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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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denken z. B. an den Alexandriner und seine Einführung und Wiederverdrängung,
an die lange umstrittene Frage: Reim oder nicht Reim? Antike Odenschemata
oder volkstümliche deutsche Liedstrophen? an die Einführung des Hexameters
und des Distichons, endlich an die zahlreichen Stimmen, die für und wider das
Sonett sich erhoben. Moscheroschs zornige Satire auf die Sprachverwülschung:
"Pfuy dich der Schand!", Logan's allbekanntes Epigramm: "Deutsche sind so
alte Leute, lernen doch erst reden heute", Goethes herrlicher Spruch: "Was
reich und arm! was stark und schwach!" und sein "Venetianisches Epigramm" (59):
"Lange haben die Großen der Franzen Sprache gesprochen" dürften entschieden
in Jmelmanns Sammlung nicht fehlen; ebensowenig die zahlreichen Sonette, die
der Streit um die Sonettenfrage selbst hervorgerufen hat (wie Voßens ..Was
singelt ihr und klingelt im Sonetto" und "Auch du, der, sinnreich durch Atheneus
Schenkung", Goethes "Sich in erneutem Kunstgebrauch zu üben" und "Natur
und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen", Platens "Dich selbst, Gewalt'ger, den
ich noch vor Jahren" u. a.). Vereinzelte Ansätze in dieser Richtung hat Jmel-
mann gemacht, wie er denn z. B. die Verse von Gisbert Vincke über die deutschen
Hexcnnetristen (S. 510) und Platens Sonett über die Sonettendichter (S. 490)
aufgenommen hat; nur hätte es bei diesen nicht bleiben sollen. Vielleicht ent¬
schließt sich der Herausgeber, in einer zweiten Auflage, die hoffentlich nicht lange
auf sich warten lassen wird, die eben angedeuteten Desiderien zu berücksichtigen.
Die Sammlung würde dadurch höchstens um einen Bogen stärker werden,
sachlich aber einen sehr willkommenen Zuwachs erhalten.

Zum Schluß noch eine heitre Zugabe. Das vorliegende Buch hat die
Erinnerung an zwei Gedichte in uus geweckt, die der Herausgeber sicherlich nicht
gekannt hat, und die von Rechtswegen doch auch in sein Buch gehörten. Es sind
ein paar Preislieder aus Goethe und Schiller, die ein verstorbener, vielgenannter
sächsischer Schulmann, der neben andern kleinen Schwächen auch die hatte, sich
für einen auserwählten Liebling Apolls und der Musen zu halten, und in Folge
dessen sein Lebenlang lateinische, bisweilen leider auch deutsche Verse drechselte,
an den hundertjährigen Geburtsfesten Goethes (1849) und Schillers (1859) ver¬
öffentlicht hat. Beide Gedichte haben ihrer Zeit in engeren und weiteren Kreisen
unsägliches Vergnügen angerichtet, einzelne Strophen daraus sind lange von
Mund zu Munde gegangen. Der heutigen Generation aber sind sie wohl ganz
fremd geworden, und so wollen wir dem Herausgeber unsrer Sammlung und
damit zugleich den Lesern dieser Blätter wenigstens aus dem langen Lobgesang
auf Goethe einige Strophen mittheilen. Der Anfang lautet:


[Beginn Spaltensatz] Hört ihr die Musen freundlich singen
Von alten und von neuen Dingen,
Bon Dingen, die da sind und waren,
In diesem und vor hundert Jahren? [Spaltenumbruch] Dort, wo och Maines Wellen rauschen,
Am Furt die Franken Waaren tauschen,
Die Deutschen ihre Kaiser krönten,
Und Kaiser ihre Mannen lehnten, [Ende Spaltensatz]

denken z. B. an den Alexandriner und seine Einführung und Wiederverdrängung,
an die lange umstrittene Frage: Reim oder nicht Reim? Antike Odenschemata
oder volkstümliche deutsche Liedstrophen? an die Einführung des Hexameters
und des Distichons, endlich an die zahlreichen Stimmen, die für und wider das
Sonett sich erhoben. Moscheroschs zornige Satire auf die Sprachverwülschung:
„Pfuy dich der Schand!", Logan's allbekanntes Epigramm: „Deutsche sind so
alte Leute, lernen doch erst reden heute", Goethes herrlicher Spruch: „Was
reich und arm! was stark und schwach!" und sein „Venetianisches Epigramm" (59):
„Lange haben die Großen der Franzen Sprache gesprochen" dürften entschieden
in Jmelmanns Sammlung nicht fehlen; ebensowenig die zahlreichen Sonette, die
der Streit um die Sonettenfrage selbst hervorgerufen hat (wie Voßens ..Was
singelt ihr und klingelt im Sonetto" und „Auch du, der, sinnreich durch Atheneus
Schenkung", Goethes „Sich in erneutem Kunstgebrauch zu üben" und „Natur
und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen", Platens „Dich selbst, Gewalt'ger, den
ich noch vor Jahren" u. a.). Vereinzelte Ansätze in dieser Richtung hat Jmel-
mann gemacht, wie er denn z. B. die Verse von Gisbert Vincke über die deutschen
Hexcnnetristen (S. 510) und Platens Sonett über die Sonettendichter (S. 490)
aufgenommen hat; nur hätte es bei diesen nicht bleiben sollen. Vielleicht ent¬
schließt sich der Herausgeber, in einer zweiten Auflage, die hoffentlich nicht lange
auf sich warten lassen wird, die eben angedeuteten Desiderien zu berücksichtigen.
Die Sammlung würde dadurch höchstens um einen Bogen stärker werden,
sachlich aber einen sehr willkommenen Zuwachs erhalten.

Zum Schluß noch eine heitre Zugabe. Das vorliegende Buch hat die
Erinnerung an zwei Gedichte in uus geweckt, die der Herausgeber sicherlich nicht
gekannt hat, und die von Rechtswegen doch auch in sein Buch gehörten. Es sind
ein paar Preislieder aus Goethe und Schiller, die ein verstorbener, vielgenannter
sächsischer Schulmann, der neben andern kleinen Schwächen auch die hatte, sich
für einen auserwählten Liebling Apolls und der Musen zu halten, und in Folge
dessen sein Lebenlang lateinische, bisweilen leider auch deutsche Verse drechselte,
an den hundertjährigen Geburtsfesten Goethes (1849) und Schillers (1859) ver¬
öffentlicht hat. Beide Gedichte haben ihrer Zeit in engeren und weiteren Kreisen
unsägliches Vergnügen angerichtet, einzelne Strophen daraus sind lange von
Mund zu Munde gegangen. Der heutigen Generation aber sind sie wohl ganz
fremd geworden, und so wollen wir dem Herausgeber unsrer Sammlung und
damit zugleich den Lesern dieser Blätter wenigstens aus dem langen Lobgesang
auf Goethe einige Strophen mittheilen. Der Anfang lautet:


[Beginn Spaltensatz] Hört ihr die Musen freundlich singen
Von alten und von neuen Dingen,
Bon Dingen, die da sind und waren,
In diesem und vor hundert Jahren? [Spaltenumbruch] Dort, wo och Maines Wellen rauschen,
Am Furt die Franken Waaren tauschen,
Die Deutschen ihre Kaiser krönten,
Und Kaiser ihre Mannen lehnten, [Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/252>, abgerufen am 23.07.2024.