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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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bau noch zu vervollkommnen, und ich habe zugleich die Absicht, in meinen
Kindern ein lebendes System, eine rechte Wissenschaftschule zu hinterlassen,
welche dann das fortführt und vollendet, was ich begonnen habe. Ich muß daher
aushalten; es scheint, ich erreiche meine Absicht; aber ich setze mir dieß nicht in
den Kopf; ich thue meine Pflicht, und denke, wenn es wesentlich im Wesen, oder
mit dem Volke zu reden, wenn es Gottes Wille ist, wird es geschehen. Erreiche
ich diese Absicht auch nicht ganz, so werden doch meine Kinder besser erzogen, als
die Mehrzahl, von mir gehen. Und dann, im vierzigsten Jahre, bin ich auch nicht
veraltet, wenn ich sonst leben soll, sondern im schönsten Mannesalter, und meine
Geisteskräfte fühle ich jetzt immer noch zunehmen. Wenn wir so
glücklich sind, uns einander in Muße zu sehen und mitzutheilen, will ich Ihnen das
Eigenwesentliche meines Systems erklären, wo Sie dann mit mir einsehen werden,
daß der Entwurf zu einem weseninnigen Menschheitleben, in einem werdenden
Menschheitbunde, der in dem Wissenschaftbaue, so wie ich ihn schaue, nur erfaßt
werden kann, das Höchste ist, oder vielmehr das Ganze, Einwesentliche, was Menschen
auf Erden und im Himmel ersinnen, lieben, wollen und ausführen können, und
daß dafür Wesentliches zu wirken, wie ich bereits gethan habe, ob es gleich wenige
Zeitgenossen ahnen, eines Lebens voll Leiden, ja so vieler solcher Leben, als nöthig
ist, werth ist. Daß zuerst wenige bemerken, was geschieht, "ut daß die Stifter des
neuen, vollwesentlichen Lebens äußerlich leiden müssen, das ist selbst im Entfaltgange
der Menschheit wesentlich, und ich übernehme dieß von Herzen gern, und strebe
nach Muth und Geduld, alles Widrige zu tragen. -- Hierauf beziehe ich alles,
was ich denke und thue, auch die Bearbeitung meines Urwortthums und meine
Reise stehen in wesentlicher Beziehung auf meinen Hauptzweck. Sie haben mir
gesagt, daß Sie einst, als ich totkrank war, mein Leben erbeten; ich hoffe zu Gott,
daß ich auch in Zukunft mein Leben gut anwenden werde."

Und als ihm sein Vater geschrieben hatte: "Es heißt, Professor Kothe in
Jena werde Generalsuperintendent in Gotha werden. Dieser ging aufs Gerathe¬
wohl nach Jena und hat sein Glück da gefunden, und Du wolltest Dich damals,
als Du wieder zurück gehen solltest, nicht dazu entschließen, und hast nun 14
Jahre in Sorgen und Mühe ohne alle Aussicht Dich kümmerlich durcharbeiten
müssen. Welche unbegreifliche Wege der Fürsehung!" antwortete er am 14.
Mai 1816: "Ich habe mich kümmerlich und kummervoll durcharbeiten müssen;
aber das, wozu ich durchgedrungen bin, ist auch höher als alle Schätze und
äußerlichen Aemter der Erde. JchbinmitGottesWegenvölligzufrieden."

Die Erziehung seiner Kinder hatte nicht den Erfolg, den er hoffte. Die
älteste Tochter Sophie wollte er zur Künstlerin, speciell zur Sängerin ausbilden,
aber zu einer Anstellung derselben als Sängerin kam es nicht; später verheirathete
sie sich (in Göttingen) mit dem nachmals berühmten Sinologen Plath. Seine
Söhne gab er 1820 ans die Kreuzschule, später zwei nach Altenburg, vollendete


bau noch zu vervollkommnen, und ich habe zugleich die Absicht, in meinen
Kindern ein lebendes System, eine rechte Wissenschaftschule zu hinterlassen,
welche dann das fortführt und vollendet, was ich begonnen habe. Ich muß daher
aushalten; es scheint, ich erreiche meine Absicht; aber ich setze mir dieß nicht in
den Kopf; ich thue meine Pflicht, und denke, wenn es wesentlich im Wesen, oder
mit dem Volke zu reden, wenn es Gottes Wille ist, wird es geschehen. Erreiche
ich diese Absicht auch nicht ganz, so werden doch meine Kinder besser erzogen, als
die Mehrzahl, von mir gehen. Und dann, im vierzigsten Jahre, bin ich auch nicht
veraltet, wenn ich sonst leben soll, sondern im schönsten Mannesalter, und meine
Geisteskräfte fühle ich jetzt immer noch zunehmen. Wenn wir so
glücklich sind, uns einander in Muße zu sehen und mitzutheilen, will ich Ihnen das
Eigenwesentliche meines Systems erklären, wo Sie dann mit mir einsehen werden,
daß der Entwurf zu einem weseninnigen Menschheitleben, in einem werdenden
Menschheitbunde, der in dem Wissenschaftbaue, so wie ich ihn schaue, nur erfaßt
werden kann, das Höchste ist, oder vielmehr das Ganze, Einwesentliche, was Menschen
auf Erden und im Himmel ersinnen, lieben, wollen und ausführen können, und
daß dafür Wesentliches zu wirken, wie ich bereits gethan habe, ob es gleich wenige
Zeitgenossen ahnen, eines Lebens voll Leiden, ja so vieler solcher Leben, als nöthig
ist, werth ist. Daß zuerst wenige bemerken, was geschieht, »ut daß die Stifter des
neuen, vollwesentlichen Lebens äußerlich leiden müssen, das ist selbst im Entfaltgange
der Menschheit wesentlich, und ich übernehme dieß von Herzen gern, und strebe
nach Muth und Geduld, alles Widrige zu tragen. — Hierauf beziehe ich alles,
was ich denke und thue, auch die Bearbeitung meines Urwortthums und meine
Reise stehen in wesentlicher Beziehung auf meinen Hauptzweck. Sie haben mir
gesagt, daß Sie einst, als ich totkrank war, mein Leben erbeten; ich hoffe zu Gott,
daß ich auch in Zukunft mein Leben gut anwenden werde."

Und als ihm sein Vater geschrieben hatte: „Es heißt, Professor Kothe in
Jena werde Generalsuperintendent in Gotha werden. Dieser ging aufs Gerathe¬
wohl nach Jena und hat sein Glück da gefunden, und Du wolltest Dich damals,
als Du wieder zurück gehen solltest, nicht dazu entschließen, und hast nun 14
Jahre in Sorgen und Mühe ohne alle Aussicht Dich kümmerlich durcharbeiten
müssen. Welche unbegreifliche Wege der Fürsehung!" antwortete er am 14.
Mai 1816: „Ich habe mich kümmerlich und kummervoll durcharbeiten müssen;
aber das, wozu ich durchgedrungen bin, ist auch höher als alle Schätze und
äußerlichen Aemter der Erde. JchbinmitGottesWegenvölligzufrieden."

Die Erziehung seiner Kinder hatte nicht den Erfolg, den er hoffte. Die
älteste Tochter Sophie wollte er zur Künstlerin, speciell zur Sängerin ausbilden,
aber zu einer Anstellung derselben als Sängerin kam es nicht; später verheirathete
sie sich (in Göttingen) mit dem nachmals berühmten Sinologen Plath. Seine
Söhne gab er 1820 ans die Kreuzschule, später zwei nach Altenburg, vollendete


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/295>, abgerufen am 23.07.2024.