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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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"Israel ging gerade den umgekehrten Weg wie Griechenland; während dieses
von der Sittlichkeit ausgehend zu Gott, kam Israel von der Religion zur Sitt¬
lichkeit. Seine eigentliche Geschichte beginnt ,das Volks Gottes mit der Idee
einer absoluten Persönlichkeit, eines schlechthin überweltlichen, heilig-geistigen,
moralischen Gottes, eines Seins, das nichts ist als Verstand und Wille" -- aber
doch wohl auch Gefühl? --, "und dessen Absehen daher einzig auf die Herstellung
der moralischen Normalität des Handelns gerichtet ist. Während auch von den
griechischen Göttern noch gesagt werden muß, daß sie durch Menschen gemacht
sind, gilt von dem Gotte Israels vielmehr, daß er Israel gemacht hat." Mit
diesen Worten schildert Happel die alttestamentliche Religion als den Anfang
der normalifirten, von oben her in die rechte Bahn gerückten Religionsentwickelung.
Dies ist wieder eine von den Anschauungen Richard Rothes, dem seine lebensvolle,
realistische Frömmigkeit den Muth gab, mit dem Bewußtsein der göttlichen Nähe
und des göttlichen Wirkens auch insofern Ernst zu machen, daß er an bestimmten
Punkten ein besonderes Eingreifen Gottes in die menschliche Geschichte wissen¬
schaftlich nachzuweisen suchte, das immerhin nicht in einem Zauberschlage, sondern
in einem durch den Organismus des menschlichen Wesens vermittelten geistig¬
sittlichen Impuls bestehe. Wenn dieser Begriff der Wirksamkeit Gottes auf den
Menschen auch ein sehr würdiger und einleuchtender ist, so lassen sich doch für
die wissenschaftliche Erkenntniß gewiß nicht die einzelnen Fälle constatiren, wo
ein solcher Impuls stattgefunden hat. Der Geschichtsforscher kann uns wohl
als Führer auf die höchsten Bergspitzen des Menschlichen hinauf geleiten, von
denen die befruchtenden Quellen ins Thal herniederrinnen, aber nicht in den
Aether des Göttlichen; wir können w iss en: "das Gesetz ist durch Mosen gegeben",
aber wir können nur glauben, daß Mose ein gotterleuchteter Mann war.
Und wie jene Behauptung einer besonderen Normalisirung der israelitischen
Religion durch Gott für die Wissenschaft zu weit geht, so kann sie andrerseits
dem religiösen Gerechtigkeitssinn nicht genügen. Ihm erscheint sie leicht als
Partikularismus; ihm ist Gott nicht bloß der Juden, sondern auch der Heiden
Gott, der Jedem giebt nach dem Maße seiner Empfänglichkeit, sodaß der Grund
der mannigfaltigen religiösen Strahlenbrechungen mehr in den verschieden ge¬
stalteten Prismen der Menschen- und Volksgeister, als unmittelbar in der Leucht¬
weise des einen göttlichen Urlichtes liegt. Abgesehen von jener specifischen Er¬
klärungsweise können wir uns den Ausdruck "die normalisirte Religionsstufe"
. für die biblische Religionsentwicklung sehr wohl aneignen und auch in Bezug
auf die geschichtlichen Vorbedingungen derselben Happels Darstellung als eine
gesunde und lehrreiche bezeichnen.

Auch die Religion Israels hat sich -- wie schon Andere vor Happel
erkannt haben -- von einer sinnlicheren und polytheistischen Religionsstufe


„Israel ging gerade den umgekehrten Weg wie Griechenland; während dieses
von der Sittlichkeit ausgehend zu Gott, kam Israel von der Religion zur Sitt¬
lichkeit. Seine eigentliche Geschichte beginnt ,das Volks Gottes mit der Idee
einer absoluten Persönlichkeit, eines schlechthin überweltlichen, heilig-geistigen,
moralischen Gottes, eines Seins, das nichts ist als Verstand und Wille" — aber
doch wohl auch Gefühl? —, „und dessen Absehen daher einzig auf die Herstellung
der moralischen Normalität des Handelns gerichtet ist. Während auch von den
griechischen Göttern noch gesagt werden muß, daß sie durch Menschen gemacht
sind, gilt von dem Gotte Israels vielmehr, daß er Israel gemacht hat." Mit
diesen Worten schildert Happel die alttestamentliche Religion als den Anfang
der normalifirten, von oben her in die rechte Bahn gerückten Religionsentwickelung.
Dies ist wieder eine von den Anschauungen Richard Rothes, dem seine lebensvolle,
realistische Frömmigkeit den Muth gab, mit dem Bewußtsein der göttlichen Nähe
und des göttlichen Wirkens auch insofern Ernst zu machen, daß er an bestimmten
Punkten ein besonderes Eingreifen Gottes in die menschliche Geschichte wissen¬
schaftlich nachzuweisen suchte, das immerhin nicht in einem Zauberschlage, sondern
in einem durch den Organismus des menschlichen Wesens vermittelten geistig¬
sittlichen Impuls bestehe. Wenn dieser Begriff der Wirksamkeit Gottes auf den
Menschen auch ein sehr würdiger und einleuchtender ist, so lassen sich doch für
die wissenschaftliche Erkenntniß gewiß nicht die einzelnen Fälle constatiren, wo
ein solcher Impuls stattgefunden hat. Der Geschichtsforscher kann uns wohl
als Führer auf die höchsten Bergspitzen des Menschlichen hinauf geleiten, von
denen die befruchtenden Quellen ins Thal herniederrinnen, aber nicht in den
Aether des Göttlichen; wir können w iss en: „das Gesetz ist durch Mosen gegeben",
aber wir können nur glauben, daß Mose ein gotterleuchteter Mann war.
Und wie jene Behauptung einer besonderen Normalisirung der israelitischen
Religion durch Gott für die Wissenschaft zu weit geht, so kann sie andrerseits
dem religiösen Gerechtigkeitssinn nicht genügen. Ihm erscheint sie leicht als
Partikularismus; ihm ist Gott nicht bloß der Juden, sondern auch der Heiden
Gott, der Jedem giebt nach dem Maße seiner Empfänglichkeit, sodaß der Grund
der mannigfaltigen religiösen Strahlenbrechungen mehr in den verschieden ge¬
stalteten Prismen der Menschen- und Volksgeister, als unmittelbar in der Leucht¬
weise des einen göttlichen Urlichtes liegt. Abgesehen von jener specifischen Er¬
klärungsweise können wir uns den Ausdruck „die normalisirte Religionsstufe"
. für die biblische Religionsentwicklung sehr wohl aneignen und auch in Bezug
auf die geschichtlichen Vorbedingungen derselben Happels Darstellung als eine
gesunde und lehrreiche bezeichnen.

Auch die Religion Israels hat sich — wie schon Andere vor Happel
erkannt haben — von einer sinnlicheren und polytheistischen Religionsstufe


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[0276] „Israel ging gerade den umgekehrten Weg wie Griechenland; während dieses von der Sittlichkeit ausgehend zu Gott, kam Israel von der Religion zur Sitt¬ lichkeit. Seine eigentliche Geschichte beginnt ,das Volks Gottes mit der Idee einer absoluten Persönlichkeit, eines schlechthin überweltlichen, heilig-geistigen, moralischen Gottes, eines Seins, das nichts ist als Verstand und Wille" — aber doch wohl auch Gefühl? —, „und dessen Absehen daher einzig auf die Herstellung der moralischen Normalität des Handelns gerichtet ist. Während auch von den griechischen Göttern noch gesagt werden muß, daß sie durch Menschen gemacht sind, gilt von dem Gotte Israels vielmehr, daß er Israel gemacht hat." Mit diesen Worten schildert Happel die alttestamentliche Religion als den Anfang der normalifirten, von oben her in die rechte Bahn gerückten Religionsentwickelung. Dies ist wieder eine von den Anschauungen Richard Rothes, dem seine lebensvolle, realistische Frömmigkeit den Muth gab, mit dem Bewußtsein der göttlichen Nähe und des göttlichen Wirkens auch insofern Ernst zu machen, daß er an bestimmten Punkten ein besonderes Eingreifen Gottes in die menschliche Geschichte wissen¬ schaftlich nachzuweisen suchte, das immerhin nicht in einem Zauberschlage, sondern in einem durch den Organismus des menschlichen Wesens vermittelten geistig¬ sittlichen Impuls bestehe. Wenn dieser Begriff der Wirksamkeit Gottes auf den Menschen auch ein sehr würdiger und einleuchtender ist, so lassen sich doch für die wissenschaftliche Erkenntniß gewiß nicht die einzelnen Fälle constatiren, wo ein solcher Impuls stattgefunden hat. Der Geschichtsforscher kann uns wohl als Führer auf die höchsten Bergspitzen des Menschlichen hinauf geleiten, von denen die befruchtenden Quellen ins Thal herniederrinnen, aber nicht in den Aether des Göttlichen; wir können w iss en: „das Gesetz ist durch Mosen gegeben", aber wir können nur glauben, daß Mose ein gotterleuchteter Mann war. Und wie jene Behauptung einer besonderen Normalisirung der israelitischen Religion durch Gott für die Wissenschaft zu weit geht, so kann sie andrerseits dem religiösen Gerechtigkeitssinn nicht genügen. Ihm erscheint sie leicht als Partikularismus; ihm ist Gott nicht bloß der Juden, sondern auch der Heiden Gott, der Jedem giebt nach dem Maße seiner Empfänglichkeit, sodaß der Grund der mannigfaltigen religiösen Strahlenbrechungen mehr in den verschieden ge¬ stalteten Prismen der Menschen- und Volksgeister, als unmittelbar in der Leucht¬ weise des einen göttlichen Urlichtes liegt. Abgesehen von jener specifischen Er¬ klärungsweise können wir uns den Ausdruck „die normalisirte Religionsstufe" . für die biblische Religionsentwicklung sehr wohl aneignen und auch in Bezug auf die geschichtlichen Vorbedingungen derselben Happels Darstellung als eine gesunde und lehrreiche bezeichnen. Auch die Religion Israels hat sich — wie schon Andere vor Happel erkannt haben — von einer sinnlicheren und polytheistischen Religionsstufe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/276>, abgerufen am 03.07.2024.