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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Verdienste zwar in der Münchener Stadtchronik verbrieft sind, deren Bedeutung
aber sonst rein localer Natur ist. Wir dürfen ein Gemälde, dessen Komposition
durch den patriotischen Zweck bestimmt wurde, nicht mit dem höchsten Maßstabe
der Kritik messen. Hundert Rücksichten und ein detaillirtes Programm banden
die Schaffenskraft des Meisters. Piloty mochte diese lästige Beschränkung selbst
unangenehm empfinden. Denn zu gleicher Zeit arbeitete er an einem figuren¬
reichen Gemälde, welches die Fahrt der Girondisten zum Schaffst darstellte und
mit dem Rathhausbilde fertig wurde.

Es war also wiederum ein Moment des Grauens und der Furcht, welcher
seine Phantasie gereizt hatte, ein blutiges Nachtstück, in welches kein Strahl
reinen menschlichen Empfindens hineinbricht. Der Zug der Verurtheilten ist
gerade vor dem Richtplatze angekommen. Im Hintergrunde erhebt sich das
Blutgerüst mit der Guillotine, Leute sind beschäftigt, rohgezimmerte hölzerne
Särge auf dasselbe hinauszuschaffen, und der Henker Samson, mit einer rothen
Schärpe umgürtet, stemmt in Erwartung seiner Opfer die Hände auf die
Brüstung. Zwei zweirädrige Karren mit den Verurtheilten durchschneiden, von
Soldaten begleitet, die Menge. In der Mitte steht Vergniaud, wie ein
Theaterheld das Haupt zum Himmel emporgehoben. Ein Freund drückt seine
Rechte, und an seiner linken Seite sitzt ein Abbe, der den Todgeweihten als
geistlicher Trost mitgegeben ist. Auf dem Hintertheile des Karrens liegt die
Leiche Valaze's, der sich erschossen hat, und der gleichwohl noch guillotinirt
werden soll. Einige Gcunins folgen dem Wagen und stieren auf den Todten.
In den Mienen des Einen flackert wohl noch ein Funke menschlichen Gefühles
auf, und auch auf den Angesichtern der Frauen, die sich von links an den
Karren drängen, zeigt sich hie und da ein Zug menschlicher Theilnahme. Aber
die Mehrzahl dieser verthierten Physiognomien, insbesondere die der Sans¬
culotten, welche das traurige Geführt bewachen, verrathen die Bestie, und dieses
bestialische Element hat die Menschengestalt schon derartig imprägnirt und
unterjocht, daß man nur mit Widerwillen diese Scheusale, diese blödsinnigen
Cretins betrachtet. Aber selbst innerhalb dieser Musterkarte von verkommenen
Subjecten hat Piloty noch eine Steigerung vermocht. Rechts sitzt auf einem
Gerüste eine Schaar jener frechen Hallenweiber, die unter dem Namen der
"Tricoteusen" während der Schreckenszeit ein so furchtbares Renommee erlangt
haben. Unter großen Schirmen sitzen diese Hyänen der Revolution mit ihren
Strickstrümpfen und verfolgen mit gellendem Hohngeschrei den Zug der Ver¬
urtheilten. Leider ist es dem Meister nicht gelungen, für diese in dem Be¬
schauer ein lebhafteres Interesse zu erwecken. Nachdem die deutsche und fran¬
zösische Geschichtsforschung, insbesondere H. v. Sybel und Adolf Schmidt, die
innere Geschichte der Revolutionszeit, die geheimen Motive dieses und jenes


Verdienste zwar in der Münchener Stadtchronik verbrieft sind, deren Bedeutung
aber sonst rein localer Natur ist. Wir dürfen ein Gemälde, dessen Komposition
durch den patriotischen Zweck bestimmt wurde, nicht mit dem höchsten Maßstabe
der Kritik messen. Hundert Rücksichten und ein detaillirtes Programm banden
die Schaffenskraft des Meisters. Piloty mochte diese lästige Beschränkung selbst
unangenehm empfinden. Denn zu gleicher Zeit arbeitete er an einem figuren¬
reichen Gemälde, welches die Fahrt der Girondisten zum Schaffst darstellte und
mit dem Rathhausbilde fertig wurde.

Es war also wiederum ein Moment des Grauens und der Furcht, welcher
seine Phantasie gereizt hatte, ein blutiges Nachtstück, in welches kein Strahl
reinen menschlichen Empfindens hineinbricht. Der Zug der Verurtheilten ist
gerade vor dem Richtplatze angekommen. Im Hintergrunde erhebt sich das
Blutgerüst mit der Guillotine, Leute sind beschäftigt, rohgezimmerte hölzerne
Särge auf dasselbe hinauszuschaffen, und der Henker Samson, mit einer rothen
Schärpe umgürtet, stemmt in Erwartung seiner Opfer die Hände auf die
Brüstung. Zwei zweirädrige Karren mit den Verurtheilten durchschneiden, von
Soldaten begleitet, die Menge. In der Mitte steht Vergniaud, wie ein
Theaterheld das Haupt zum Himmel emporgehoben. Ein Freund drückt seine
Rechte, und an seiner linken Seite sitzt ein Abbe, der den Todgeweihten als
geistlicher Trost mitgegeben ist. Auf dem Hintertheile des Karrens liegt die
Leiche Valaze's, der sich erschossen hat, und der gleichwohl noch guillotinirt
werden soll. Einige Gcunins folgen dem Wagen und stieren auf den Todten.
In den Mienen des Einen flackert wohl noch ein Funke menschlichen Gefühles
auf, und auch auf den Angesichtern der Frauen, die sich von links an den
Karren drängen, zeigt sich hie und da ein Zug menschlicher Theilnahme. Aber
die Mehrzahl dieser verthierten Physiognomien, insbesondere die der Sans¬
culotten, welche das traurige Geführt bewachen, verrathen die Bestie, und dieses
bestialische Element hat die Menschengestalt schon derartig imprägnirt und
unterjocht, daß man nur mit Widerwillen diese Scheusale, diese blödsinnigen
Cretins betrachtet. Aber selbst innerhalb dieser Musterkarte von verkommenen
Subjecten hat Piloty noch eine Steigerung vermocht. Rechts sitzt auf einem
Gerüste eine Schaar jener frechen Hallenweiber, die unter dem Namen der
„Tricoteusen" während der Schreckenszeit ein so furchtbares Renommee erlangt
haben. Unter großen Schirmen sitzen diese Hyänen der Revolution mit ihren
Strickstrümpfen und verfolgen mit gellendem Hohngeschrei den Zug der Ver¬
urtheilten. Leider ist es dem Meister nicht gelungen, für diese in dem Be¬
schauer ein lebhafteres Interesse zu erwecken. Nachdem die deutsche und fran¬
zösische Geschichtsforschung, insbesondere H. v. Sybel und Adolf Schmidt, die
innere Geschichte der Revolutionszeit, die geheimen Motive dieses und jenes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/381>, abgerufen am 23.07.2024.