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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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streng genommen vielleicht nur ein Mal -- auf der Ermordung Cäsars -- ge¬
lungen, eine größere Anzahl von Figuren so zu disponiren, daß der Blick des
Beschauers sich zuerst der Hauptperson zuwendet und gezwungen wird, immer
wieder zu ihr zurückzukehren.

Auf dem Bilde der "Liga" spielt der ganz in den Hintergrund gerückte
Herzog thatsächlich die untergeordnetste Rolle. Die gleichgiltigen Figuren im
Vordergrunde, auf welche der Maler den ganzen Reichthum feiner Palette
ausgegossen hat, absorbiren unser Interesse so vollständig, daß wir für den
Vorgang im Hintergrunde kaum einen Blick übrig haben. Der Fehler liegt
also hier in der verkehrten Auffassung und in der räumlichen Disposition.
Aehnlich wie A. v. Werner auf feinem Niesengemälde der " Kaiserpro clamation
in Versailles" hat Piloty, von der Absicht geleitet, eine Uebersicht über eine
möglichst große Anzahl von Figuren zu geben, einen falschen Standpunkt ge¬
wählt. Auf dem Wernerschem Bilde erscheinen die Hofchargen und die Sub¬
alternoffiziere im Vordergrunde in mehr als Lebensgröße ebenso wie die Per¬
sonen des herzoglichen Hofes auf dem Gemälde Pilotys. Hier wie dort zeigt
sich jener Kardinalfehler der Composition, den ein französischer Kritiker sehr
fein mit den Worten rügt: Lüsar etoit xas Ltrs xrlmö x-i-r Ass doms-
Staues -- Cäsar darf nicht durch Bediente in den Schatten gestellt werden.

Neben diesen Mängeln der Komposition zeigte das erste große Historien¬
bild Pilotys bereits jenen verhängnißvollen Zug zum Declamatorischen und
Theatralischen, der für seine ganze Schule charakteristisch werden sollte, voll¬
entwickelt. Der Herzog und die beiden Bischöfe, welche auf eine hellblauseidne
Fahne mit der Schutzpatronin Baierns deuten, als wollten sie sagen: In diesem
Zeichen wirst du siegen! tragen durchaus das Gepräge von Theaterhelden, die
eben eine schwungvolle Rede vom Stapel lassen. Während sich Piloty bei der
Composition statt von der Kunst, von der Wahrheit und dem Zufall, diesen
beiden Leitsternen des Realismus, führen ließ, hat ihn die Wahrheit bei der
Gestaltung der Hauptfiguren ganz in Stich gelassen. Wahrheit und Lebendig¬
keit ist vielmehr nur unter den Nebenfiguren zu finden, von denen einige höchst
ausdrucksvoll und energisch charakterisirt find.

Diese und andere Mängel hinderten die damalige Kritik nicht, den Glanz
des Kolorits, die ernste Harmonie des Gescunmttons, überhaupt die Virtuosität
des technischen Vermögens unumwunden anzuerkennen. Wie wenig man aber
auch schon damals mit der Richtung Pilotys einverstanden war, beweist der
Schlußsatz einer ebenso maßvollen als feinsinnigen Kritik im "Kunstblatt" von
1854, in welchem der Verfasser, Ernst Förster, allerdings ein Cornelicmer von
der strengsten Observanz , sagt: "Wen Neigung und Talent auf die Wege des
Naturalismus führen, der thut wohl, sie zu gehen und um wo möglich Stoffe


streng genommen vielleicht nur ein Mal — auf der Ermordung Cäsars — ge¬
lungen, eine größere Anzahl von Figuren so zu disponiren, daß der Blick des
Beschauers sich zuerst der Hauptperson zuwendet und gezwungen wird, immer
wieder zu ihr zurückzukehren.

Auf dem Bilde der „Liga" spielt der ganz in den Hintergrund gerückte
Herzog thatsächlich die untergeordnetste Rolle. Die gleichgiltigen Figuren im
Vordergrunde, auf welche der Maler den ganzen Reichthum feiner Palette
ausgegossen hat, absorbiren unser Interesse so vollständig, daß wir für den
Vorgang im Hintergrunde kaum einen Blick übrig haben. Der Fehler liegt
also hier in der verkehrten Auffassung und in der räumlichen Disposition.
Aehnlich wie A. v. Werner auf feinem Niesengemälde der „ Kaiserpro clamation
in Versailles" hat Piloty, von der Absicht geleitet, eine Uebersicht über eine
möglichst große Anzahl von Figuren zu geben, einen falschen Standpunkt ge¬
wählt. Auf dem Wernerschem Bilde erscheinen die Hofchargen und die Sub¬
alternoffiziere im Vordergrunde in mehr als Lebensgröße ebenso wie die Per¬
sonen des herzoglichen Hofes auf dem Gemälde Pilotys. Hier wie dort zeigt
sich jener Kardinalfehler der Composition, den ein französischer Kritiker sehr
fein mit den Worten rügt: Lüsar etoit xas Ltrs xrlmö x-i-r Ass doms-
Staues — Cäsar darf nicht durch Bediente in den Schatten gestellt werden.

Neben diesen Mängeln der Komposition zeigte das erste große Historien¬
bild Pilotys bereits jenen verhängnißvollen Zug zum Declamatorischen und
Theatralischen, der für seine ganze Schule charakteristisch werden sollte, voll¬
entwickelt. Der Herzog und die beiden Bischöfe, welche auf eine hellblauseidne
Fahne mit der Schutzpatronin Baierns deuten, als wollten sie sagen: In diesem
Zeichen wirst du siegen! tragen durchaus das Gepräge von Theaterhelden, die
eben eine schwungvolle Rede vom Stapel lassen. Während sich Piloty bei der
Composition statt von der Kunst, von der Wahrheit und dem Zufall, diesen
beiden Leitsternen des Realismus, führen ließ, hat ihn die Wahrheit bei der
Gestaltung der Hauptfiguren ganz in Stich gelassen. Wahrheit und Lebendig¬
keit ist vielmehr nur unter den Nebenfiguren zu finden, von denen einige höchst
ausdrucksvoll und energisch charakterisirt find.

Diese und andere Mängel hinderten die damalige Kritik nicht, den Glanz
des Kolorits, die ernste Harmonie des Gescunmttons, überhaupt die Virtuosität
des technischen Vermögens unumwunden anzuerkennen. Wie wenig man aber
auch schon damals mit der Richtung Pilotys einverstanden war, beweist der
Schlußsatz einer ebenso maßvollen als feinsinnigen Kritik im „Kunstblatt" von
1854, in welchem der Verfasser, Ernst Förster, allerdings ein Cornelicmer von
der strengsten Observanz , sagt: „Wen Neigung und Talent auf die Wege des
Naturalismus führen, der thut wohl, sie zu gehen und um wo möglich Stoffe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/347>, abgerufen am 23.07.2024.