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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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und Freundschaft einzuladen? da gerade ein Theil davon beschäftigt ist, den andern
todtzuschlagen und zu schinden, da Mangel und Elend überall einreihen, grade weil
ein Theil der Menschen alles Gewerbe und Mittel etwas zu verdienen geflissentlich
zerstöret, dabey aber den andern mit ungeheuren Abgaben belastet, als wenn sie
Wunder wie viel zu erwerben im Stande wären. -- Ihr Glaubensbekenntniß verstehe
ich großentheils gar nicht, und was ich verstehe, kann ich (bis auf wenige Punkte)
nicht unterschreiben. Noch ist zu allen den Bünden, als der Rechtsbund, Gottinnig--
keitsbund u. s. w. u. s. w. blutwenig Anstalt gemacht worden. Der zuletzt gemachte
Bund war der Rheinbund. Daß ich der eintzige preuumorÄut hiesigen Ortes zu
Ihrem Tageblatte bin, konnten Sie leicht errathen, da manu hier der natürlichen Religion
entrathen zu können glaubt und sich blos an die Offenbarung hält -- und es mag
jeder Unbefangene, Unparteiische mir sagen, ob Ihr Glaubensbekenntniß nicht viel
schwerer zu begreifen ist, als das allerorthodoxeste; was ist denn also dabey ge¬
wonnen? -- Ich sehe Sie, lieber Freund, hinter einer bunten Seifenblase her ins
Verderben rennen -- Anstatt Ihre Zeit zu Ihrer Familie Besten, nützlich anzuwenden,
vergeuden Sie sie auf eine Art, die mir unglaublich vorkommen würde, wenn ich
es nicht sähe. Wären Sie nicht ein durchaus gutherziger Mann, so würde ich
besorgen müssen, daß Sie böse werden auf Ihren warhaft ergebner Freund und
Diener Geßler."

Graf Geßler war damals etwa 56 Jahre alt, also ein Mann, der das
Leben kannte; er nahm in jener Zeit Unterricht bei Krause in der Mathematik,
besaß also ungewöhnliches wissenschaftliches Interesse; er war endlich, wie aus
seinen Briefen hervorgeht, ein aufrichtiger, wahrhaft treuer Freund Krauses.
Wenn also er schon so urtheilte, wie geringen Beifall wird das "Tagblatt"
wohl bei der großen Menge gefunden haben! Und doch sind zu Krauses
"Menschheitbunde" seit der Zeit des "Tagblatts" große Anfänge gemacht worden;
am 7. März 1811 schrieb er in demselben einen kurzen Artikel in Gesprächsform
über "den Telegraph und seine Deutung", in welchem es u. a. heißt: "Durch die
Erfindung des Telegraphen ist das, was vorher nur Idee war, daß die ge¬
stimmte Menschheit, wie durch Ein Tngendgesetz bestimmt, so auch einst noch
durch einen einzigen irdischen Königwillen geleitet werden könne, um ihre ge-
sammten heiligen Zwecke mit allbesiegender Kraft zu erstreben, eine beginnende
Erscheinung geworden. Denn gleichwie, wenn Napoleon wollte, sein Herrscher¬
wille binnen zwei Stunden aus einem Lager vor Cadix bis nach Danzig reichen
würde, so kann auch einst noch von der Capstadt nach Buenos Ayres über
Suez und Kamtschatka ein Befehl in wenigen Tagen gelangen." Dergleichen
galt damals für die Ausgeburt einer ungezügelten Phantasie, über welche man
lächelte; wenn aber heute nahezu und zum Theil großartiger erfüllt ist, was
Krause damals im Geiste sah, sollte das wirklich nur ein sonderbarer Zufall sein?

Nach dem "Tagblatt des Menschheitlebens" beschäftigten Krause die mannig-


und Freundschaft einzuladen? da gerade ein Theil davon beschäftigt ist, den andern
todtzuschlagen und zu schinden, da Mangel und Elend überall einreihen, grade weil
ein Theil der Menschen alles Gewerbe und Mittel etwas zu verdienen geflissentlich
zerstöret, dabey aber den andern mit ungeheuren Abgaben belastet, als wenn sie
Wunder wie viel zu erwerben im Stande wären. — Ihr Glaubensbekenntniß verstehe
ich großentheils gar nicht, und was ich verstehe, kann ich (bis auf wenige Punkte)
nicht unterschreiben. Noch ist zu allen den Bünden, als der Rechtsbund, Gottinnig--
keitsbund u. s. w. u. s. w. blutwenig Anstalt gemacht worden. Der zuletzt gemachte
Bund war der Rheinbund. Daß ich der eintzige preuumorÄut hiesigen Ortes zu
Ihrem Tageblatte bin, konnten Sie leicht errathen, da manu hier der natürlichen Religion
entrathen zu können glaubt und sich blos an die Offenbarung hält — und es mag
jeder Unbefangene, Unparteiische mir sagen, ob Ihr Glaubensbekenntniß nicht viel
schwerer zu begreifen ist, als das allerorthodoxeste; was ist denn also dabey ge¬
wonnen? — Ich sehe Sie, lieber Freund, hinter einer bunten Seifenblase her ins
Verderben rennen — Anstatt Ihre Zeit zu Ihrer Familie Besten, nützlich anzuwenden,
vergeuden Sie sie auf eine Art, die mir unglaublich vorkommen würde, wenn ich
es nicht sähe. Wären Sie nicht ein durchaus gutherziger Mann, so würde ich
besorgen müssen, daß Sie böse werden auf Ihren warhaft ergebner Freund und
Diener Geßler."

Graf Geßler war damals etwa 56 Jahre alt, also ein Mann, der das
Leben kannte; er nahm in jener Zeit Unterricht bei Krause in der Mathematik,
besaß also ungewöhnliches wissenschaftliches Interesse; er war endlich, wie aus
seinen Briefen hervorgeht, ein aufrichtiger, wahrhaft treuer Freund Krauses.
Wenn also er schon so urtheilte, wie geringen Beifall wird das „Tagblatt"
wohl bei der großen Menge gefunden haben! Und doch sind zu Krauses
„Menschheitbunde" seit der Zeit des „Tagblatts" große Anfänge gemacht worden;
am 7. März 1811 schrieb er in demselben einen kurzen Artikel in Gesprächsform
über „den Telegraph und seine Deutung", in welchem es u. a. heißt: „Durch die
Erfindung des Telegraphen ist das, was vorher nur Idee war, daß die ge¬
stimmte Menschheit, wie durch Ein Tngendgesetz bestimmt, so auch einst noch
durch einen einzigen irdischen Königwillen geleitet werden könne, um ihre ge-
sammten heiligen Zwecke mit allbesiegender Kraft zu erstreben, eine beginnende
Erscheinung geworden. Denn gleichwie, wenn Napoleon wollte, sein Herrscher¬
wille binnen zwei Stunden aus einem Lager vor Cadix bis nach Danzig reichen
würde, so kann auch einst noch von der Capstadt nach Buenos Ayres über
Suez und Kamtschatka ein Befehl in wenigen Tagen gelangen." Dergleichen
galt damals für die Ausgeburt einer ungezügelten Phantasie, über welche man
lächelte; wenn aber heute nahezu und zum Theil großartiger erfüllt ist, was
Krause damals im Geiste sah, sollte das wirklich nur ein sonderbarer Zufall sein?

Nach dem „Tagblatt des Menschheitlebens" beschäftigten Krause die mannig-


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[0287] und Freundschaft einzuladen? da gerade ein Theil davon beschäftigt ist, den andern todtzuschlagen und zu schinden, da Mangel und Elend überall einreihen, grade weil ein Theil der Menschen alles Gewerbe und Mittel etwas zu verdienen geflissentlich zerstöret, dabey aber den andern mit ungeheuren Abgaben belastet, als wenn sie Wunder wie viel zu erwerben im Stande wären. — Ihr Glaubensbekenntniß verstehe ich großentheils gar nicht, und was ich verstehe, kann ich (bis auf wenige Punkte) nicht unterschreiben. Noch ist zu allen den Bünden, als der Rechtsbund, Gottinnig-- keitsbund u. s. w. u. s. w. blutwenig Anstalt gemacht worden. Der zuletzt gemachte Bund war der Rheinbund. Daß ich der eintzige preuumorÄut hiesigen Ortes zu Ihrem Tageblatte bin, konnten Sie leicht errathen, da manu hier der natürlichen Religion entrathen zu können glaubt und sich blos an die Offenbarung hält — und es mag jeder Unbefangene, Unparteiische mir sagen, ob Ihr Glaubensbekenntniß nicht viel schwerer zu begreifen ist, als das allerorthodoxeste; was ist denn also dabey ge¬ wonnen? — Ich sehe Sie, lieber Freund, hinter einer bunten Seifenblase her ins Verderben rennen — Anstatt Ihre Zeit zu Ihrer Familie Besten, nützlich anzuwenden, vergeuden Sie sie auf eine Art, die mir unglaublich vorkommen würde, wenn ich es nicht sähe. Wären Sie nicht ein durchaus gutherziger Mann, so würde ich besorgen müssen, daß Sie böse werden auf Ihren warhaft ergebner Freund und Diener Geßler." Graf Geßler war damals etwa 56 Jahre alt, also ein Mann, der das Leben kannte; er nahm in jener Zeit Unterricht bei Krause in der Mathematik, besaß also ungewöhnliches wissenschaftliches Interesse; er war endlich, wie aus seinen Briefen hervorgeht, ein aufrichtiger, wahrhaft treuer Freund Krauses. Wenn also er schon so urtheilte, wie geringen Beifall wird das „Tagblatt" wohl bei der großen Menge gefunden haben! Und doch sind zu Krauses „Menschheitbunde" seit der Zeit des „Tagblatts" große Anfänge gemacht worden; am 7. März 1811 schrieb er in demselben einen kurzen Artikel in Gesprächsform über „den Telegraph und seine Deutung", in welchem es u. a. heißt: „Durch die Erfindung des Telegraphen ist das, was vorher nur Idee war, daß die ge¬ stimmte Menschheit, wie durch Ein Tngendgesetz bestimmt, so auch einst noch durch einen einzigen irdischen Königwillen geleitet werden könne, um ihre ge- sammten heiligen Zwecke mit allbesiegender Kraft zu erstreben, eine beginnende Erscheinung geworden. Denn gleichwie, wenn Napoleon wollte, sein Herrscher¬ wille binnen zwei Stunden aus einem Lager vor Cadix bis nach Danzig reichen würde, so kann auch einst noch von der Capstadt nach Buenos Ayres über Suez und Kamtschatka ein Befehl in wenigen Tagen gelangen." Dergleichen galt damals für die Ausgeburt einer ungezügelten Phantasie, über welche man lächelte; wenn aber heute nahezu und zum Theil großartiger erfüllt ist, was Krause damals im Geiste sah, sollte das wirklich nur ein sonderbarer Zufall sein? Nach dem „Tagblatt des Menschheitlebens" beschäftigten Krause die mannig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/287>, abgerufen am 03.07.2024.