Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Posamentirer nähren. Berhältnißmäßig am stärksten vertreten ist das jüdische
Element des osmanischen Reiches in Salonik, wo ihm bei einer Gesammteinwohner-
zahl von 80000 Seelen über 18000 angehören. Diese leben nicht wie in Smyrna
und Konstantinopel vorwiegend von Handwerken, sondern vom Groß- und Klein¬
handel und sind meist in ärmlichen Umständen. Ihre Sprache und ihr Ritus sind
"spanisch". Ihr Oberrabbiner erstreckt seine Macht auch über die kleineren Nach¬
bargemeinden, ja bis nach Larissa, Trikala und Janina, in welchen Orten ebenfalls
zahlreiche Juden angesiedelt sind. Eine eigenthümliche Erscheinung unter denen in
Salonik sind die Minim, die ihrem äußeren Auftreten nach als Muhamedaner zu
betrachten sind, aber insgeheim jüdischem Glauben und Brauche huldigen, und die
man für Neste der kabbalistischen Secte hält, welche der tragikomische Pseudomessias
Sabbatai Zebi, ein Jude von Smyrna, um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts
stiftete.*) Sie zerfallen in drei verschiedene Klassen, die einander ungefähr ebenso
hassen und befehden wie die Muslime die orthodoxen Juden. Zwei von jenen
Klassen oder Sectenzweigen unterscheiden sich durch ihre Namen: sie nennen sich,
vermuthlich nach ihren Gründern, Cavaglieros und Cognos. Die letzteren studiren
besonders fleißig altjüdische Schriften und hegen namentlich vor dem kabbalistischen
Buche Sohar tiefe Verehrung. Die Minim heirathen nur unter einander, enthalten
sich berauschender Getränke, bewahren streng ihre religiösen Geheimnisse und strafen,
wie es heißt, den, welcher sich des Ausplauderns derselben schuldig macht, mit
dem Tode.

Ziemlich stark ist die Zahl der Juden auf den Inseln Rhodus und Cypern,
und auch auf Kreta haben sich deren gegen 800 niedergelassen, von denen die Hälfte
auf die Hauptstadt Cauca kommt. Die letzteren sind meist Handwerker und der
Sprache nach Spanier. Aschkenasim erscheinen hier sowie in den benachbarten Ge¬
meinden höchst selten und niemals um zu bleiben.

Wenden wir uns nach Syrien, so treffen wir zunächst in Beirut, dann in
Halcb und Damaskus jüdische Colonien. Die in Beirut zählt ungefähr 500 Seelen,
die mit Ausnahme von wenigen Sephardim aus Syrien selbst stammen, und deren
Beschäftigung fast nur der Handel ist; nur die Aermsten sind Lastträger. Vier
Meilen davon, in der Libanonstadt Deir El Kamar, existirt eine Judengemeinde
von 300 Mitgliedern, die meist Ackerbauer, Viehzüchter oder Maulthiertreiber sind
und eine Synagoge besitzen. Ihrem Ursprünge nach Syrer und nur Arabisch, die
Landessprache, redend, unterscheiden sie sich von ihren Nachbarn, wie behauptet wird,
allein durch ihre Religion. Andere dem Stamme nach syrische und arabisch spre¬
chende Judengemeinden sind die in Tripolis, die aus einigen achtzig, und die in
Hasbeia, die aus ungefähr 100 Seelen besteht. Diese sollen in ihren Gewohn-



Er trieb allerhand mystische Possen mit starker Tendenz aufs Einträgliche, fand un¬
geheuren Zulauf, verführte die Leute zu fast unglaublichen Albernheiten und trat, als die
türkische Regierung ihn endlich zur Verantwortung zog, aus Furcht vor dem Gepfähltwerden
zum Islam über. Als er später seine Rolle als Judenkönig wieder hervorsuchte, wurde er
von der Pforte nach Albanien verbannt, wo er 1676 starb.

Posamentirer nähren. Berhältnißmäßig am stärksten vertreten ist das jüdische
Element des osmanischen Reiches in Salonik, wo ihm bei einer Gesammteinwohner-
zahl von 80000 Seelen über 18000 angehören. Diese leben nicht wie in Smyrna
und Konstantinopel vorwiegend von Handwerken, sondern vom Groß- und Klein¬
handel und sind meist in ärmlichen Umständen. Ihre Sprache und ihr Ritus sind
„spanisch". Ihr Oberrabbiner erstreckt seine Macht auch über die kleineren Nach¬
bargemeinden, ja bis nach Larissa, Trikala und Janina, in welchen Orten ebenfalls
zahlreiche Juden angesiedelt sind. Eine eigenthümliche Erscheinung unter denen in
Salonik sind die Minim, die ihrem äußeren Auftreten nach als Muhamedaner zu
betrachten sind, aber insgeheim jüdischem Glauben und Brauche huldigen, und die
man für Neste der kabbalistischen Secte hält, welche der tragikomische Pseudomessias
Sabbatai Zebi, ein Jude von Smyrna, um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts
stiftete.*) Sie zerfallen in drei verschiedene Klassen, die einander ungefähr ebenso
hassen und befehden wie die Muslime die orthodoxen Juden. Zwei von jenen
Klassen oder Sectenzweigen unterscheiden sich durch ihre Namen: sie nennen sich,
vermuthlich nach ihren Gründern, Cavaglieros und Cognos. Die letzteren studiren
besonders fleißig altjüdische Schriften und hegen namentlich vor dem kabbalistischen
Buche Sohar tiefe Verehrung. Die Minim heirathen nur unter einander, enthalten
sich berauschender Getränke, bewahren streng ihre religiösen Geheimnisse und strafen,
wie es heißt, den, welcher sich des Ausplauderns derselben schuldig macht, mit
dem Tode.

Ziemlich stark ist die Zahl der Juden auf den Inseln Rhodus und Cypern,
und auch auf Kreta haben sich deren gegen 800 niedergelassen, von denen die Hälfte
auf die Hauptstadt Cauca kommt. Die letzteren sind meist Handwerker und der
Sprache nach Spanier. Aschkenasim erscheinen hier sowie in den benachbarten Ge¬
meinden höchst selten und niemals um zu bleiben.

Wenden wir uns nach Syrien, so treffen wir zunächst in Beirut, dann in
Halcb und Damaskus jüdische Colonien. Die in Beirut zählt ungefähr 500 Seelen,
die mit Ausnahme von wenigen Sephardim aus Syrien selbst stammen, und deren
Beschäftigung fast nur der Handel ist; nur die Aermsten sind Lastträger. Vier
Meilen davon, in der Libanonstadt Deir El Kamar, existirt eine Judengemeinde
von 300 Mitgliedern, die meist Ackerbauer, Viehzüchter oder Maulthiertreiber sind
und eine Synagoge besitzen. Ihrem Ursprünge nach Syrer und nur Arabisch, die
Landessprache, redend, unterscheiden sie sich von ihren Nachbarn, wie behauptet wird,
allein durch ihre Religion. Andere dem Stamme nach syrische und arabisch spre¬
chende Judengemeinden sind die in Tripolis, die aus einigen achtzig, und die in
Hasbeia, die aus ungefähr 100 Seelen besteht. Diese sollen in ihren Gewohn-



Er trieb allerhand mystische Possen mit starker Tendenz aufs Einträgliche, fand un¬
geheuren Zulauf, verführte die Leute zu fast unglaublichen Albernheiten und trat, als die
türkische Regierung ihn endlich zur Verantwortung zog, aus Furcht vor dem Gepfähltwerden
zum Islam über. Als er später seine Rolle als Judenkönig wieder hervorsuchte, wurde er
von der Pforte nach Albanien verbannt, wo er 1676 starb.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0317" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146246"/>
            <p xml:id="ID_901" prev="#ID_900"> Posamentirer nähren. Berhältnißmäßig am stärksten vertreten ist das jüdische<lb/>
Element des osmanischen Reiches in Salonik, wo ihm bei einer Gesammteinwohner-<lb/>
zahl von 80000 Seelen über 18000 angehören. Diese leben nicht wie in Smyrna<lb/>
und Konstantinopel vorwiegend von Handwerken, sondern vom Groß- und Klein¬<lb/>
handel und sind meist in ärmlichen Umständen. Ihre Sprache und ihr Ritus sind<lb/>
&#x201E;spanisch". Ihr Oberrabbiner erstreckt seine Macht auch über die kleineren Nach¬<lb/>
bargemeinden, ja bis nach Larissa, Trikala und Janina, in welchen Orten ebenfalls<lb/>
zahlreiche Juden angesiedelt sind. Eine eigenthümliche Erscheinung unter denen in<lb/>
Salonik sind die Minim, die ihrem äußeren Auftreten nach als Muhamedaner zu<lb/>
betrachten sind, aber insgeheim jüdischem Glauben und Brauche huldigen, und die<lb/>
man für Neste der kabbalistischen Secte hält, welche der tragikomische Pseudomessias<lb/>
Sabbatai Zebi, ein Jude von Smyrna, um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts<lb/>
stiftete.*) Sie zerfallen in drei verschiedene Klassen, die einander ungefähr ebenso<lb/>
hassen und befehden wie die Muslime die orthodoxen Juden. Zwei von jenen<lb/>
Klassen oder Sectenzweigen unterscheiden sich durch ihre Namen: sie nennen sich,<lb/>
vermuthlich nach ihren Gründern, Cavaglieros und Cognos. Die letzteren studiren<lb/>
besonders fleißig altjüdische Schriften und hegen namentlich vor dem kabbalistischen<lb/>
Buche Sohar tiefe Verehrung. Die Minim heirathen nur unter einander, enthalten<lb/>
sich berauschender Getränke, bewahren streng ihre religiösen Geheimnisse und strafen,<lb/>
wie es heißt, den, welcher sich des Ausplauderns derselben schuldig macht, mit<lb/>
dem Tode.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_902"> Ziemlich stark ist die Zahl der Juden auf den Inseln Rhodus und Cypern,<lb/>
und auch auf Kreta haben sich deren gegen 800 niedergelassen, von denen die Hälfte<lb/>
auf die Hauptstadt Cauca kommt. Die letzteren sind meist Handwerker und der<lb/>
Sprache nach Spanier. Aschkenasim erscheinen hier sowie in den benachbarten Ge¬<lb/>
meinden höchst selten und niemals um zu bleiben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_903" next="#ID_904"> Wenden wir uns nach Syrien, so treffen wir zunächst in Beirut, dann in<lb/>
Halcb und Damaskus jüdische Colonien. Die in Beirut zählt ungefähr 500 Seelen,<lb/>
die mit Ausnahme von wenigen Sephardim aus Syrien selbst stammen, und deren<lb/>
Beschäftigung fast nur der Handel ist; nur die Aermsten sind Lastträger. Vier<lb/>
Meilen davon, in der Libanonstadt Deir El Kamar, existirt eine Judengemeinde<lb/>
von 300 Mitgliedern, die meist Ackerbauer, Viehzüchter oder Maulthiertreiber sind<lb/>
und eine Synagoge besitzen. Ihrem Ursprünge nach Syrer und nur Arabisch, die<lb/>
Landessprache, redend, unterscheiden sie sich von ihren Nachbarn, wie behauptet wird,<lb/>
allein durch ihre Religion. Andere dem Stamme nach syrische und arabisch spre¬<lb/>
chende Judengemeinden sind die in Tripolis, die aus einigen achtzig, und die in<lb/>
Hasbeia, die aus ungefähr 100 Seelen besteht.  Diese sollen in ihren Gewohn-</p><lb/>
            <note xml:id="FID_36" place="foot"> Er trieb allerhand mystische Possen mit starker Tendenz aufs Einträgliche, fand un¬<lb/>
geheuren Zulauf, verführte die Leute zu fast unglaublichen Albernheiten und trat, als die<lb/>
türkische Regierung ihn endlich zur Verantwortung zog, aus Furcht vor dem Gepfähltwerden<lb/>
zum Islam über. Als er später seine Rolle als Judenkönig wieder hervorsuchte, wurde er<lb/>
von der Pforte nach Albanien verbannt, wo er 1676 starb.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0317] Posamentirer nähren. Berhältnißmäßig am stärksten vertreten ist das jüdische Element des osmanischen Reiches in Salonik, wo ihm bei einer Gesammteinwohner- zahl von 80000 Seelen über 18000 angehören. Diese leben nicht wie in Smyrna und Konstantinopel vorwiegend von Handwerken, sondern vom Groß- und Klein¬ handel und sind meist in ärmlichen Umständen. Ihre Sprache und ihr Ritus sind „spanisch". Ihr Oberrabbiner erstreckt seine Macht auch über die kleineren Nach¬ bargemeinden, ja bis nach Larissa, Trikala und Janina, in welchen Orten ebenfalls zahlreiche Juden angesiedelt sind. Eine eigenthümliche Erscheinung unter denen in Salonik sind die Minim, die ihrem äußeren Auftreten nach als Muhamedaner zu betrachten sind, aber insgeheim jüdischem Glauben und Brauche huldigen, und die man für Neste der kabbalistischen Secte hält, welche der tragikomische Pseudomessias Sabbatai Zebi, ein Jude von Smyrna, um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts stiftete.*) Sie zerfallen in drei verschiedene Klassen, die einander ungefähr ebenso hassen und befehden wie die Muslime die orthodoxen Juden. Zwei von jenen Klassen oder Sectenzweigen unterscheiden sich durch ihre Namen: sie nennen sich, vermuthlich nach ihren Gründern, Cavaglieros und Cognos. Die letzteren studiren besonders fleißig altjüdische Schriften und hegen namentlich vor dem kabbalistischen Buche Sohar tiefe Verehrung. Die Minim heirathen nur unter einander, enthalten sich berauschender Getränke, bewahren streng ihre religiösen Geheimnisse und strafen, wie es heißt, den, welcher sich des Ausplauderns derselben schuldig macht, mit dem Tode. Ziemlich stark ist die Zahl der Juden auf den Inseln Rhodus und Cypern, und auch auf Kreta haben sich deren gegen 800 niedergelassen, von denen die Hälfte auf die Hauptstadt Cauca kommt. Die letzteren sind meist Handwerker und der Sprache nach Spanier. Aschkenasim erscheinen hier sowie in den benachbarten Ge¬ meinden höchst selten und niemals um zu bleiben. Wenden wir uns nach Syrien, so treffen wir zunächst in Beirut, dann in Halcb und Damaskus jüdische Colonien. Die in Beirut zählt ungefähr 500 Seelen, die mit Ausnahme von wenigen Sephardim aus Syrien selbst stammen, und deren Beschäftigung fast nur der Handel ist; nur die Aermsten sind Lastträger. Vier Meilen davon, in der Libanonstadt Deir El Kamar, existirt eine Judengemeinde von 300 Mitgliedern, die meist Ackerbauer, Viehzüchter oder Maulthiertreiber sind und eine Synagoge besitzen. Ihrem Ursprünge nach Syrer und nur Arabisch, die Landessprache, redend, unterscheiden sie sich von ihren Nachbarn, wie behauptet wird, allein durch ihre Religion. Andere dem Stamme nach syrische und arabisch spre¬ chende Judengemeinden sind die in Tripolis, die aus einigen achtzig, und die in Hasbeia, die aus ungefähr 100 Seelen besteht. Diese sollen in ihren Gewohn- Er trieb allerhand mystische Possen mit starker Tendenz aufs Einträgliche, fand un¬ geheuren Zulauf, verführte die Leute zu fast unglaublichen Albernheiten und trat, als die türkische Regierung ihn endlich zur Verantwortung zog, aus Furcht vor dem Gepfähltwerden zum Islam über. Als er später seine Rolle als Judenkönig wieder hervorsuchte, wurde er von der Pforte nach Albanien verbannt, wo er 1676 starb.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/317
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/317>, abgerufen am 23.07.2024.