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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Interessen, was die Mehrzahl hinführt. Gar oft beehren sich die Herren, die
hier an demselben Tische sitzen und aus derselben Flasche trinken, das ganze
Jahr über mit dem ehrenfestesten Hasse. nominell wird freilich auch den all¬
gemeinen Interessen der Kunst eine ausführlichere Berücksichtigung gewidmet, es
werden Vorträge gehalten, es wird debattirt u. s. w. Aber man muß ein paar
Mal mit erlebt haben, wie erbärmlich schlecht diese Verhandlungen besucht
werden! Und was zur Verhandlung kommt, sind zumeist auch nur Anträge
auf Verbesserung der materiellen Existenz der Musiker, die ästhetischen oder
historischen Vorträge sind extrem parteigefärbt und entbehren meist der eigent¬
lichen wissenschaftlichen Grundlage. Wir müssen daher leider constatiren, daß
dieser große Verein, der eine stattliche Reihe Namen von vorzüglichem Klänge
in seinem Mitgliederverzeichniß aufweist, in keiner Weise das vorstellt, was er
Wohl vorzustellen geeignet wäre, nämlich eine Art Akademie, welche von großen
allgemeinen Gesichtspunkten aus die Vorgänge auf musikalischen Gebiete ver¬
folgte, registrirte und gebührend würdigte, bez., wo es noth thut, Anregungen
gäbe, z. B. für die Bearbeitung vernachlässigter Partien der Kunstwissenschaft
und der Kunstgeschichte durch Aussetzung von Preisen u. s. w. Es wäre das
keineswegs undenkbar, und es würde vielleicht bei einem ernsthaften Versuche
dazu mehr herauskommen als bei der Petition an die Staatsregierungen und
die Reichsregierung, betreffend die Errichtung musikalischer Hochschulen mit
akademischer Organisation. Freilich müßten dann mehr als jetzt die fähigsten
Männer ausgelesen und mit schwierigen Arbeiten betraut werde", wie sie zur
Zeit an den Vorstand nicht herantreten.

Dies nebenbei. Wir wollten diesmal nicht von musikalischen Vereinen,
sondern von Musikzeitungen reden, und da müssen wir gleich wieder von vorn¬
herein ein neues Klagelied anstimmen. So wenig es ein staatliches Institut,
einen Verein oder eine Gesellschaft giebt, welche den allgemeinen Interessen der
Kunst, ihrer lebendigen Fortentwicklung, ihrer Geschichte, ihrer Theorie und
Philosophie eingehende Beachtung schenkte, wie vielmehr allüberall ein beschränkter
Parteistandpunkt ein Häuflein Musiker und Musikinteressenten zusammenhält, so
sind auch unsere Musikzeitungen nichts weiter als Organe von Parteigängern,
wo nicht gar einfache Reclame-Unternehmungen der Verleger. Wenn diese so
kategorisch ausgesprochene Verurtheilung hart erscheint, so werden wir die Moti-
virung unseres Urtheils nicht schuldig bleiben; dabei wollen wir es vermeiden,
Namen zu nennen, indem wir es für das beste Kriterium der Wahrheit unserer
Aufstellungen halten, wenn jedermann ohne Namensnennung sogleich die Zei¬
tung erkennt, die wir meinen.

Zuerst fragt es sich: Was verlangen wir von einer Musikzeitung? was
soll sie leisten? Verlangen wir weiter nichts, als daß sie Nachricht bringe von


Interessen, was die Mehrzahl hinführt. Gar oft beehren sich die Herren, die
hier an demselben Tische sitzen und aus derselben Flasche trinken, das ganze
Jahr über mit dem ehrenfestesten Hasse. nominell wird freilich auch den all¬
gemeinen Interessen der Kunst eine ausführlichere Berücksichtigung gewidmet, es
werden Vorträge gehalten, es wird debattirt u. s. w. Aber man muß ein paar
Mal mit erlebt haben, wie erbärmlich schlecht diese Verhandlungen besucht
werden! Und was zur Verhandlung kommt, sind zumeist auch nur Anträge
auf Verbesserung der materiellen Existenz der Musiker, die ästhetischen oder
historischen Vorträge sind extrem parteigefärbt und entbehren meist der eigent¬
lichen wissenschaftlichen Grundlage. Wir müssen daher leider constatiren, daß
dieser große Verein, der eine stattliche Reihe Namen von vorzüglichem Klänge
in seinem Mitgliederverzeichniß aufweist, in keiner Weise das vorstellt, was er
Wohl vorzustellen geeignet wäre, nämlich eine Art Akademie, welche von großen
allgemeinen Gesichtspunkten aus die Vorgänge auf musikalischen Gebiete ver¬
folgte, registrirte und gebührend würdigte, bez., wo es noth thut, Anregungen
gäbe, z. B. für die Bearbeitung vernachlässigter Partien der Kunstwissenschaft
und der Kunstgeschichte durch Aussetzung von Preisen u. s. w. Es wäre das
keineswegs undenkbar, und es würde vielleicht bei einem ernsthaften Versuche
dazu mehr herauskommen als bei der Petition an die Staatsregierungen und
die Reichsregierung, betreffend die Errichtung musikalischer Hochschulen mit
akademischer Organisation. Freilich müßten dann mehr als jetzt die fähigsten
Männer ausgelesen und mit schwierigen Arbeiten betraut werde», wie sie zur
Zeit an den Vorstand nicht herantreten.

Dies nebenbei. Wir wollten diesmal nicht von musikalischen Vereinen,
sondern von Musikzeitungen reden, und da müssen wir gleich wieder von vorn¬
herein ein neues Klagelied anstimmen. So wenig es ein staatliches Institut,
einen Verein oder eine Gesellschaft giebt, welche den allgemeinen Interessen der
Kunst, ihrer lebendigen Fortentwicklung, ihrer Geschichte, ihrer Theorie und
Philosophie eingehende Beachtung schenkte, wie vielmehr allüberall ein beschränkter
Parteistandpunkt ein Häuflein Musiker und Musikinteressenten zusammenhält, so
sind auch unsere Musikzeitungen nichts weiter als Organe von Parteigängern,
wo nicht gar einfache Reclame-Unternehmungen der Verleger. Wenn diese so
kategorisch ausgesprochene Verurtheilung hart erscheint, so werden wir die Moti-
virung unseres Urtheils nicht schuldig bleiben; dabei wollen wir es vermeiden,
Namen zu nennen, indem wir es für das beste Kriterium der Wahrheit unserer
Aufstellungen halten, wenn jedermann ohne Namensnennung sogleich die Zei¬
tung erkennt, die wir meinen.

Zuerst fragt es sich: Was verlangen wir von einer Musikzeitung? was
soll sie leisten? Verlangen wir weiter nichts, als daß sie Nachricht bringe von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/387>, abgerufen am 03.07.2024.