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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Gottesglaube entsprechen, wenn auch ein schwer faßbarer und nicht näher be¬
stimmbarer.") Uebrigens schlug die unpersönliche Gottesvorstellung Buddhas
bei seinen Anhängern bald genug in seine eigene Vergötterung um.

Was aber Buddhas That nicht gewesen sein mag, könnte deswegen immer
auf christlichem Boden sich vollziehen: die völlige Loslösung der Sittlichkeit von
der Religion. Hat doch die Reformation wenigstens die sclavische Bevormun¬
dung des sittlichen Lebens durch die Kirche abgeschüttelt, und haben doch nament¬
lich Kant und Lessing die Selbständigkeit der Sittlichkeit gegenüber der Religion
betont. Aber im Grunde haben doch auch diese großen Geister ihre sittlichen
Ideale nicht aus den Fingern gesogen, sondern wurzeln mit denselben in dem
sittlichen Gemeingeist, an dessen geschichtlicher Ausbildung kein anderer Factor
so mächtig mitgewirkt hat wie das Christenthum. Das Gefühl der Selbständig¬
keit gegenüber dem kirchlichen Machtgebot ist also vollkommen berechtigt und
selber echt christlich, die Verwechselung der unbedingten kirchlichen Autorität mit
der christlichen Religion aber und die in Folge dessen häufige Verleugnung
dieser zugleich mit jener, wenn auch begreiflich, so doch unberechtigt.

Um auch die segensreichen Wirkungen wahrer Religiosität auf das sittliche
Leben in einzelnen Beziehungen nachzuweisen, greift Happel dennoch feine Bei¬
spiele zunächst nicht aus der Geschichte christlicher Völker heraus, weil sich hier
mit dem Strome christlicher Frömmigkeit so viele Nebenflüsse anderer Art vereint
haben, daß man sehr schwer mit Sicherheit entscheiden kann, welche Bestand¬
theile desselben gerade dieses oder jenes Räderwerk in Gang setzen. Er zieht
es vor, einen Blick in das Leben der Besseren in Israel zu thun, in welchem
entschieden die Religion, welche im Christenthum zur Vollendung kam, die mäch¬
tigste Triebfeder war, und weist hin auf die sittliche Reinheit, welche Israel
vor den Hellenen auszeichnet, hinter denen es doch an Cultur soweit zurückstand,
auf die Hoffnungsfreudigkeit, welche auf dem Bewußtsein beruht, daß man nicht
bloß einzelne Güter hat, sondern in Gott die Quelle aller Güter, und auf jene
daraus hervorgehende Zähigkeit, mit der sich das Volk in allen Schicksalsstürmen
als den "Knecht Gottes" behauptet.

Solche sittliche Wirkungen brachte die Religion Israels hervor, obgleich sie
selbst ihr Wesen noch als Gottesfurcht bezeichnet. Wie viel mehr noch mußte
die Religion der Gottes kindschaft ausrichten, welche außerdem noch den oft
so fanatisch auflodernden nationalen Partikularismus überwand!

Es bleibt noch nach Happels Ausdruck die Frage nach dem Schicksal der religiö¬
sen Anlage übrig. Selbstverständlich kann es sich hier nicht um den Versuch handeln,



Für die letztere Auffassung des Nirwana trat der religiös ganz unbefangene jung
Inder lebhaft ein, der vor kurzem in Leipzig studirte.
Grenzboten I. 1880. 36

Gottesglaube entsprechen, wenn auch ein schwer faßbarer und nicht näher be¬
stimmbarer.") Uebrigens schlug die unpersönliche Gottesvorstellung Buddhas
bei seinen Anhängern bald genug in seine eigene Vergötterung um.

Was aber Buddhas That nicht gewesen sein mag, könnte deswegen immer
auf christlichem Boden sich vollziehen: die völlige Loslösung der Sittlichkeit von
der Religion. Hat doch die Reformation wenigstens die sclavische Bevormun¬
dung des sittlichen Lebens durch die Kirche abgeschüttelt, und haben doch nament¬
lich Kant und Lessing die Selbständigkeit der Sittlichkeit gegenüber der Religion
betont. Aber im Grunde haben doch auch diese großen Geister ihre sittlichen
Ideale nicht aus den Fingern gesogen, sondern wurzeln mit denselben in dem
sittlichen Gemeingeist, an dessen geschichtlicher Ausbildung kein anderer Factor
so mächtig mitgewirkt hat wie das Christenthum. Das Gefühl der Selbständig¬
keit gegenüber dem kirchlichen Machtgebot ist also vollkommen berechtigt und
selber echt christlich, die Verwechselung der unbedingten kirchlichen Autorität mit
der christlichen Religion aber und die in Folge dessen häufige Verleugnung
dieser zugleich mit jener, wenn auch begreiflich, so doch unberechtigt.

Um auch die segensreichen Wirkungen wahrer Religiosität auf das sittliche
Leben in einzelnen Beziehungen nachzuweisen, greift Happel dennoch feine Bei¬
spiele zunächst nicht aus der Geschichte christlicher Völker heraus, weil sich hier
mit dem Strome christlicher Frömmigkeit so viele Nebenflüsse anderer Art vereint
haben, daß man sehr schwer mit Sicherheit entscheiden kann, welche Bestand¬
theile desselben gerade dieses oder jenes Räderwerk in Gang setzen. Er zieht
es vor, einen Blick in das Leben der Besseren in Israel zu thun, in welchem
entschieden die Religion, welche im Christenthum zur Vollendung kam, die mäch¬
tigste Triebfeder war, und weist hin auf die sittliche Reinheit, welche Israel
vor den Hellenen auszeichnet, hinter denen es doch an Cultur soweit zurückstand,
auf die Hoffnungsfreudigkeit, welche auf dem Bewußtsein beruht, daß man nicht
bloß einzelne Güter hat, sondern in Gott die Quelle aller Güter, und auf jene
daraus hervorgehende Zähigkeit, mit der sich das Volk in allen Schicksalsstürmen
als den „Knecht Gottes" behauptet.

Solche sittliche Wirkungen brachte die Religion Israels hervor, obgleich sie
selbst ihr Wesen noch als Gottesfurcht bezeichnet. Wie viel mehr noch mußte
die Religion der Gottes kindschaft ausrichten, welche außerdem noch den oft
so fanatisch auflodernden nationalen Partikularismus überwand!

Es bleibt noch nach Happels Ausdruck die Frage nach dem Schicksal der religiö¬
sen Anlage übrig. Selbstverständlich kann es sich hier nicht um den Versuch handeln,



Für die letztere Auffassung des Nirwana trat der religiös ganz unbefangene jung
Inder lebhaft ein, der vor kurzem in Leipzig studirte.
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[0281] Gottesglaube entsprechen, wenn auch ein schwer faßbarer und nicht näher be¬ stimmbarer.") Uebrigens schlug die unpersönliche Gottesvorstellung Buddhas bei seinen Anhängern bald genug in seine eigene Vergötterung um. Was aber Buddhas That nicht gewesen sein mag, könnte deswegen immer auf christlichem Boden sich vollziehen: die völlige Loslösung der Sittlichkeit von der Religion. Hat doch die Reformation wenigstens die sclavische Bevormun¬ dung des sittlichen Lebens durch die Kirche abgeschüttelt, und haben doch nament¬ lich Kant und Lessing die Selbständigkeit der Sittlichkeit gegenüber der Religion betont. Aber im Grunde haben doch auch diese großen Geister ihre sittlichen Ideale nicht aus den Fingern gesogen, sondern wurzeln mit denselben in dem sittlichen Gemeingeist, an dessen geschichtlicher Ausbildung kein anderer Factor so mächtig mitgewirkt hat wie das Christenthum. Das Gefühl der Selbständig¬ keit gegenüber dem kirchlichen Machtgebot ist also vollkommen berechtigt und selber echt christlich, die Verwechselung der unbedingten kirchlichen Autorität mit der christlichen Religion aber und die in Folge dessen häufige Verleugnung dieser zugleich mit jener, wenn auch begreiflich, so doch unberechtigt. Um auch die segensreichen Wirkungen wahrer Religiosität auf das sittliche Leben in einzelnen Beziehungen nachzuweisen, greift Happel dennoch feine Bei¬ spiele zunächst nicht aus der Geschichte christlicher Völker heraus, weil sich hier mit dem Strome christlicher Frömmigkeit so viele Nebenflüsse anderer Art vereint haben, daß man sehr schwer mit Sicherheit entscheiden kann, welche Bestand¬ theile desselben gerade dieses oder jenes Räderwerk in Gang setzen. Er zieht es vor, einen Blick in das Leben der Besseren in Israel zu thun, in welchem entschieden die Religion, welche im Christenthum zur Vollendung kam, die mäch¬ tigste Triebfeder war, und weist hin auf die sittliche Reinheit, welche Israel vor den Hellenen auszeichnet, hinter denen es doch an Cultur soweit zurückstand, auf die Hoffnungsfreudigkeit, welche auf dem Bewußtsein beruht, daß man nicht bloß einzelne Güter hat, sondern in Gott die Quelle aller Güter, und auf jene daraus hervorgehende Zähigkeit, mit der sich das Volk in allen Schicksalsstürmen als den „Knecht Gottes" behauptet. Solche sittliche Wirkungen brachte die Religion Israels hervor, obgleich sie selbst ihr Wesen noch als Gottesfurcht bezeichnet. Wie viel mehr noch mußte die Religion der Gottes kindschaft ausrichten, welche außerdem noch den oft so fanatisch auflodernden nationalen Partikularismus überwand! Es bleibt noch nach Happels Ausdruck die Frage nach dem Schicksal der religiö¬ sen Anlage übrig. Selbstverständlich kann es sich hier nicht um den Versuch handeln, Für die letztere Auffassung des Nirwana trat der religiös ganz unbefangene jung Inder lebhaft ein, der vor kurzem in Leipzig studirte. Grenzboten I. 1880. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/281>, abgerufen am 23.07.2024.