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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Schmerzen wohnen, "zwei Thränen in das große Meer fallen, deren Stimme
von einem Ende der Erde bis zum andern vernommen wird, und dieses ist das
Erdbeben". Im Tractat Sanhedrin wird bemerkt, daß Gott einen Eid, den er
geschworen, nicht gehalten, und daß er dem Scmherib mit einer Scheere den
Bart und die Kopfhaare abgeschnitten habe, um ihn lächerlich zu machen, und
im Tractat Berachoth finden wir, daß er ein Haus hat, in welchem er betet,
und daß er dazu die jüdischen Gebetsriemen und den Betmantel anlegt.

Der Rabbi Mosche Ben Majmon sagt zwar, daß solche Dinge nicht buch¬
stäblich zu nehmen seien, giebt aber sogleich zu, daß diejenige Secte der Juden,
welcher die meisten zugethan seien, sie in dieser Weise auffaßte, und das ist
noch gegenwärtig der Fall.

Im Tractat Sanhedrin heißt es über die Schöpfung des ersten Menschen,
sein Leib sei aus Babel, sein Haupt aus dem Lande Israels, und seine Glieder
seien aus den übrigen Ländern genommen worden. Dem Tractat Berachoth
zufolge wurde er mit zwei Gesichtern erschaffen, von denen eins nach vorn, das
andere nach hinten blickte. Nach dem Tractat Eruvin war er überhaupt ein
Doppelmeusch, der (wie die Urmenschen des Aristophanes im Symposion) von
Gott später in einen Mann und eine Frau zerschnitten wurde. Der Rabbi
Elieser lehrte, wie der Tractat Chagiga berichtet, daß Adam eine Länge gehabt,
die von der Erde bis zum Firmament des Himmels gereicht, und daß Gott ihn
erst nach dem Sündenfall durch Handauflegung klein gemacht habe, und der
Rabbi Jehuda bestätigte das.

Wir übergehen, was der Talmud vom Riesen Og und andern colossalen
Menschenwnndern der Urzeit zu vermelden weiß, um Raum für einige seiner
Mittheilungen über zoologische und botanische Mirakel zu behalten. Da stoßen
wir zuerst im Tractat Bechoroth auf den Bar Juchue, einen Vogel, der fo groß
ist, daß eins seiner Eier, dem Neste entfaltend, dreihundert Cederbäume nieder-
brach und mit seinem Inhalte sechzig Dörfer überschwemmte. Ferner haben
wir da den Vogel Sif, von dem nach dem Tractat Bava Bathra der Rabba,
des Chauna Enkel, berichtete: "Wir fuhren einmal in einem Schiffe und sahen
einen Vogel, der bis an seine Schienbeine im Wasser stand, während sein Kopf
bis an die Beste des Himmels reichte. Da sprachen wir: ,Es ist kein tiefes
Wasser dort, wir wollen hineinsteigen und uns abkühlen/ Es kam aber eine
Stimme vom Himmel und sprach zu uns: ,Steiget da nicht hinein; denn es ist
vor sieben Jahren da einem Zimmermann die Axt hineingefallen, und die ist
noch nicht auf den Grund gekommen/" In der chaldäischen Uebersetzung der
Stelle wird jener Vogel "der wilde Hahn" genannt, und es heißt, daß seine
Schienbeine auf der Erde sind, sein Kops aber an den Himmel reicht, sodaß er
vor Gott singt. In derselben Abhandlung ist ferner von ungeheuren Fettgünsen


Schmerzen wohnen, „zwei Thränen in das große Meer fallen, deren Stimme
von einem Ende der Erde bis zum andern vernommen wird, und dieses ist das
Erdbeben". Im Tractat Sanhedrin wird bemerkt, daß Gott einen Eid, den er
geschworen, nicht gehalten, und daß er dem Scmherib mit einer Scheere den
Bart und die Kopfhaare abgeschnitten habe, um ihn lächerlich zu machen, und
im Tractat Berachoth finden wir, daß er ein Haus hat, in welchem er betet,
und daß er dazu die jüdischen Gebetsriemen und den Betmantel anlegt.

Der Rabbi Mosche Ben Majmon sagt zwar, daß solche Dinge nicht buch¬
stäblich zu nehmen seien, giebt aber sogleich zu, daß diejenige Secte der Juden,
welcher die meisten zugethan seien, sie in dieser Weise auffaßte, und das ist
noch gegenwärtig der Fall.

Im Tractat Sanhedrin heißt es über die Schöpfung des ersten Menschen,
sein Leib sei aus Babel, sein Haupt aus dem Lande Israels, und seine Glieder
seien aus den übrigen Ländern genommen worden. Dem Tractat Berachoth
zufolge wurde er mit zwei Gesichtern erschaffen, von denen eins nach vorn, das
andere nach hinten blickte. Nach dem Tractat Eruvin war er überhaupt ein
Doppelmeusch, der (wie die Urmenschen des Aristophanes im Symposion) von
Gott später in einen Mann und eine Frau zerschnitten wurde. Der Rabbi
Elieser lehrte, wie der Tractat Chagiga berichtet, daß Adam eine Länge gehabt,
die von der Erde bis zum Firmament des Himmels gereicht, und daß Gott ihn
erst nach dem Sündenfall durch Handauflegung klein gemacht habe, und der
Rabbi Jehuda bestätigte das.

Wir übergehen, was der Talmud vom Riesen Og und andern colossalen
Menschenwnndern der Urzeit zu vermelden weiß, um Raum für einige seiner
Mittheilungen über zoologische und botanische Mirakel zu behalten. Da stoßen
wir zuerst im Tractat Bechoroth auf den Bar Juchue, einen Vogel, der fo groß
ist, daß eins seiner Eier, dem Neste entfaltend, dreihundert Cederbäume nieder-
brach und mit seinem Inhalte sechzig Dörfer überschwemmte. Ferner haben
wir da den Vogel Sif, von dem nach dem Tractat Bava Bathra der Rabba,
des Chauna Enkel, berichtete: „Wir fuhren einmal in einem Schiffe und sahen
einen Vogel, der bis an seine Schienbeine im Wasser stand, während sein Kopf
bis an die Beste des Himmels reichte. Da sprachen wir: ,Es ist kein tiefes
Wasser dort, wir wollen hineinsteigen und uns abkühlen/ Es kam aber eine
Stimme vom Himmel und sprach zu uns: ,Steiget da nicht hinein; denn es ist
vor sieben Jahren da einem Zimmermann die Axt hineingefallen, und die ist
noch nicht auf den Grund gekommen/" In der chaldäischen Uebersetzung der
Stelle wird jener Vogel „der wilde Hahn" genannt, und es heißt, daß seine
Schienbeine auf der Erde sind, sein Kops aber an den Himmel reicht, sodaß er
vor Gott singt. In derselben Abhandlung ist ferner von ungeheuren Fettgünsen


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[0366] Schmerzen wohnen, „zwei Thränen in das große Meer fallen, deren Stimme von einem Ende der Erde bis zum andern vernommen wird, und dieses ist das Erdbeben". Im Tractat Sanhedrin wird bemerkt, daß Gott einen Eid, den er geschworen, nicht gehalten, und daß er dem Scmherib mit einer Scheere den Bart und die Kopfhaare abgeschnitten habe, um ihn lächerlich zu machen, und im Tractat Berachoth finden wir, daß er ein Haus hat, in welchem er betet, und daß er dazu die jüdischen Gebetsriemen und den Betmantel anlegt. Der Rabbi Mosche Ben Majmon sagt zwar, daß solche Dinge nicht buch¬ stäblich zu nehmen seien, giebt aber sogleich zu, daß diejenige Secte der Juden, welcher die meisten zugethan seien, sie in dieser Weise auffaßte, und das ist noch gegenwärtig der Fall. Im Tractat Sanhedrin heißt es über die Schöpfung des ersten Menschen, sein Leib sei aus Babel, sein Haupt aus dem Lande Israels, und seine Glieder seien aus den übrigen Ländern genommen worden. Dem Tractat Berachoth zufolge wurde er mit zwei Gesichtern erschaffen, von denen eins nach vorn, das andere nach hinten blickte. Nach dem Tractat Eruvin war er überhaupt ein Doppelmeusch, der (wie die Urmenschen des Aristophanes im Symposion) von Gott später in einen Mann und eine Frau zerschnitten wurde. Der Rabbi Elieser lehrte, wie der Tractat Chagiga berichtet, daß Adam eine Länge gehabt, die von der Erde bis zum Firmament des Himmels gereicht, und daß Gott ihn erst nach dem Sündenfall durch Handauflegung klein gemacht habe, und der Rabbi Jehuda bestätigte das. Wir übergehen, was der Talmud vom Riesen Og und andern colossalen Menschenwnndern der Urzeit zu vermelden weiß, um Raum für einige seiner Mittheilungen über zoologische und botanische Mirakel zu behalten. Da stoßen wir zuerst im Tractat Bechoroth auf den Bar Juchue, einen Vogel, der fo groß ist, daß eins seiner Eier, dem Neste entfaltend, dreihundert Cederbäume nieder- brach und mit seinem Inhalte sechzig Dörfer überschwemmte. Ferner haben wir da den Vogel Sif, von dem nach dem Tractat Bava Bathra der Rabba, des Chauna Enkel, berichtete: „Wir fuhren einmal in einem Schiffe und sahen einen Vogel, der bis an seine Schienbeine im Wasser stand, während sein Kopf bis an die Beste des Himmels reichte. Da sprachen wir: ,Es ist kein tiefes Wasser dort, wir wollen hineinsteigen und uns abkühlen/ Es kam aber eine Stimme vom Himmel und sprach zu uns: ,Steiget da nicht hinein; denn es ist vor sieben Jahren da einem Zimmermann die Axt hineingefallen, und die ist noch nicht auf den Grund gekommen/" In der chaldäischen Uebersetzung der Stelle wird jener Vogel „der wilde Hahn" genannt, und es heißt, daß seine Schienbeine auf der Erde sind, sein Kops aber an den Himmel reicht, sodaß er vor Gott singt. In derselben Abhandlung ist ferner von ungeheuren Fettgünsen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/366>, abgerufen am 23.07.2024.