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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Dem Rabbiner Joseph Schwarz, einem, wie es scheint, recht leichtgläubigen
und phantastischen Menschenkinde, erzählte ein indischer Derwisch, der als Pilger
nach Jerusalem gekommen war, von einem großen jüdischen Reiche, das 120 Tage¬
reisen von Kaschmir entfernt und rings von hohen Bergen umgeben sei, durch welche
nur ein Paß führe. Die Hauptstadt hieße Ajulum. Sie habe prächtige Paläste
und Synagogen, und -- nur die Sclaven in ihr seien Nichtjuden.

Es giebt Leute, welche meinen, dergleichen könne man näher haben, und wer
unsern Artikel bis zu Ende lesen will, dem kann wenigstens die Befürchtung auf¬
steigen, daß sich mitten in Deutschland und in nicht zu ferner Zukunft wirklich ein
solches Ajulum oder doch etwas sehr Aehnliches entwickeln werde.

Sind alle Berichte von indischen und birmanischen Juden einfach Abgeschmackt¬
heiten, so liegt den Erzählungen, die von geheimnißvollen arabischen Stämmen
jüdischer Abkunft wissen wollen, offenbar ein Korn Wahrheit zu Grunde. Die von
Salmanassar weggeführten Bewohner Nordpalästinas oder auch nur größere Reste
derselben sind nicht mehr aufzutreiben. Sie haben sich aller Wahrscheinlichkeit nach
in Mesopotamien, Persien und Kurdistan zerstreut und sind in die dort wohnenden
Völkerschaften aufgegangen. Dagegen ist wohl sicher, daß im Innern Arabiens
noch Stämme mit jüdischer Religion Hausen, die eine gewisse Unabhängigkeit be¬
wahren. Nur wird zu bezweifeln sein, daß sie von jüdischer Rasse und daß sie so
stark sind, wie manche Geschichtchen sie machen. Sie selbst nennen sich nach Frankls Ge¬
währsmännern Jehud Chebr, während die Beduinen sie mit den Namen Arad Seht
(Araber, die den Sabbat feiern, vielleicht auch Anhänger des oben erwähnten
Sabbatai Zebi) bezeichnen. Es heißt, sie verehrten Jethro, den Schwiegervater
des Moses, als Urahnen, was wir dahingestellt sein lassen. Gewiß aber ist, daß
sie Nomaden sind. "Indem sie es ungern sehen, wenn sie von Juden als Glaubens¬
genossen erkannt werden," berichtet Fränkl -- richtiger möchte sein, zu sagen, indem
sie nicht als Stammverwandte der Juden betrachtet werden wollen --, "gehen sie
diesen soviel wie möglich aus dem Wege."

Der türkische Quarantäne-Arzt zu Chanekin an der persischen Grenze, ein
piemontesischer Jude, der den Feldzug der Aegypter in das arabische Binnenland
mitgemacht haben wollte, theilte dem Professor Petermann im Jahre 1854 über
dieses mysteriöse Volk Nachstehendes mit: "Der Weg zu den Chaibar führt von
Aden nach Mokka, von da nach Chodeida, dann nach Bir El Fachid (Bet El
Falls), von wo aus es zwei Straßen giebt, die eine geht nach Dschessan, die andere
nach Sana (Zanaa). Von Dschessan kommt man zu den Cham, wo die Chaibar
sind, und von da reist man über Braris, Komfoda und Lina nach Dschidda zurück."

Der Missionär Wolff, auch ein Jude, will bei den Chaibar gewesen sein und
unter ihnen Proselyten gemacht haben. Sie sind nach ihm sehr gastfrei, bewahren
aber streng ihre Religion und ihre Frauen. Der Talmud ist ihnen unbekannt,
dagegen besitzen sie schöne Pentateuche sowie andere Bücher, von denen man ander¬
wärts nichts weiß, und die in einer fremdartigen Schrift geschrieben sind. Sie


Dem Rabbiner Joseph Schwarz, einem, wie es scheint, recht leichtgläubigen
und phantastischen Menschenkinde, erzählte ein indischer Derwisch, der als Pilger
nach Jerusalem gekommen war, von einem großen jüdischen Reiche, das 120 Tage¬
reisen von Kaschmir entfernt und rings von hohen Bergen umgeben sei, durch welche
nur ein Paß führe. Die Hauptstadt hieße Ajulum. Sie habe prächtige Paläste
und Synagogen, und — nur die Sclaven in ihr seien Nichtjuden.

Es giebt Leute, welche meinen, dergleichen könne man näher haben, und wer
unsern Artikel bis zu Ende lesen will, dem kann wenigstens die Befürchtung auf¬
steigen, daß sich mitten in Deutschland und in nicht zu ferner Zukunft wirklich ein
solches Ajulum oder doch etwas sehr Aehnliches entwickeln werde.

Sind alle Berichte von indischen und birmanischen Juden einfach Abgeschmackt¬
heiten, so liegt den Erzählungen, die von geheimnißvollen arabischen Stämmen
jüdischer Abkunft wissen wollen, offenbar ein Korn Wahrheit zu Grunde. Die von
Salmanassar weggeführten Bewohner Nordpalästinas oder auch nur größere Reste
derselben sind nicht mehr aufzutreiben. Sie haben sich aller Wahrscheinlichkeit nach
in Mesopotamien, Persien und Kurdistan zerstreut und sind in die dort wohnenden
Völkerschaften aufgegangen. Dagegen ist wohl sicher, daß im Innern Arabiens
noch Stämme mit jüdischer Religion Hausen, die eine gewisse Unabhängigkeit be¬
wahren. Nur wird zu bezweifeln sein, daß sie von jüdischer Rasse und daß sie so
stark sind, wie manche Geschichtchen sie machen. Sie selbst nennen sich nach Frankls Ge¬
währsmännern Jehud Chebr, während die Beduinen sie mit den Namen Arad Seht
(Araber, die den Sabbat feiern, vielleicht auch Anhänger des oben erwähnten
Sabbatai Zebi) bezeichnen. Es heißt, sie verehrten Jethro, den Schwiegervater
des Moses, als Urahnen, was wir dahingestellt sein lassen. Gewiß aber ist, daß
sie Nomaden sind. „Indem sie es ungern sehen, wenn sie von Juden als Glaubens¬
genossen erkannt werden," berichtet Fränkl — richtiger möchte sein, zu sagen, indem
sie nicht als Stammverwandte der Juden betrachtet werden wollen —, „gehen sie
diesen soviel wie möglich aus dem Wege."

Der türkische Quarantäne-Arzt zu Chanekin an der persischen Grenze, ein
piemontesischer Jude, der den Feldzug der Aegypter in das arabische Binnenland
mitgemacht haben wollte, theilte dem Professor Petermann im Jahre 1854 über
dieses mysteriöse Volk Nachstehendes mit: „Der Weg zu den Chaibar führt von
Aden nach Mokka, von da nach Chodeida, dann nach Bir El Fachid (Bet El
Falls), von wo aus es zwei Straßen giebt, die eine geht nach Dschessan, die andere
nach Sana (Zanaa). Von Dschessan kommt man zu den Cham, wo die Chaibar
sind, und von da reist man über Braris, Komfoda und Lina nach Dschidda zurück."

Der Missionär Wolff, auch ein Jude, will bei den Chaibar gewesen sein und
unter ihnen Proselyten gemacht haben. Sie sind nach ihm sehr gastfrei, bewahren
aber streng ihre Religion und ihre Frauen. Der Talmud ist ihnen unbekannt,
dagegen besitzen sie schöne Pentateuche sowie andere Bücher, von denen man ander¬
wärts nichts weiß, und die in einer fremdartigen Schrift geschrieben sind. Sie


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[0319] Dem Rabbiner Joseph Schwarz, einem, wie es scheint, recht leichtgläubigen und phantastischen Menschenkinde, erzählte ein indischer Derwisch, der als Pilger nach Jerusalem gekommen war, von einem großen jüdischen Reiche, das 120 Tage¬ reisen von Kaschmir entfernt und rings von hohen Bergen umgeben sei, durch welche nur ein Paß führe. Die Hauptstadt hieße Ajulum. Sie habe prächtige Paläste und Synagogen, und — nur die Sclaven in ihr seien Nichtjuden. Es giebt Leute, welche meinen, dergleichen könne man näher haben, und wer unsern Artikel bis zu Ende lesen will, dem kann wenigstens die Befürchtung auf¬ steigen, daß sich mitten in Deutschland und in nicht zu ferner Zukunft wirklich ein solches Ajulum oder doch etwas sehr Aehnliches entwickeln werde. Sind alle Berichte von indischen und birmanischen Juden einfach Abgeschmackt¬ heiten, so liegt den Erzählungen, die von geheimnißvollen arabischen Stämmen jüdischer Abkunft wissen wollen, offenbar ein Korn Wahrheit zu Grunde. Die von Salmanassar weggeführten Bewohner Nordpalästinas oder auch nur größere Reste derselben sind nicht mehr aufzutreiben. Sie haben sich aller Wahrscheinlichkeit nach in Mesopotamien, Persien und Kurdistan zerstreut und sind in die dort wohnenden Völkerschaften aufgegangen. Dagegen ist wohl sicher, daß im Innern Arabiens noch Stämme mit jüdischer Religion Hausen, die eine gewisse Unabhängigkeit be¬ wahren. Nur wird zu bezweifeln sein, daß sie von jüdischer Rasse und daß sie so stark sind, wie manche Geschichtchen sie machen. Sie selbst nennen sich nach Frankls Ge¬ währsmännern Jehud Chebr, während die Beduinen sie mit den Namen Arad Seht (Araber, die den Sabbat feiern, vielleicht auch Anhänger des oben erwähnten Sabbatai Zebi) bezeichnen. Es heißt, sie verehrten Jethro, den Schwiegervater des Moses, als Urahnen, was wir dahingestellt sein lassen. Gewiß aber ist, daß sie Nomaden sind. „Indem sie es ungern sehen, wenn sie von Juden als Glaubens¬ genossen erkannt werden," berichtet Fränkl — richtiger möchte sein, zu sagen, indem sie nicht als Stammverwandte der Juden betrachtet werden wollen —, „gehen sie diesen soviel wie möglich aus dem Wege." Der türkische Quarantäne-Arzt zu Chanekin an der persischen Grenze, ein piemontesischer Jude, der den Feldzug der Aegypter in das arabische Binnenland mitgemacht haben wollte, theilte dem Professor Petermann im Jahre 1854 über dieses mysteriöse Volk Nachstehendes mit: „Der Weg zu den Chaibar führt von Aden nach Mokka, von da nach Chodeida, dann nach Bir El Fachid (Bet El Falls), von wo aus es zwei Straßen giebt, die eine geht nach Dschessan, die andere nach Sana (Zanaa). Von Dschessan kommt man zu den Cham, wo die Chaibar sind, und von da reist man über Braris, Komfoda und Lina nach Dschidda zurück." Der Missionär Wolff, auch ein Jude, will bei den Chaibar gewesen sein und unter ihnen Proselyten gemacht haben. Sie sind nach ihm sehr gastfrei, bewahren aber streng ihre Religion und ihre Frauen. Der Talmud ist ihnen unbekannt, dagegen besitzen sie schöne Pentateuche sowie andere Bücher, von denen man ander¬ wärts nichts weiß, und die in einer fremdartigen Schrift geschrieben sind. Sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/319>, abgerufen am 23.07.2024.