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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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sollen 40 000 Zelte haben und leben völlig unabhängig, von ihren Rabbinern
regiert. Nächst Moses genießt bei ihnen vorzüglich Esra große Hochachtung.

Der erwähnte Schwarz wußte verschiedene Geschichtchen von Leuten dieser
Jehud Chcbr oder Chcnbar zu erzählen, welche mit palästinischen Juden zusammen¬
getroffen sein sollten. Wir halten dieselben, obwohl sie meist in neuester Zeit
spielen, fiir Fabelei oder wenigstens für solche Thatsachen, die von dem genannten
Rabbiner nach seinem Geschmack verschönert worden sind, wollen sie aber als
Beispiele für diese Art von ganz oder halb märchenhaften Darstellungen der Sache
mittheilen.

Zu Anfang unseres Jahrhunderts wurde von der Gemeinde Zefat ein Send¬
bote nach Deinen geschickt, um Almosen zu sammeln. In der Synagoge von Zanaa
lernte er einen fremden Mann kennen, der ihm durch seine edle Gestalt und Ge¬
sichtsbildung sowie durch seine Kleidung auffiel. Er trug einen weiten Mantel,
und auf dem Gürtel, der sein Untergewand zusammenhielt, las man in hebräischer
Schrift die Weissagung Jakobs: "Dan wird eine Schlange werden auf dem Wege
und eine Otter auf dem Steige." Man begegnete ihm mit großer Ehrfurcht; denn
es hieß, daß er ein Seher sei und geheime Zwiesprache mit seinem Genius halte.
Er fragte den Sendboten um Zion und das heilige Land, und als dieser Trauriges
berichtete, weinte und klagte er, indem er sich auf die Erde warf. Als er denn
von jenem über den Stamm Dan befragt wurde, erwiederte er, daß dieser ein
großes Reich östlich von Zanaa bilde und von einem Fürsten beherrscht werde, der
nasi heiße. Von den: Fremden aufgefordert, ihn in seine Heimat zu begleiten,
lehnte der Sendbote dies aus Aengstlichkeit ab. In Zefat erzählte er dann sein
Erlebniß, worauf der Rabbi Baruch Mosche sich erbot, die Brüder vom Stamme
Dan aufzusuchen. Man rüstete ihn zu dem Zwecke mit den nöthigen Mitteln aus,
und er reiste über Aegypten nach Zanaa ab. Ein dortiger Jude wurde sein Führer,
und sie zogen viele Tage immer nach Osten. Da wurde der Führer plötzlich von
einer Schlange gebissen, und obwohl er geheilt wurde, erklärte er, nicht mehr weiter
wandern zu wollen zum Stamme Dan, "der durch den Segen des Patriarchen allein
vor den Schlangen der Wüste geschützt sei".

Eine andere Geschichte lautet: "Zur Zeit, als Ibrahim Pascha in Syrien
Ordnung und Sicherheit geschaffen hatte", also um 1835, "gingen zwei jüdische
Handiverker aus Jerusalem über den Jordan, um bei den Beduinen Arbeit zu
suchen. Eines Tages kamen fremde Araber zu den Zelten, wo jene sich aufhielten,
und als sie sahen, daß die Hand Werksleute nicht mit den Uebrigen und nur Brot
und Milch aßen, fragten sie, wer die Männer seien. Als man entgegnete, sie seien
Juden, lachten sie und sagten: ,Die Jehud Chebr kennen wir besser. Die sind
Riesen und nicht wie diese da klein und schwächlich/"

Vor wenigen Jahren, so berichtete unser Rabbi (1854) weiter, gingen zwei
Juden zur Grabhöhle des Rabbi Allda bei Tabarijeh beten. Während sie ihre
Andacht verrichteten, sprengten zwei arabisch gekleidete Reiter heran und hielten
still, bis jene ihr Gebet gesprochen. Dann fragten sie, welcher Zadik (Gerechte,


sollen 40 000 Zelte haben und leben völlig unabhängig, von ihren Rabbinern
regiert. Nächst Moses genießt bei ihnen vorzüglich Esra große Hochachtung.

Der erwähnte Schwarz wußte verschiedene Geschichtchen von Leuten dieser
Jehud Chcbr oder Chcnbar zu erzählen, welche mit palästinischen Juden zusammen¬
getroffen sein sollten. Wir halten dieselben, obwohl sie meist in neuester Zeit
spielen, fiir Fabelei oder wenigstens für solche Thatsachen, die von dem genannten
Rabbiner nach seinem Geschmack verschönert worden sind, wollen sie aber als
Beispiele für diese Art von ganz oder halb märchenhaften Darstellungen der Sache
mittheilen.

Zu Anfang unseres Jahrhunderts wurde von der Gemeinde Zefat ein Send¬
bote nach Deinen geschickt, um Almosen zu sammeln. In der Synagoge von Zanaa
lernte er einen fremden Mann kennen, der ihm durch seine edle Gestalt und Ge¬
sichtsbildung sowie durch seine Kleidung auffiel. Er trug einen weiten Mantel,
und auf dem Gürtel, der sein Untergewand zusammenhielt, las man in hebräischer
Schrift die Weissagung Jakobs: „Dan wird eine Schlange werden auf dem Wege
und eine Otter auf dem Steige." Man begegnete ihm mit großer Ehrfurcht; denn
es hieß, daß er ein Seher sei und geheime Zwiesprache mit seinem Genius halte.
Er fragte den Sendboten um Zion und das heilige Land, und als dieser Trauriges
berichtete, weinte und klagte er, indem er sich auf die Erde warf. Als er denn
von jenem über den Stamm Dan befragt wurde, erwiederte er, daß dieser ein
großes Reich östlich von Zanaa bilde und von einem Fürsten beherrscht werde, der
nasi heiße. Von den: Fremden aufgefordert, ihn in seine Heimat zu begleiten,
lehnte der Sendbote dies aus Aengstlichkeit ab. In Zefat erzählte er dann sein
Erlebniß, worauf der Rabbi Baruch Mosche sich erbot, die Brüder vom Stamme
Dan aufzusuchen. Man rüstete ihn zu dem Zwecke mit den nöthigen Mitteln aus,
und er reiste über Aegypten nach Zanaa ab. Ein dortiger Jude wurde sein Führer,
und sie zogen viele Tage immer nach Osten. Da wurde der Führer plötzlich von
einer Schlange gebissen, und obwohl er geheilt wurde, erklärte er, nicht mehr weiter
wandern zu wollen zum Stamme Dan, „der durch den Segen des Patriarchen allein
vor den Schlangen der Wüste geschützt sei".

Eine andere Geschichte lautet: „Zur Zeit, als Ibrahim Pascha in Syrien
Ordnung und Sicherheit geschaffen hatte", also um 1835, „gingen zwei jüdische
Handiverker aus Jerusalem über den Jordan, um bei den Beduinen Arbeit zu
suchen. Eines Tages kamen fremde Araber zu den Zelten, wo jene sich aufhielten,
und als sie sahen, daß die Hand Werksleute nicht mit den Uebrigen und nur Brot
und Milch aßen, fragten sie, wer die Männer seien. Als man entgegnete, sie seien
Juden, lachten sie und sagten: ,Die Jehud Chebr kennen wir besser. Die sind
Riesen und nicht wie diese da klein und schwächlich/"

Vor wenigen Jahren, so berichtete unser Rabbi (1854) weiter, gingen zwei
Juden zur Grabhöhle des Rabbi Allda bei Tabarijeh beten. Während sie ihre
Andacht verrichteten, sprengten zwei arabisch gekleidete Reiter heran und hielten
still, bis jene ihr Gebet gesprochen. Dann fragten sie, welcher Zadik (Gerechte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/320>, abgerufen am 23.07.2024.