Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.oft zum schwermüthigen, Melancholischen steigert. Nicht einmal neben Menzel, Schon Julius Meyer, der Courbet noch unter die Klasse der Realisten oft zum schwermüthigen, Melancholischen steigert. Nicht einmal neben Menzel, Schon Julius Meyer, der Courbet noch unter die Klasse der Realisten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/145966"/> <p xml:id="ID_85" prev="#ID_84"> oft zum schwermüthigen, Melancholischen steigert. Nicht einmal neben Menzel,<lb/> einem Realisten von noch schrofferer Richtung, kann Courbet eine durch gewisse<lb/> Berührungspunkte gerechtfertigte Stellung finden. Denn auch Menzel benutzt<lb/> das Licht, um poetische, blendende, ungewöhnliche Effecte zu erzielen, während<lb/> Cvurbet den Reizen des Helldunkels aus dem Wege geht und die Virtuosität<lb/> seines technischen Könnens nur in der Gleichmäßigkeit und Wahrheit der Be¬<lb/> leuchtung documentirt. Das künstlerische Element des Realismus liegt also nicht<lb/> bloß in der feineren technischen Behandlung, sondern auch in der Auffassung.<lb/> Um also eine zutreffende Bezeichnung für eine Kunstrichtung zu finden, die sich<lb/> jeder eigenen, jeder individuellen Auffassungs- und Anschauungsweise entschlage,<lb/> welche die Dinge der Außenwelt so sieht, wie sie Hinz und Kunz sieht, bedarf<lb/> es eines Präeiseren Ausdrucks, als ihn der mit dem Worte „Realismus" verbundene,<lb/> ziemlich dehnbare und unbestimmte Begriff uns bietet. Dagegen umfaßt das<lb/> Wort „Naturalismus" zugleich die guten und die schlechten Seiten dieser Richtung:<lb/> die schlechten, indem es einerseits den sclavischen Anschluß an die Natur betont,<lb/> die guten, indem es andrerseits eine schöpferische Kraft kennzeichnet, welche Ge¬<lb/> bilde von gleicher Lebensfülle und -Wahrheit wie die Natur zu Stande bringt.</p><lb/> <p xml:id="ID_86" next="#ID_87"> Schon Julius Meyer, der Courbet noch unter die Klasse der Realisten<lb/> rubrieirte, bemerkte treffend, es liege im Wesen des Realismus, daß er keine<lb/> Schule bildet. Dasselbe gilt natürlich in noch höherem Grade von dem Natu¬<lb/> ralismus, wie wir ihn eben definirt haben. Jeder Künstler, der sich zum Natu¬<lb/> ralismus bekennt, steht der Natur so objectiv gegenüber wie der Photograph.<lb/> Es liegt demnach viel Wahrheit in der Behauptung, der Naturalismus würde<lb/> seine Endschaft mit der Erfindung der Farbenphotographie erreichen, d. h. wenn<lb/> die Photographie soweit gediehen ist, daß sie die Farben der Natur ohne den<lb/> geringsten Abzug wiederzugeben im Stande ist. Die Begründung einer Schule<lb/> ist aber wesentlich bedingt durch eine gemeinsame künstlerische Auffassungsweise<lb/> ihrer einzelnen Glieder, die von ihrem Haupte ausgegangen ist. Der Naturalist<lb/> giebt sich als den entschiedensten Gegner aller Tradition; das zeigt sich auch<lb/> darin, daß er niemals die Vergangenheit, sondern stets die ihn unmittelbar<lb/> unigebende Gegenwart zum Objecte seiner Kunst macht. Conrbet suchte sich aus<lb/> reinem demokratischen Oppvsitionsgefühl die allertrivialsten Stoffe aus, er malte<lb/> die häßlichsten Frauen und die verkommensten Männer, anfangs aus Freude<lb/> dem Charakteristischen in allen seinen Nuaneirungen bis zur Negation jeglicher<lb/> Form, dann, um die Gesellschaft seiner Zeit zu brüskireu und zu chikciniren.<lb/> ^as anfangs bei ihm künstlerische Ueberzeugung war, wurde schließlich Eigen¬<lb/> sinn und Marotte. Es ist eine natürliche pathologische Consequenz, daß Leute,<lb/> sich uach allen Richtungen hin zum Extremen wenden, am Ende dem Größen¬<lb/> wahn anheimfallen. Wie Antoine Wiertz, dem Idealisten, erging es auch Courbet,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0037]
oft zum schwermüthigen, Melancholischen steigert. Nicht einmal neben Menzel,
einem Realisten von noch schrofferer Richtung, kann Courbet eine durch gewisse
Berührungspunkte gerechtfertigte Stellung finden. Denn auch Menzel benutzt
das Licht, um poetische, blendende, ungewöhnliche Effecte zu erzielen, während
Cvurbet den Reizen des Helldunkels aus dem Wege geht und die Virtuosität
seines technischen Könnens nur in der Gleichmäßigkeit und Wahrheit der Be¬
leuchtung documentirt. Das künstlerische Element des Realismus liegt also nicht
bloß in der feineren technischen Behandlung, sondern auch in der Auffassung.
Um also eine zutreffende Bezeichnung für eine Kunstrichtung zu finden, die sich
jeder eigenen, jeder individuellen Auffassungs- und Anschauungsweise entschlage,
welche die Dinge der Außenwelt so sieht, wie sie Hinz und Kunz sieht, bedarf
es eines Präeiseren Ausdrucks, als ihn der mit dem Worte „Realismus" verbundene,
ziemlich dehnbare und unbestimmte Begriff uns bietet. Dagegen umfaßt das
Wort „Naturalismus" zugleich die guten und die schlechten Seiten dieser Richtung:
die schlechten, indem es einerseits den sclavischen Anschluß an die Natur betont,
die guten, indem es andrerseits eine schöpferische Kraft kennzeichnet, welche Ge¬
bilde von gleicher Lebensfülle und -Wahrheit wie die Natur zu Stande bringt.
Schon Julius Meyer, der Courbet noch unter die Klasse der Realisten
rubrieirte, bemerkte treffend, es liege im Wesen des Realismus, daß er keine
Schule bildet. Dasselbe gilt natürlich in noch höherem Grade von dem Natu¬
ralismus, wie wir ihn eben definirt haben. Jeder Künstler, der sich zum Natu¬
ralismus bekennt, steht der Natur so objectiv gegenüber wie der Photograph.
Es liegt demnach viel Wahrheit in der Behauptung, der Naturalismus würde
seine Endschaft mit der Erfindung der Farbenphotographie erreichen, d. h. wenn
die Photographie soweit gediehen ist, daß sie die Farben der Natur ohne den
geringsten Abzug wiederzugeben im Stande ist. Die Begründung einer Schule
ist aber wesentlich bedingt durch eine gemeinsame künstlerische Auffassungsweise
ihrer einzelnen Glieder, die von ihrem Haupte ausgegangen ist. Der Naturalist
giebt sich als den entschiedensten Gegner aller Tradition; das zeigt sich auch
darin, daß er niemals die Vergangenheit, sondern stets die ihn unmittelbar
unigebende Gegenwart zum Objecte seiner Kunst macht. Conrbet suchte sich aus
reinem demokratischen Oppvsitionsgefühl die allertrivialsten Stoffe aus, er malte
die häßlichsten Frauen und die verkommensten Männer, anfangs aus Freude
dem Charakteristischen in allen seinen Nuaneirungen bis zur Negation jeglicher
Form, dann, um die Gesellschaft seiner Zeit zu brüskireu und zu chikciniren.
^as anfangs bei ihm künstlerische Ueberzeugung war, wurde schließlich Eigen¬
sinn und Marotte. Es ist eine natürliche pathologische Consequenz, daß Leute,
sich uach allen Richtungen hin zum Extremen wenden, am Ende dem Größen¬
wahn anheimfallen. Wie Antoine Wiertz, dem Idealisten, erging es auch Courbet,
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