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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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daß er selbst eine völlig unpraktische Natur war, waren dies allerdings die
wirklichen Gründe. Gegen die Verhältnisse der meist gut situirter Professoren
stach jedenfalls die Dürftigkeit des Privatdocenten, der kein Vermögen, kein
Diensteinkommen, dafür aber eine halbtaube Frau und zwölf Kinder im Hause
hatte, grell ab, und die Noth rief gewiß manche wirthschaftliche Unordnung
hervor, die den ungünstigen Eindruck seiner Lage für Glücklichere, die wenig
oder nichts von Noth wußten, nur noch steigerte. Eine directe Bestätigung hier¬
für ist ein Brief seines Schülers W. Reuter. Dieser schreibt am 27. Juni 1829
von Hildesheim aus an Krause: "Nicht unterlassen kaun ich, Ihnen zu schreiben,
daß ich einen hiesigen Lehrer für das Studium Ihrer Bücher gewonnen habe,
und dieser bei hiesiger Landdrostei die Übeln Vorurtheile, welche über Sie be¬
sonders in Hannover bei den Vornehmen verbreitet sind, zu wider¬
legen gesucht hat." In gleicher Weise spricht seine Gönnerin, die Fürstin Caroline
von Bückeburg, von Vorurtheilen, welche gegen Krause im Umlauf feien. Bei
der großen Kinderschaar mochte ja auch manches vorkommen, was hätte besser
sein können und -- wie die Menschen find -- leicht ein ungünstiges Licht auf
die ganze Familie warf.

Auch der Vorwurf, daß Krause Naturphilosoph sei, findet sich öfter erwähnt.
Was unter diesem Ausdruck, der uns heute nicht mehr recht geläufig ist, ge¬
meint wurde, erfahren wir aus dem Briefe eines jungen Freundes von Krause,
K. Hermes, der am 17. August 1824 über seine letzten Erlebnisse in Holland,
wo er Hauslehrer gewesen war, an Krause schrieb: "Bei dem Gouverneur von
Südholland, van cksr viivn von NÄasäarll, wurde Ihres Freundes Thorbecke ge¬
dacht, über dessen Auswanderung man ebenso unzufrieden war, als über meine
Einwanderung. Das letzte wird Ihnen hinlänglich begreiflich sein, wenn Sie hören:
daß ich das Unglück hatte, für einen Philosophen oder Kantianer gehalten zu
werden, und als ich dies (mein Kantnerthmn) leugnete, gar für einen Natur-
philosophen; denn ein Atheist war ich einmal, eines von beiden
mußte ich also als Deutscher sein." Man verstand also darunter eine wissen¬
schaftliche Richtung, welche nicht in der Offenbarung, sondern in der Natur
begründet ist, und welche mehr oder weniger mit Atheismus zusammenfällt. Dies
galt damals und, wie es scheint, vornehmlich im Königreiche Hannover, für
einen schweren Vorwurf, und es ist wahrscheinlich, daß dies der Hauptgrund
gewesen ist, warum Krause, der im Grunde vielleicht von allen neueren Philo¬
sophen dem Christenthums am nächsten steht, in Göttingen so zurückgesetzt wurde;
man brachte ihn, um sich von seiner Philosophie, von der man nichts wußte,
eine Vorstellung machen zu können, in eine bestimmte Kategorie, und weil die
Kategorie der Naturphilosophen anrüchig war, so war Krause so ixso verurtheilt.

Was endlich die Freimanrer anlangt, so behauptet Lindemann, diese seien


daß er selbst eine völlig unpraktische Natur war, waren dies allerdings die
wirklichen Gründe. Gegen die Verhältnisse der meist gut situirter Professoren
stach jedenfalls die Dürftigkeit des Privatdocenten, der kein Vermögen, kein
Diensteinkommen, dafür aber eine halbtaube Frau und zwölf Kinder im Hause
hatte, grell ab, und die Noth rief gewiß manche wirthschaftliche Unordnung
hervor, die den ungünstigen Eindruck seiner Lage für Glücklichere, die wenig
oder nichts von Noth wußten, nur noch steigerte. Eine directe Bestätigung hier¬
für ist ein Brief seines Schülers W. Reuter. Dieser schreibt am 27. Juni 1829
von Hildesheim aus an Krause: „Nicht unterlassen kaun ich, Ihnen zu schreiben,
daß ich einen hiesigen Lehrer für das Studium Ihrer Bücher gewonnen habe,
und dieser bei hiesiger Landdrostei die Übeln Vorurtheile, welche über Sie be¬
sonders in Hannover bei den Vornehmen verbreitet sind, zu wider¬
legen gesucht hat." In gleicher Weise spricht seine Gönnerin, die Fürstin Caroline
von Bückeburg, von Vorurtheilen, welche gegen Krause im Umlauf feien. Bei
der großen Kinderschaar mochte ja auch manches vorkommen, was hätte besser
sein können und — wie die Menschen find — leicht ein ungünstiges Licht auf
die ganze Familie warf.

Auch der Vorwurf, daß Krause Naturphilosoph sei, findet sich öfter erwähnt.
Was unter diesem Ausdruck, der uns heute nicht mehr recht geläufig ist, ge¬
meint wurde, erfahren wir aus dem Briefe eines jungen Freundes von Krause,
K. Hermes, der am 17. August 1824 über seine letzten Erlebnisse in Holland,
wo er Hauslehrer gewesen war, an Krause schrieb: „Bei dem Gouverneur von
Südholland, van cksr viivn von NÄasäarll, wurde Ihres Freundes Thorbecke ge¬
dacht, über dessen Auswanderung man ebenso unzufrieden war, als über meine
Einwanderung. Das letzte wird Ihnen hinlänglich begreiflich sein, wenn Sie hören:
daß ich das Unglück hatte, für einen Philosophen oder Kantianer gehalten zu
werden, und als ich dies (mein Kantnerthmn) leugnete, gar für einen Natur-
philosophen; denn ein Atheist war ich einmal, eines von beiden
mußte ich also als Deutscher sein." Man verstand also darunter eine wissen¬
schaftliche Richtung, welche nicht in der Offenbarung, sondern in der Natur
begründet ist, und welche mehr oder weniger mit Atheismus zusammenfällt. Dies
galt damals und, wie es scheint, vornehmlich im Königreiche Hannover, für
einen schweren Vorwurf, und es ist wahrscheinlich, daß dies der Hauptgrund
gewesen ist, warum Krause, der im Grunde vielleicht von allen neueren Philo¬
sophen dem Christenthums am nächsten steht, in Göttingen so zurückgesetzt wurde;
man brachte ihn, um sich von seiner Philosophie, von der man nichts wußte,
eine Vorstellung machen zu können, in eine bestimmte Kategorie, und weil die
Kategorie der Naturphilosophen anrüchig war, so war Krause so ixso verurtheilt.

Was endlich die Freimanrer anlangt, so behauptet Lindemann, diese seien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/332>, abgerufen am 23.07.2024.