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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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vorragenden Platz ein. Man fühlt das Bestreben des Künstlers heraus, sich
von der Zufälligkeit der realistischen Compositionsweise wieder zu emancipiren
und in den Umrissen der einzelnen Gruppen wieder jenen Reiz und Schwung
der Linien zu erreichen, in welchem die classisch-romantische Schule excellirte.
Aber sowohl auf diesem Bilde wie auf der bald darauf vollendeten, in der
Komposition jedoch erheblich schwächeren "Botschaft von der Schlacht am weißen
Berge" sprach die Farbe das erste Wort. Das letztere Bild stellte den Moment
dar, wie der geschlagene Feldherr dem Wiuterkönige während eines Hoffestes
die unheilvolle Nachricht bringt. Die Komposition war aber so unklar, daß
der Vorgang ohne historischen Commentar unverständlich blieb, ein Mangel, den
man sonst an Pilotys Bildern nicht findet. Es ist sonst nicht seine Sache,
Räthsel aufzugeben und seine Kompositionen durch geheimnißvolle Beziehungen
zu verdunkeln.

Im Jahre 1869 erhielt Piloty einen Ruf nach Berlin, wo er an die
Spitze der seit dem Tode des alten Schadow, also seit nahezu zwanzig Jahren,
verwaisten Akademie treten sollte. Der König von Baiern legte jedoch großen
Werth darauf, daß Piloty, der schon 1860 durch Erhebung in den Adelstand
ein Zeichen königlicher Gunst erhalten hatte, seine Thätigkeit auch fernerhin der
Münchener Akademie widmete. Seine materiellen Verhältnisse wurden nicht
nur verbessert, man ging auch auf eine andere, von ihm für den Fall seines
Bleibens gestellte Bedingung ein. Er hatte einen großen Carton entworfen,
welcher den Triumphzug des Germanicus darstellte, und diesen Carton wünschte
er auf Staatskosten in Oel auszuführen. Das Riesengemälde, welches später
in die Neue Pinakothek gekommen ist, wurde im Jahre 1873 vollendet und ging
zunächst zur Weltausstellung nach Wien, wo es wenigstens den einen Zweck
erfüllte, Sensation zu erregen.

In erster Linie freilich durch seine ungewöhnliche Größe und durch das
glitzernde Farbenspiel, auf welches Pilotys Schüler, Hans Makart, nicht ohne
Einfluß gewesen ist. Und zwar war dieser Einfluß unzweifelhaft ein schädlicher.
Sicherheit der Zeichnung und Kraft in der Mvdellirung konnte man bisher
selbst dem verfehltesten Gemälde Pilotys noch nachrühmen. Hier fiel den auf¬
merksam Prüfenden zunächst eine auffallende Flüchtigkeit der Zeichnung, die
unter der Farbe die Form fast verschwinden ließ, unangenehm ins Auge.
Gerade die Hauptfigur, die an dem erhöhten Sitze des finsterblickenden Tiberius
vorüberschreitende Thnsnelda, litt uuter diesen Mängeln am meisten. Es war
schwer, unter dem Schwall der Gewänder ein festes Knochengerüst und sichere
Körperumrisse zu verfolgen. Unter der Wucht der Draperien ging das
Körperliche völlig verloren. Und auf dieser zweifelhaften Gewandpuppe saß
ein Kopf, dessen Haartracht nicht weit von den luxuriösen Frisuren der zu-


vorragenden Platz ein. Man fühlt das Bestreben des Künstlers heraus, sich
von der Zufälligkeit der realistischen Compositionsweise wieder zu emancipiren
und in den Umrissen der einzelnen Gruppen wieder jenen Reiz und Schwung
der Linien zu erreichen, in welchem die classisch-romantische Schule excellirte.
Aber sowohl auf diesem Bilde wie auf der bald darauf vollendeten, in der
Komposition jedoch erheblich schwächeren „Botschaft von der Schlacht am weißen
Berge" sprach die Farbe das erste Wort. Das letztere Bild stellte den Moment
dar, wie der geschlagene Feldherr dem Wiuterkönige während eines Hoffestes
die unheilvolle Nachricht bringt. Die Komposition war aber so unklar, daß
der Vorgang ohne historischen Commentar unverständlich blieb, ein Mangel, den
man sonst an Pilotys Bildern nicht findet. Es ist sonst nicht seine Sache,
Räthsel aufzugeben und seine Kompositionen durch geheimnißvolle Beziehungen
zu verdunkeln.

Im Jahre 1869 erhielt Piloty einen Ruf nach Berlin, wo er an die
Spitze der seit dem Tode des alten Schadow, also seit nahezu zwanzig Jahren,
verwaisten Akademie treten sollte. Der König von Baiern legte jedoch großen
Werth darauf, daß Piloty, der schon 1860 durch Erhebung in den Adelstand
ein Zeichen königlicher Gunst erhalten hatte, seine Thätigkeit auch fernerhin der
Münchener Akademie widmete. Seine materiellen Verhältnisse wurden nicht
nur verbessert, man ging auch auf eine andere, von ihm für den Fall seines
Bleibens gestellte Bedingung ein. Er hatte einen großen Carton entworfen,
welcher den Triumphzug des Germanicus darstellte, und diesen Carton wünschte
er auf Staatskosten in Oel auszuführen. Das Riesengemälde, welches später
in die Neue Pinakothek gekommen ist, wurde im Jahre 1873 vollendet und ging
zunächst zur Weltausstellung nach Wien, wo es wenigstens den einen Zweck
erfüllte, Sensation zu erregen.

In erster Linie freilich durch seine ungewöhnliche Größe und durch das
glitzernde Farbenspiel, auf welches Pilotys Schüler, Hans Makart, nicht ohne
Einfluß gewesen ist. Und zwar war dieser Einfluß unzweifelhaft ein schädlicher.
Sicherheit der Zeichnung und Kraft in der Mvdellirung konnte man bisher
selbst dem verfehltesten Gemälde Pilotys noch nachrühmen. Hier fiel den auf¬
merksam Prüfenden zunächst eine auffallende Flüchtigkeit der Zeichnung, die
unter der Farbe die Form fast verschwinden ließ, unangenehm ins Auge.
Gerade die Hauptfigur, die an dem erhöhten Sitze des finsterblickenden Tiberius
vorüberschreitende Thnsnelda, litt uuter diesen Mängeln am meisten. Es war
schwer, unter dem Schwall der Gewänder ein festes Knochengerüst und sichere
Körperumrisse zu verfolgen. Unter der Wucht der Draperien ging das
Körperliche völlig verloren. Und auf dieser zweifelhaften Gewandpuppe saß
ein Kopf, dessen Haartracht nicht weit von den luxuriösen Frisuren der zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/378>, abgerufen am 25.08.2024.