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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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elend dahinsiechen muß, während das Kind der Fremden von Kraft und Ge¬
sundheit strotzt.

Neben den Niederländern hatte Piloty in letzter Zeit, namentlich in Dresden
und Paris, welches er im Jahre 1852 besucht hatte, die Spanier, insbesondere
Velasquez und Murillo, studirt. Das düstere, schwärzliche Colorit dieser Meister
entsprach seiner geistigen Richtung besser als die blühende, lebensfrische Farbe
eines Rubens, und Bildern wie der "sterbenden Wöchnerin" und der "Amme"
kam dieser schwermüthige Grundton trefflich zu statten. Auf dem letzteren
Bilde machte sich der Realismus, als dessen energischer Vorkämpfer Piloty
nunmehr auftrat, auch noch anders geltend als in der Wahl des sujets. Man
bemerkte bereits die ungewöhnliche Virtuosität in der Behandlung und in der
Charakteristik des Stofflichen. Das Kleid des vornehmen Kindes von rosen¬
farbener Seide, die darüber Hinsallenden seidenen Spitzen, der verblichene Sammt¬
überzug eiues alten Lehnstuhls, diese und andere Nebendinge waren so natur¬
getreu und mit einer so glänzenden Technik wiedergegeben, daß sie bereits die
Aufmerksamkeit des Beschauers reichlich zu beschäftigen und von den Figuren
abzulenken begannen. Doch war dieses stoffliche Beiwerk nicht etwa ängstlich
hiugestrichelt, sondern mit breitem Pinsel, mit großer Bravour und Sicherheit
war Ton neben Ton gesetzt und überall eine kräftige Wirkung erzielt. Mächtiger
wirkte freilich die ergreifende Wahrheit des dargestellte!: Moments und die
tiefe, eindringliche Charakteristik der Figuren, die der Künstler später niemals
wieder erreichte, geschweige denn übertraf.

Der Erfolg, den Piloty mit der "Amme" erzielte, war ein ungewöhnlicher.
In der für den Künstler ersprießlichsten Art documentirte er sich darin, daß
König Maximilian von Baiern ihm den Auftrag ertheilte, für das von ihm
zu erbauende Maximilianeum, welches eine Reihe von bildlichen Darstellungen
der bedeutendsten Momente der Weltgeschichte aufnehmen sollte, die "Gründung
der katholischen Liga" durch Herzog Maximilian von Baiern (1609) zu malen.
Das Thema war von vornherein so unglücklich gewählt, daß auch eine Kraft,
die viel erprobter war als die Pilotys, an einer halbwegs fesselnden Lösung
der Aufgabe hätte scheitern müssen. Was de Bicfve einmal mit dem .Kompromiß
der Edlen" erreicht hatte, war nicht zum zweiten Male zu erreichen. Wohl
war der Beitritt des Herzog von Baiern zur Liga gegen die protestantische
Union ein nicht minder folgenschweres Ereignis; als der Vertrag der nieder¬
ländischen Edelleute zum Schutze ihrer Freiheiten. Aber die bildende Kunst
muß sich aus Existenzen, auf dramatische Momente beschränken; den Causalnexus
zwischeu Ursache und Wirkung bildlich darzustellen oder wenigstens errathen zu
lassen, ist sie außer Stande. Alles, was außerhalb, diesseits oder jenseits des
Bildes liegt, ist sür dasselbe verloren. Die Edeln auf dem Bilde de Viefves


Grenzboten I. 1880. 43

elend dahinsiechen muß, während das Kind der Fremden von Kraft und Ge¬
sundheit strotzt.

Neben den Niederländern hatte Piloty in letzter Zeit, namentlich in Dresden
und Paris, welches er im Jahre 1852 besucht hatte, die Spanier, insbesondere
Velasquez und Murillo, studirt. Das düstere, schwärzliche Colorit dieser Meister
entsprach seiner geistigen Richtung besser als die blühende, lebensfrische Farbe
eines Rubens, und Bildern wie der „sterbenden Wöchnerin" und der „Amme"
kam dieser schwermüthige Grundton trefflich zu statten. Auf dem letzteren
Bilde machte sich der Realismus, als dessen energischer Vorkämpfer Piloty
nunmehr auftrat, auch noch anders geltend als in der Wahl des sujets. Man
bemerkte bereits die ungewöhnliche Virtuosität in der Behandlung und in der
Charakteristik des Stofflichen. Das Kleid des vornehmen Kindes von rosen¬
farbener Seide, die darüber Hinsallenden seidenen Spitzen, der verblichene Sammt¬
überzug eiues alten Lehnstuhls, diese und andere Nebendinge waren so natur¬
getreu und mit einer so glänzenden Technik wiedergegeben, daß sie bereits die
Aufmerksamkeit des Beschauers reichlich zu beschäftigen und von den Figuren
abzulenken begannen. Doch war dieses stoffliche Beiwerk nicht etwa ängstlich
hiugestrichelt, sondern mit breitem Pinsel, mit großer Bravour und Sicherheit
war Ton neben Ton gesetzt und überall eine kräftige Wirkung erzielt. Mächtiger
wirkte freilich die ergreifende Wahrheit des dargestellte!: Moments und die
tiefe, eindringliche Charakteristik der Figuren, die der Künstler später niemals
wieder erreichte, geschweige denn übertraf.

Der Erfolg, den Piloty mit der „Amme" erzielte, war ein ungewöhnlicher.
In der für den Künstler ersprießlichsten Art documentirte er sich darin, daß
König Maximilian von Baiern ihm den Auftrag ertheilte, für das von ihm
zu erbauende Maximilianeum, welches eine Reihe von bildlichen Darstellungen
der bedeutendsten Momente der Weltgeschichte aufnehmen sollte, die „Gründung
der katholischen Liga" durch Herzog Maximilian von Baiern (1609) zu malen.
Das Thema war von vornherein so unglücklich gewählt, daß auch eine Kraft,
die viel erprobter war als die Pilotys, an einer halbwegs fesselnden Lösung
der Aufgabe hätte scheitern müssen. Was de Bicfve einmal mit dem .Kompromiß
der Edlen" erreicht hatte, war nicht zum zweiten Male zu erreichen. Wohl
war der Beitritt des Herzog von Baiern zur Liga gegen die protestantische
Union ein nicht minder folgenschweres Ereignis; als der Vertrag der nieder¬
ländischen Edelleute zum Schutze ihrer Freiheiten. Aber die bildende Kunst
muß sich aus Existenzen, auf dramatische Momente beschränken; den Causalnexus
zwischeu Ursache und Wirkung bildlich darzustellen oder wenigstens errathen zu
lassen, ist sie außer Stande. Alles, was außerhalb, diesseits oder jenseits des
Bildes liegt, ist sür dasselbe verloren. Die Edeln auf dem Bilde de Viefves


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[0345] elend dahinsiechen muß, während das Kind der Fremden von Kraft und Ge¬ sundheit strotzt. Neben den Niederländern hatte Piloty in letzter Zeit, namentlich in Dresden und Paris, welches er im Jahre 1852 besucht hatte, die Spanier, insbesondere Velasquez und Murillo, studirt. Das düstere, schwärzliche Colorit dieser Meister entsprach seiner geistigen Richtung besser als die blühende, lebensfrische Farbe eines Rubens, und Bildern wie der „sterbenden Wöchnerin" und der „Amme" kam dieser schwermüthige Grundton trefflich zu statten. Auf dem letzteren Bilde machte sich der Realismus, als dessen energischer Vorkämpfer Piloty nunmehr auftrat, auch noch anders geltend als in der Wahl des sujets. Man bemerkte bereits die ungewöhnliche Virtuosität in der Behandlung und in der Charakteristik des Stofflichen. Das Kleid des vornehmen Kindes von rosen¬ farbener Seide, die darüber Hinsallenden seidenen Spitzen, der verblichene Sammt¬ überzug eiues alten Lehnstuhls, diese und andere Nebendinge waren so natur¬ getreu und mit einer so glänzenden Technik wiedergegeben, daß sie bereits die Aufmerksamkeit des Beschauers reichlich zu beschäftigen und von den Figuren abzulenken begannen. Doch war dieses stoffliche Beiwerk nicht etwa ängstlich hiugestrichelt, sondern mit breitem Pinsel, mit großer Bravour und Sicherheit war Ton neben Ton gesetzt und überall eine kräftige Wirkung erzielt. Mächtiger wirkte freilich die ergreifende Wahrheit des dargestellte!: Moments und die tiefe, eindringliche Charakteristik der Figuren, die der Künstler später niemals wieder erreichte, geschweige denn übertraf. Der Erfolg, den Piloty mit der „Amme" erzielte, war ein ungewöhnlicher. In der für den Künstler ersprießlichsten Art documentirte er sich darin, daß König Maximilian von Baiern ihm den Auftrag ertheilte, für das von ihm zu erbauende Maximilianeum, welches eine Reihe von bildlichen Darstellungen der bedeutendsten Momente der Weltgeschichte aufnehmen sollte, die „Gründung der katholischen Liga" durch Herzog Maximilian von Baiern (1609) zu malen. Das Thema war von vornherein so unglücklich gewählt, daß auch eine Kraft, die viel erprobter war als die Pilotys, an einer halbwegs fesselnden Lösung der Aufgabe hätte scheitern müssen. Was de Bicfve einmal mit dem .Kompromiß der Edlen" erreicht hatte, war nicht zum zweiten Male zu erreichen. Wohl war der Beitritt des Herzog von Baiern zur Liga gegen die protestantische Union ein nicht minder folgenschweres Ereignis; als der Vertrag der nieder¬ ländischen Edelleute zum Schutze ihrer Freiheiten. Aber die bildende Kunst muß sich aus Existenzen, auf dramatische Momente beschränken; den Causalnexus zwischeu Ursache und Wirkung bildlich darzustellen oder wenigstens errathen zu lassen, ist sie außer Stande. Alles, was außerhalb, diesseits oder jenseits des Bildes liegt, ist sür dasselbe verloren. Die Edeln auf dem Bilde de Viefves Grenzboten I. 1880. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/345>, abgerufen am 23.07.2024.