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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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haue etwas von den Stämmen ab; denn er weiß zwar die Zahl" (der Bäume,
aber nicht, wie lang oder dick sie sind).

Im Tractat Bava Kaama liest man ferner: "Wenn der Ochse eines
Jsraeliten den Ochsen eines Goi stößt, so ist der Jsraelit frei. Wenn aber der
Ochse eines Goi den Ochsen eines Jsraeliten stößt, so muß jener diesem den
ganzen Schaden vergüten, gleichviel, ob der Ochse stößig oder nicht stößig ist."
Wozu der Rabbi Salomo Jarchi bemerkt, daß das Eigenthum eines Goi als
"bester", d. h. frei, vogelfrei, angesehen werde. Im Tractat Bava Mezia heißt
es in Bezug auf die Stelle Denker. 24,14, wo gesagt ist: "Du sollst den
Tagelöhner unter deinen Brüdern, der arm ist, nicht drücken" -- "die Andern
werden ausgenommen", und Jarchi bemerkt dazu, daß unter den "Andern" die
Völker der Welt, die Nichtjuden, zu verstehen sind. Im Tractat Sanhedrin
finden wir den Ausspruch: "Einem Jsraeliten ist es gestattet, einen? Goi Unrecht
zu thun, weil geschrieben steht: Du sollst deinem Nächsten nicht Unrecht thun,
und des Goi dabei nicht gedacht wird."

Wucherzins von Stamm- und Glaubensgenossen zu nehmen ist den Juden
an mehreren Orten des Talmud untersagt. Im Tractat Makkoth erstreckt sich
dieses Verbot auch auf die Gojim. Andere Stellen aber und nicht wenige
gestatten sowohl gegen Fremde wie gegen Jsraeliten wucherisches Verfahren, ja
zuweilen wird es Fremden gegenüber geradezu geboten. Nach dem Tractat
Bava Mezia dürfen selbst Rabbinen von einander hohe Zinsen, z. B. 20 Pfund
Pfeffer auf dargeliehene 100 Pfund nehmen, nur müssen sie es -- als ein Geschenk
der Dankbarkeit ansehen. Im Tractat Apoda Sara aber wird von den Gojim
bemerkt: "Es ist verboten, ihnen schlechthin zu leihen, aber auf Wucher ist es
gestattet." Einige Rabbinen verstehen den Text von Denker. 23, 20 als bloße
Erlaubniß, andere als Befehl, sich von Fremden unbillige Zinsen entrichten zu
lassen. Zu den letzteren gehört der hochangesehene Mosche Bar Majmon,
welcher sagt: "Das 198. Gebot ist, daß uns Gott befohlen hat, von einem
Goi Wucherzins zu verlangen, und daß wir ihm erst dann leihen (wenn er
solchen verspricht), sodaß wir ihm keinen Nutzen schaffen und keine Hilfe leisten,
sondern ihm Schaden zufügen." Ganz ähnliche Ansichten spricht der Rabbi
Levi Ben Gerschom aus, und es wird von vornherein zu vermuthen sein, daß
die Stammgenossen dieser jüdischen Rechtsphilosophen sich lieber nach deren
Meinung als nach derjenigen, die den Wucher nur erlaubte, oder gar nach der,
die ihn verbot, gerichtet haben werden.

Nach dem Angeführten ist Lessings Liebhaberei für die Juden nicht recht
begreiflich. Wohl aber würden gewisse Aeußerungen deutscher Philosophen
zutreffend erscheinen, wenn die Geschichte zeigte, daß die Anhänger des Talmud
zu allen Zeiten ihre Handlungsweise nach dessen Vorschriften oder nach dem


haue etwas von den Stämmen ab; denn er weiß zwar die Zahl" (der Bäume,
aber nicht, wie lang oder dick sie sind).

Im Tractat Bava Kaama liest man ferner: „Wenn der Ochse eines
Jsraeliten den Ochsen eines Goi stößt, so ist der Jsraelit frei. Wenn aber der
Ochse eines Goi den Ochsen eines Jsraeliten stößt, so muß jener diesem den
ganzen Schaden vergüten, gleichviel, ob der Ochse stößig oder nicht stößig ist."
Wozu der Rabbi Salomo Jarchi bemerkt, daß das Eigenthum eines Goi als
„bester", d. h. frei, vogelfrei, angesehen werde. Im Tractat Bava Mezia heißt
es in Bezug auf die Stelle Denker. 24,14, wo gesagt ist: „Du sollst den
Tagelöhner unter deinen Brüdern, der arm ist, nicht drücken" — „die Andern
werden ausgenommen", und Jarchi bemerkt dazu, daß unter den „Andern" die
Völker der Welt, die Nichtjuden, zu verstehen sind. Im Tractat Sanhedrin
finden wir den Ausspruch: „Einem Jsraeliten ist es gestattet, einen? Goi Unrecht
zu thun, weil geschrieben steht: Du sollst deinem Nächsten nicht Unrecht thun,
und des Goi dabei nicht gedacht wird."

Wucherzins von Stamm- und Glaubensgenossen zu nehmen ist den Juden
an mehreren Orten des Talmud untersagt. Im Tractat Makkoth erstreckt sich
dieses Verbot auch auf die Gojim. Andere Stellen aber und nicht wenige
gestatten sowohl gegen Fremde wie gegen Jsraeliten wucherisches Verfahren, ja
zuweilen wird es Fremden gegenüber geradezu geboten. Nach dem Tractat
Bava Mezia dürfen selbst Rabbinen von einander hohe Zinsen, z. B. 20 Pfund
Pfeffer auf dargeliehene 100 Pfund nehmen, nur müssen sie es — als ein Geschenk
der Dankbarkeit ansehen. Im Tractat Apoda Sara aber wird von den Gojim
bemerkt: „Es ist verboten, ihnen schlechthin zu leihen, aber auf Wucher ist es
gestattet." Einige Rabbinen verstehen den Text von Denker. 23, 20 als bloße
Erlaubniß, andere als Befehl, sich von Fremden unbillige Zinsen entrichten zu
lassen. Zu den letzteren gehört der hochangesehene Mosche Bar Majmon,
welcher sagt: „Das 198. Gebot ist, daß uns Gott befohlen hat, von einem
Goi Wucherzins zu verlangen, und daß wir ihm erst dann leihen (wenn er
solchen verspricht), sodaß wir ihm keinen Nutzen schaffen und keine Hilfe leisten,
sondern ihm Schaden zufügen." Ganz ähnliche Ansichten spricht der Rabbi
Levi Ben Gerschom aus, und es wird von vornherein zu vermuthen sein, daß
die Stammgenossen dieser jüdischen Rechtsphilosophen sich lieber nach deren
Meinung als nach derjenigen, die den Wucher nur erlaubte, oder gar nach der,
die ihn verbot, gerichtet haben werden.

Nach dem Angeführten ist Lessings Liebhaberei für die Juden nicht recht
begreiflich. Wohl aber würden gewisse Aeußerungen deutscher Philosophen
zutreffend erscheinen, wenn die Geschichte zeigte, daß die Anhänger des Talmud
zu allen Zeiten ihre Handlungsweise nach dessen Vorschriften oder nach dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/372>, abgerufen am 23.07.2024.