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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Die Hauptströmungen in der bildenden Kunst der
Gegenwart.
Der Realismus. Rarl piloty und seine Schule.

Mit dem großen Nerobilde schließt in dem künstlerischen Entwicklungsgange
Pilotys die erste Periode ab, deren coloristische Seite unter der Herrschaft von
Rubens, van Dyck und Velasquez, besonders unter der des letzteren stand. In
dem Maße, wie er sich von den alten Meistern ab- und falschen Propheten
zuwandte, nahmen seine Arbeiten zwar an blendender Wirkung zu, verloren
aber immer mehr an Einfachheit und Würde, so daß man leider sagen muß,
die Pilotysche Art ist völlig in eine gleichgiltige Maskerade, in ein unerfreu¬
liches, aufregendes Spiel mit crasser Theatercoups aufgegangen.

Dieser Umschwung ist unzweifelhaft dem Einflüsse der modernen französi¬
schen Historienmalerei zuzuschreiben, welche die hohle Prahlerei, die geschmacklose
Prunksucht des zweiten Kaiserreichs mit photographischer Treue reflectirte. Nach
seinen glänzenden Debüts ist es immerhin bedauerlich, daß sich Piloty in diese
verderblichen Bahnen ziehen ließ, die ihn bei jedem Schritte weiter abwärts
führten. Einige Male flammte zwar sein alter Stern noch auf; aber im Ganzen
ist der Weg, auf dem wir ihn nun zu begleiten haben, ein öder und dornenvoller.

Auf das Nerobild folgte wiederum ein Gemälde aus der Geschichte Wallen-
steins, welches feinen verhängnißvollen Zug nach Eger darstellte. In einer
Sänfte sitzt der kranke Feldherr, von feinen beiden Dämonen, von Sem und
Butter, unigeben, und blickt voll trüber Ahnungen in ein offenes Grab, welches
eben von zwei Todtengrübern vox den Thoren der Stadt aufgeworfen wird,
denen sich der Zug bereits genähert hat. Es war ein beklagenswerther Zufall,
der gerade dieses coloristisch durchaus verfehlte Bild, welches sich in Dresden
in Privatbesitz befindet, 1878 nach Paris führte. Dem Meister wurde dadurch
ein sehr schlechter Dienst erwiesen. Ein französischer Kritiker, welcher an diesem
Bilde bloß Charakter und Originalität vermißte und die Farben für stark ver¬
blichen hielt, ist noch mit großer Courtoisie verfahren. Die Färbung war
immer flau und ohne Energie und die Köpfe charakterlos und ohne Leben.
Von jetzt ab ist überhaupt häufig auf den Bildern Pilotys die Ungleichheit der
Ausführung zu beklagen. Schlägt er einmal wirklich einen tiefen und vollen
Accord an, so findet man sicherlich gleich daneben eine Stelle von unbegreif¬
licher Schwäche, welche den eben gewonnenen Eindruck schädigt.

In dasselbe Jahr (1861) fällt noch eine einfachere Composition, "Galilei


Die Hauptströmungen in der bildenden Kunst der
Gegenwart.
Der Realismus. Rarl piloty und seine Schule.

Mit dem großen Nerobilde schließt in dem künstlerischen Entwicklungsgange
Pilotys die erste Periode ab, deren coloristische Seite unter der Herrschaft von
Rubens, van Dyck und Velasquez, besonders unter der des letzteren stand. In
dem Maße, wie er sich von den alten Meistern ab- und falschen Propheten
zuwandte, nahmen seine Arbeiten zwar an blendender Wirkung zu, verloren
aber immer mehr an Einfachheit und Würde, so daß man leider sagen muß,
die Pilotysche Art ist völlig in eine gleichgiltige Maskerade, in ein unerfreu¬
liches, aufregendes Spiel mit crasser Theatercoups aufgegangen.

Dieser Umschwung ist unzweifelhaft dem Einflüsse der modernen französi¬
schen Historienmalerei zuzuschreiben, welche die hohle Prahlerei, die geschmacklose
Prunksucht des zweiten Kaiserreichs mit photographischer Treue reflectirte. Nach
seinen glänzenden Debüts ist es immerhin bedauerlich, daß sich Piloty in diese
verderblichen Bahnen ziehen ließ, die ihn bei jedem Schritte weiter abwärts
führten. Einige Male flammte zwar sein alter Stern noch auf; aber im Ganzen
ist der Weg, auf dem wir ihn nun zu begleiten haben, ein öder und dornenvoller.

Auf das Nerobild folgte wiederum ein Gemälde aus der Geschichte Wallen-
steins, welches feinen verhängnißvollen Zug nach Eger darstellte. In einer
Sänfte sitzt der kranke Feldherr, von feinen beiden Dämonen, von Sem und
Butter, unigeben, und blickt voll trüber Ahnungen in ein offenes Grab, welches
eben von zwei Todtengrübern vox den Thoren der Stadt aufgeworfen wird,
denen sich der Zug bereits genähert hat. Es war ein beklagenswerther Zufall,
der gerade dieses coloristisch durchaus verfehlte Bild, welches sich in Dresden
in Privatbesitz befindet, 1878 nach Paris führte. Dem Meister wurde dadurch
ein sehr schlechter Dienst erwiesen. Ein französischer Kritiker, welcher an diesem
Bilde bloß Charakter und Originalität vermißte und die Farben für stark ver¬
blichen hielt, ist noch mit großer Courtoisie verfahren. Die Färbung war
immer flau und ohne Energie und die Köpfe charakterlos und ohne Leben.
Von jetzt ab ist überhaupt häufig auf den Bildern Pilotys die Ungleichheit der
Ausführung zu beklagen. Schlägt er einmal wirklich einen tiefen und vollen
Accord an, so findet man sicherlich gleich daneben eine Stelle von unbegreif¬
licher Schwäche, welche den eben gewonnenen Eindruck schädigt.

In dasselbe Jahr (1861) fällt noch eine einfachere Composition, „Galilei


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[0375] Die Hauptströmungen in der bildenden Kunst der Gegenwart. Der Realismus. Rarl piloty und seine Schule. Mit dem großen Nerobilde schließt in dem künstlerischen Entwicklungsgange Pilotys die erste Periode ab, deren coloristische Seite unter der Herrschaft von Rubens, van Dyck und Velasquez, besonders unter der des letzteren stand. In dem Maße, wie er sich von den alten Meistern ab- und falschen Propheten zuwandte, nahmen seine Arbeiten zwar an blendender Wirkung zu, verloren aber immer mehr an Einfachheit und Würde, so daß man leider sagen muß, die Pilotysche Art ist völlig in eine gleichgiltige Maskerade, in ein unerfreu¬ liches, aufregendes Spiel mit crasser Theatercoups aufgegangen. Dieser Umschwung ist unzweifelhaft dem Einflüsse der modernen französi¬ schen Historienmalerei zuzuschreiben, welche die hohle Prahlerei, die geschmacklose Prunksucht des zweiten Kaiserreichs mit photographischer Treue reflectirte. Nach seinen glänzenden Debüts ist es immerhin bedauerlich, daß sich Piloty in diese verderblichen Bahnen ziehen ließ, die ihn bei jedem Schritte weiter abwärts führten. Einige Male flammte zwar sein alter Stern noch auf; aber im Ganzen ist der Weg, auf dem wir ihn nun zu begleiten haben, ein öder und dornenvoller. Auf das Nerobild folgte wiederum ein Gemälde aus der Geschichte Wallen- steins, welches feinen verhängnißvollen Zug nach Eger darstellte. In einer Sänfte sitzt der kranke Feldherr, von feinen beiden Dämonen, von Sem und Butter, unigeben, und blickt voll trüber Ahnungen in ein offenes Grab, welches eben von zwei Todtengrübern vox den Thoren der Stadt aufgeworfen wird, denen sich der Zug bereits genähert hat. Es war ein beklagenswerther Zufall, der gerade dieses coloristisch durchaus verfehlte Bild, welches sich in Dresden in Privatbesitz befindet, 1878 nach Paris führte. Dem Meister wurde dadurch ein sehr schlechter Dienst erwiesen. Ein französischer Kritiker, welcher an diesem Bilde bloß Charakter und Originalität vermißte und die Farben für stark ver¬ blichen hielt, ist noch mit großer Courtoisie verfahren. Die Färbung war immer flau und ohne Energie und die Köpfe charakterlos und ohne Leben. Von jetzt ab ist überhaupt häufig auf den Bildern Pilotys die Ungleichheit der Ausführung zu beklagen. Schlägt er einmal wirklich einen tiefen und vollen Accord an, so findet man sicherlich gleich daneben eine Stelle von unbegreif¬ licher Schwäche, welche den eben gewonnenen Eindruck schädigt. In dasselbe Jahr (1861) fällt noch eine einfachere Composition, „Galilei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/375>, abgerufen am 22.07.2024.