloster- und Gelehrtenschule uach Zerbst, die er bis zur Secunda besuchte.
Dann kehrte er nach Brandenburg a. H. zurück, wo sein Vater domicilirte,
und vollendete dort in anderthalb Jahren privatim seine Schulstudien. Im
Jahre 1862 saßte er den Entschluß, sich der Kunst zu widmen. Er sand bei
seinem Vater ein freudiges Entgegenkommen und ging auf den Rath desselben,
der die Verhältnisse der Berliner Akademie zu genau kannte, um seinem Sohne
den Besuch des langsam dahinsiechendeu Instituts zu empfehlen, nach Weimar.
An der fröhlich aufblühenden Kunstschule wirkte damals A. v. Ramberg, dessen
Unterweisung der junge Kunsteleve jedoch nicht lange genoß, da Ramberg noch
im Jahre 1862 wieder nach München zurückging. An seine Stelle trat Ferdi-
nang Pauwels, ein Schüler von Wappers und ein charaktervoller Vertreter
des belgischen Realismus. Seine blendende Technik, sein glänzendes, kraft- und
saftvolles Colorit verfehlten nicht, auf Gussow, der bis zum Jahre 1867 sein
Schüler blieb, einen tiefen Eindruck zu machen. Aber am Ende stellte sich
zwischen Pauwels und Gussow, wie letzterer selbst sagt, eine „innere Verschieden¬
heit" heraus, die schließlich zu einer Lösung des Schulverhältnisses führte.
Schon damals mochte Gussow zu der Erkenntniß gelangt sein, daß seine Stoff-
und Ideenwelt von der seines Lehrers grundverschieden sei, daß die technischen
Ausdrucksmittel des Antwerpener Meisters wohl die Basis für die seinigen
abgeben könnten, daß sie aber noch nicht das letzte seien, womit man der Natur
in die möglichste Nähe zu rücken im Stande sein würde. Von Weimar begab
sich Gnssow nach München, in der Hoffnung, dort bei Piloty zu lernen, was
ihm noch fehlte. Aber vierzehn Tage genügten ihm, um zu erkennen, daß auch
die Pilotyschule ihm nicht die Waffen liefern konnte, deren er zur Erreichung
seines Zieles bedürfte. Nach einem siebenmonatlichen Aufenthalte in Italien
kehrte er im Sommer 1868 nach Weimar zurück und malte dort eine Anzahl
Bilder, welche im Jahre 1870 in Berlin zur Ausstellung gelangten. Es waren
drei Portraits und drei Genrebilder: „Dame auf der Jagd", „Kriegsnachrichten"
und „Kirchgängerin", welche durch die flotte, energische Behandlung auffielen.
Noch in demselben Jahre trug der Director der Weimarer Kunstschule, Graf
Kcilckreuth, dem siebenundzwanzigjährigen Maler eine Professur an, welche dieser
acceptirte. Er sammelte bald viele Schüler um sich, obwohl er noch selbst in
voller Entwicklung begriffen war. Auf der Berliner Ausstellung von 1872 trat
in einem Genrebilde, welches eine Näherin darstellte, feine Eigenart schon aus¬
geprägter und schärfer hervor. Im Jahre 1874 wurde Gussow als Prosessor
an die Kunstschule in Karlsruhe berufen, wo er während einer anderthalbjährigen
Lehrthätigkeit ebenfalls eine Reihe von Schülern heranbildete, von denen einer,
Paul Borgmann, sich bereits auf mehreren Ausstellungen vortheilhaft bekannt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/39>, abgerufen am 23.07.2024.