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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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bald wieder zunichte gemacht werden sollte durch die "Entphosphornngs-Patente",
die gegenwärtig vielfach in der Presse von sich reden machen.

Die Börsensveenlation -- um nicht zu sagen: eine unheilvolle Spiellust,
die nach jahrelanger erzwungener Zurückhaltung jetzt stärker denn je hervor¬
bricht -- hat es verstanden, auf Grund der wirthschaftlichen Reformen und im
Anschluß an den Schutzzoll in der Montan-Jndustrie einen Cursaufschwung zu
Stande zu bringen, der irrthümlich auf einen gleich intensiven Geschäftsauf¬
schwung schließen läßt. Ein Geschäftsaufschwung ist allerdings vorhanden, aber
nicht in Folge eines gesteigerten Verbrauches ihrer Jndustrie-Producte, sondern
in Folge einer höheren Verwerthung ihrer Industrie-Papiere. Die Industrie-
producte steigen nur um Proceuttheile im Werth, die Industrie-Papiere dagegen
erhöhen ihren Werth um das doppelte, dreifache, ja vierfache. Den Gewinn
daraus ziehen zunächst die Bankinstitute, welche nun ihre großen, noch aus der
Gründerperiode herrührenden Effecten-Bestände abstoßen können, wogegen die
Eisen- und Stahlwerke und die Kohlenzechen nach wie vor aus der Hand in
den Mund leben und nach der fast siebenjährigen Deroute schon zufrieden sein
müssen, daß sie überhaupt arbeiten können. Die strenge Winterkälte und das
Wiederanblasen von Hohöfen haben allerdings auch die Nachfrage nach Kohlen
und ihren'Preis gesteigert; diese Preiserhöhung kommt aber mehr den Händ¬
lern als den Zechen zu gute. Wenn aber auf der andern Seite ebenso sest steht,
daß der Verbrauch von Eisen sich nirgend gesteigert hat, und daß der über
Gebühr betonte Aufschwung sich auf die stärkere Nachfrage für Amerika reducirt,
die sicher eine schnell vorübergehende sein wird, ferner, daß die Entphosphorung
des Eisens eine Ueberproduction an Stahl sicher zur Folge haben muß, für die
endliche Hebung der Arbeits- und Arbeiternoth, also auch für die Zukunft wenig
oder keine Aussicht ist, so dürfte die Hoffnungsfreudigkeit, in welche die Montan¬
industrie so schnell und so leicht sich eingewiegt hat, schwerlich als eine gerecht¬
fertigte und auf realen Verhältnissen sicher begründete zu bezeichnen sein.

Wenn aber der neuen Erfindung der Entphosphorung des Eisens, deren
Gelingen zweifellos feststeht, wenn auch ihre technische Ausführung noch keines¬
wegs als eine vollkommene und abgeschlossene zu betrachten ist, schon jetzt mit
Zuversicht vorher gesagt werden darf, daß sie keine Aufhebung der Ueberpro¬
duction an Stahl, wohl aber die Verlängerung von Noth und Elend der
Arbeiterbevölkerung in ihrem Gefolge haben wird, so dürfte wohl der Versuch
gerechtfertigt sein, in die Erzeugung von Eisen und Stahl bez. deren Entphos¬
phorung und in das Wesen sowie die naturnothwendige Verschiebung der
Ueberproduction an Stahl auch dem Laien einen Einblick zu eröffnen.

Die Klammern und Dübel, welche vor 5000 Jahren schon die Aegypter
bei ihren Bauten verwendeten, die Geschütze und Geschosse im Mittelalter, so


bald wieder zunichte gemacht werden sollte durch die „Entphosphornngs-Patente",
die gegenwärtig vielfach in der Presse von sich reden machen.

Die Börsensveenlation — um nicht zu sagen: eine unheilvolle Spiellust,
die nach jahrelanger erzwungener Zurückhaltung jetzt stärker denn je hervor¬
bricht — hat es verstanden, auf Grund der wirthschaftlichen Reformen und im
Anschluß an den Schutzzoll in der Montan-Jndustrie einen Cursaufschwung zu
Stande zu bringen, der irrthümlich auf einen gleich intensiven Geschäftsauf¬
schwung schließen läßt. Ein Geschäftsaufschwung ist allerdings vorhanden, aber
nicht in Folge eines gesteigerten Verbrauches ihrer Jndustrie-Producte, sondern
in Folge einer höheren Verwerthung ihrer Industrie-Papiere. Die Industrie-
producte steigen nur um Proceuttheile im Werth, die Industrie-Papiere dagegen
erhöhen ihren Werth um das doppelte, dreifache, ja vierfache. Den Gewinn
daraus ziehen zunächst die Bankinstitute, welche nun ihre großen, noch aus der
Gründerperiode herrührenden Effecten-Bestände abstoßen können, wogegen die
Eisen- und Stahlwerke und die Kohlenzechen nach wie vor aus der Hand in
den Mund leben und nach der fast siebenjährigen Deroute schon zufrieden sein
müssen, daß sie überhaupt arbeiten können. Die strenge Winterkälte und das
Wiederanblasen von Hohöfen haben allerdings auch die Nachfrage nach Kohlen
und ihren'Preis gesteigert; diese Preiserhöhung kommt aber mehr den Händ¬
lern als den Zechen zu gute. Wenn aber auf der andern Seite ebenso sest steht,
daß der Verbrauch von Eisen sich nirgend gesteigert hat, und daß der über
Gebühr betonte Aufschwung sich auf die stärkere Nachfrage für Amerika reducirt,
die sicher eine schnell vorübergehende sein wird, ferner, daß die Entphosphorung
des Eisens eine Ueberproduction an Stahl sicher zur Folge haben muß, für die
endliche Hebung der Arbeits- und Arbeiternoth, also auch für die Zukunft wenig
oder keine Aussicht ist, so dürfte die Hoffnungsfreudigkeit, in welche die Montan¬
industrie so schnell und so leicht sich eingewiegt hat, schwerlich als eine gerecht¬
fertigte und auf realen Verhältnissen sicher begründete zu bezeichnen sein.

Wenn aber der neuen Erfindung der Entphosphorung des Eisens, deren
Gelingen zweifellos feststeht, wenn auch ihre technische Ausführung noch keines¬
wegs als eine vollkommene und abgeschlossene zu betrachten ist, schon jetzt mit
Zuversicht vorher gesagt werden darf, daß sie keine Aufhebung der Ueberpro¬
duction an Stahl, wohl aber die Verlängerung von Noth und Elend der
Arbeiterbevölkerung in ihrem Gefolge haben wird, so dürfte wohl der Versuch
gerechtfertigt sein, in die Erzeugung von Eisen und Stahl bez. deren Entphos¬
phorung und in das Wesen sowie die naturnothwendige Verschiebung der
Ueberproduction an Stahl auch dem Laien einen Einblick zu eröffnen.

Die Klammern und Dübel, welche vor 5000 Jahren schon die Aegypter
bei ihren Bauten verwendeten, die Geschütze und Geschosse im Mittelalter, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/298>, abgerufen am 23.07.2024.