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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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beseelt, durchzuckt ein einziger Gedanke, der bei jedem entschieden in die Er¬
scheinung tritt, und insofern ist der dargestellte Moment ein dramatischer oder
doch wenigstens ein ungewöhnlich erregter. Ans dem Bilde Pilotys hält schon
die Gegenwart des Herzogs die Erregung, wenn eine solche bei einem rein
diplomatischen Acte überhaupt vorhanden war, in gewisse Schranken, und wenn
der Künstler den Versuch gemacht hat, durch einige Figuren des Vordergrundes
etwas Leben und Bewegung in das steife Ceremoniell des Vorgangs zu bringen,
so hat er diesen Versuch auf Kosten der Wirkung der Hauptfigur gewagt/

Im Hintergrunde einer niedrigen gothischen Kapelle steht der Herzog inmitten
von fünf hohen geistlichen Würdenträgern, von denen er die beiden ihm zunächst
stehenden bei der Hand faßt. Ein dritter kniet mit einer Urkunde vor ihm.
Noch zwei andere Geistliche, zwei Franziskaner und ein Jesuit schließen sich
links dein Herzog an und bilden den Uebergang zu einer Gruppe im Vorder¬
grunde, welche die einzige ist, die noch eine gewisse Bewegung zeigt. Ein
Mann in violettem Mantel sitzt, in den Händen ein aufgeschlagenes Buch
haltend, vor einem Tische und blickt zu dem Herzog empor. Eben dorthin blickt
ein neben ihm knieender Dominikaner, während sich ein Dritter zu ihn: wendet.
Drei andere Figuren sind ebenfalls, verschiedenartig bewegt, um den Tisch
gruppirt. Der Künstler hat sich hier vielleicht eine Gruppe vou Staatsmännern
und Beamten gedacht, welche die Bedeutung des Schrittes zu würdigen wissen
und seine Folgen schon im voraus berechnen. Vor den Stufen kniet Tilly,
den Rücken'dem Beschauer zugekehrt, und zur Rechten entspricht eine aus einem
Bischof, seinem Diakon, zwei Ministranten und einem Fahnenträger gebildete
Gruppe, der sich noch eine Anzahl von Kriegern anschließt, den Staatsbeamten
zur Linken.

Wir haben dieses Bild etwas ausführlicher beschrieben, weil es, obwohl
am Eingang der Laufbahn Pilotys stehend, doch bereits alle charakteristischen
Eigenthümlichkeiten des Künstlers, seine Vorzüge und Fehler, vornehmlich aber
die Mängel der Composition auszuweisen hat, welche nicht bloß ihm, sondern
fast allen modernen, auf der Bahn des Realismus einherschreitenden Historien¬
malern anhaften. Sobald es sich darum handelt, große, figurenreiche Gruppen
in den Rahmen zu fassen und zu disponiren, wird stets die Hervorhebung
eines Mittelpunktes nothwendig sein, der nicht bloß zu den übrigen Figuren in
eine wechselseitige Beziehung tritt, sondern der auch eine dominirende Stellung
einnimmt, die ihn auf den ersten Blick als die Hauptursache des Bildes kenn¬
zeichnet. Dieses Grundgesetz wird, so selbstverständlich, so trivial es auch ist,
gerade am meisten von Piloty und seinen Schülern überschritten. Makart hat
auf seinen historischen Bildern -- wir erinnern nur an Katharina Cornaro und
Karl V. -- fast immer dagegen verstoßen, und Piloty selbst ist es nur selten,


beseelt, durchzuckt ein einziger Gedanke, der bei jedem entschieden in die Er¬
scheinung tritt, und insofern ist der dargestellte Moment ein dramatischer oder
doch wenigstens ein ungewöhnlich erregter. Ans dem Bilde Pilotys hält schon
die Gegenwart des Herzogs die Erregung, wenn eine solche bei einem rein
diplomatischen Acte überhaupt vorhanden war, in gewisse Schranken, und wenn
der Künstler den Versuch gemacht hat, durch einige Figuren des Vordergrundes
etwas Leben und Bewegung in das steife Ceremoniell des Vorgangs zu bringen,
so hat er diesen Versuch auf Kosten der Wirkung der Hauptfigur gewagt/

Im Hintergrunde einer niedrigen gothischen Kapelle steht der Herzog inmitten
von fünf hohen geistlichen Würdenträgern, von denen er die beiden ihm zunächst
stehenden bei der Hand faßt. Ein dritter kniet mit einer Urkunde vor ihm.
Noch zwei andere Geistliche, zwei Franziskaner und ein Jesuit schließen sich
links dein Herzog an und bilden den Uebergang zu einer Gruppe im Vorder¬
grunde, welche die einzige ist, die noch eine gewisse Bewegung zeigt. Ein
Mann in violettem Mantel sitzt, in den Händen ein aufgeschlagenes Buch
haltend, vor einem Tische und blickt zu dem Herzog empor. Eben dorthin blickt
ein neben ihm knieender Dominikaner, während sich ein Dritter zu ihn: wendet.
Drei andere Figuren sind ebenfalls, verschiedenartig bewegt, um den Tisch
gruppirt. Der Künstler hat sich hier vielleicht eine Gruppe vou Staatsmännern
und Beamten gedacht, welche die Bedeutung des Schrittes zu würdigen wissen
und seine Folgen schon im voraus berechnen. Vor den Stufen kniet Tilly,
den Rücken'dem Beschauer zugekehrt, und zur Rechten entspricht eine aus einem
Bischof, seinem Diakon, zwei Ministranten und einem Fahnenträger gebildete
Gruppe, der sich noch eine Anzahl von Kriegern anschließt, den Staatsbeamten
zur Linken.

Wir haben dieses Bild etwas ausführlicher beschrieben, weil es, obwohl
am Eingang der Laufbahn Pilotys stehend, doch bereits alle charakteristischen
Eigenthümlichkeiten des Künstlers, seine Vorzüge und Fehler, vornehmlich aber
die Mängel der Composition auszuweisen hat, welche nicht bloß ihm, sondern
fast allen modernen, auf der Bahn des Realismus einherschreitenden Historien¬
malern anhaften. Sobald es sich darum handelt, große, figurenreiche Gruppen
in den Rahmen zu fassen und zu disponiren, wird stets die Hervorhebung
eines Mittelpunktes nothwendig sein, der nicht bloß zu den übrigen Figuren in
eine wechselseitige Beziehung tritt, sondern der auch eine dominirende Stellung
einnimmt, die ihn auf den ersten Blick als die Hauptursache des Bildes kenn¬
zeichnet. Dieses Grundgesetz wird, so selbstverständlich, so trivial es auch ist,
gerade am meisten von Piloty und seinen Schülern überschritten. Makart hat
auf seinen historischen Bildern — wir erinnern nur an Katharina Cornaro und
Karl V. — fast immer dagegen verstoßen, und Piloty selbst ist es nur selten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/346>, abgerufen am 23.07.2024.