Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Daneben aber hat die Sammlung unzweifelhaft auch ihre pädagogische
Bedeutung; der Herausgeber hebt dieselbe zwar nicht ausdrücklich hervor, sein
Buch erscheint aber gewiß nicht zufällig mitten unter der gediegenen Unterrichts¬
literatur des Weidmcmnschen Verlags. Welche Wichtigkeit die poetische Form
für das feste Einprägen geschichtlicher Ereignisse, für die klare Vergegenwärti¬
gung geschichtlicher Zustände erlangen kann, wird jeder Leser ans seinen eignen
Schülerjahren wissen. Man braucht dabei nicht an kindische vsrsus rasinorm-
Iss zu denken. Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich noch mit Vergnügen
daran, wie er sich als Schüler bei der stets gefürchteten "Geschichtsrepetition" den
Untergang der Sassaniden an der fest memorirten ersten Strophe von Plntens
"Harmosan" jedesmal im Nu wieder mit allem Detail vergegenwärtigte.

Auf einzelne Partien der Sammlung sowie des knappen und inhaltreichen
Commentars, der dieselbe begleitet, näher einzugehen, ist überflüssig. Lieber
wollen wir dem fleißigen Sammler eine kleine Nachlese anbieten, nicht um ihm
Lücken nachzuweisen oder mit Belesenheit zu coquettiren, sondern zum Danke
für die reiche Belehrung, die wir aus seinem Buche geschöpft haben- Möglich,
sogar wahrscheinlich, daß manches von unseren Nachträgen dem Herausgeber
wohlbekannt gewesen, aber absichtlich von ihn: übergangen worden ist; einzelnes
wird ihm aber doch vielleicht neu sein.

Etwas dürftig ist Logan weggekommen. Er hat außer dem unter der Ueber¬
schrift "Von meinen Reimen" mitgetheilten Epigramm uoch mehrere mit derselben
Ueberschrift geschrieben, wie: "Mein Reim ist offt was frey" oder: "Hat jemanden
wo mein Reim innerlich getroffen", die ebenfalls hätten aufgenommen werden
sollen; auch die Epigramme: "Poeterei" und "Gekrönte Poeten" würden sich
an passender Stelle haben einfügen lassen. (Vgl. O. Lange, Sprachschatz der
deutschen Literatur, S. 181 fg.) Auf Lessings Tod vermißt man die Verse des
alten Gleim:


Den Einen, unsern Stolz, den haben wir verloren,
Ihn, der der Nation beim Ausland Ruhm erwarb.
Es werde Licht I sprach Gott, und Leibnitz ward geboren.
Es werde Finsterniß! sprach Gott, und Lessing starb.

ebenso den schwungvollen Nachruf, den Elise Reimarus im Namen der "Wahr¬
heit" dem abgeschiedenen Freunde widmete. (Vgl. Stahr, Lessings Leben.)

Die derben goethischen Reime aus Nicolai, die Hirzel im "Jungen Goethe"
(III 180) mittheilt, hat Jmelmann wohl absichtlich bei Seite gelassen, vielleicht
auch die poetische Epistel, mit der Goethe an Götter den "Götz von Berli-
chingen" sandte. (Edda. I 34.) Auf keinen Fall aber dürften die drei berühm¬
ten "Venetianischen Epigramme" Goethes fehlen: "Vieles hab'ich versucht, ge¬
zeichnet, in Kupfer gestochen" (29), "Ost erklärtet ihr euch als Freunde des Dich-


Daneben aber hat die Sammlung unzweifelhaft auch ihre pädagogische
Bedeutung; der Herausgeber hebt dieselbe zwar nicht ausdrücklich hervor, sein
Buch erscheint aber gewiß nicht zufällig mitten unter der gediegenen Unterrichts¬
literatur des Weidmcmnschen Verlags. Welche Wichtigkeit die poetische Form
für das feste Einprägen geschichtlicher Ereignisse, für die klare Vergegenwärti¬
gung geschichtlicher Zustände erlangen kann, wird jeder Leser ans seinen eignen
Schülerjahren wissen. Man braucht dabei nicht an kindische vsrsus rasinorm-
Iss zu denken. Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich noch mit Vergnügen
daran, wie er sich als Schüler bei der stets gefürchteten „Geschichtsrepetition" den
Untergang der Sassaniden an der fest memorirten ersten Strophe von Plntens
„Harmosan" jedesmal im Nu wieder mit allem Detail vergegenwärtigte.

Auf einzelne Partien der Sammlung sowie des knappen und inhaltreichen
Commentars, der dieselbe begleitet, näher einzugehen, ist überflüssig. Lieber
wollen wir dem fleißigen Sammler eine kleine Nachlese anbieten, nicht um ihm
Lücken nachzuweisen oder mit Belesenheit zu coquettiren, sondern zum Danke
für die reiche Belehrung, die wir aus seinem Buche geschöpft haben- Möglich,
sogar wahrscheinlich, daß manches von unseren Nachträgen dem Herausgeber
wohlbekannt gewesen, aber absichtlich von ihn: übergangen worden ist; einzelnes
wird ihm aber doch vielleicht neu sein.

Etwas dürftig ist Logan weggekommen. Er hat außer dem unter der Ueber¬
schrift „Von meinen Reimen" mitgetheilten Epigramm uoch mehrere mit derselben
Ueberschrift geschrieben, wie: „Mein Reim ist offt was frey" oder: „Hat jemanden
wo mein Reim innerlich getroffen", die ebenfalls hätten aufgenommen werden
sollen; auch die Epigramme: „Poeterei" und „Gekrönte Poeten" würden sich
an passender Stelle haben einfügen lassen. (Vgl. O. Lange, Sprachschatz der
deutschen Literatur, S. 181 fg.) Auf Lessings Tod vermißt man die Verse des
alten Gleim:


Den Einen, unsern Stolz, den haben wir verloren,
Ihn, der der Nation beim Ausland Ruhm erwarb.
Es werde Licht I sprach Gott, und Leibnitz ward geboren.
Es werde Finsterniß! sprach Gott, und Lessing starb.

ebenso den schwungvollen Nachruf, den Elise Reimarus im Namen der „Wahr¬
heit" dem abgeschiedenen Freunde widmete. (Vgl. Stahr, Lessings Leben.)

Die derben goethischen Reime aus Nicolai, die Hirzel im „Jungen Goethe"
(III 180) mittheilt, hat Jmelmann wohl absichtlich bei Seite gelassen, vielleicht
auch die poetische Epistel, mit der Goethe an Götter den „Götz von Berli-
chingen" sandte. (Edda. I 34.) Auf keinen Fall aber dürften die drei berühm¬
ten „Venetianischen Epigramme" Goethes fehlen: „Vieles hab'ich versucht, ge¬
zeichnet, in Kupfer gestochen" (29), „Ost erklärtet ihr euch als Freunde des Dich-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146179"/>
          <p xml:id="ID_680"> Daneben aber hat die Sammlung unzweifelhaft auch ihre pädagogische<lb/>
Bedeutung; der Herausgeber hebt dieselbe zwar nicht ausdrücklich hervor, sein<lb/>
Buch erscheint aber gewiß nicht zufällig mitten unter der gediegenen Unterrichts¬<lb/>
literatur des Weidmcmnschen Verlags. Welche Wichtigkeit die poetische Form<lb/>
für das feste Einprägen geschichtlicher Ereignisse, für die klare Vergegenwärti¬<lb/>
gung geschichtlicher Zustände erlangen kann, wird jeder Leser ans seinen eignen<lb/>
Schülerjahren wissen. Man braucht dabei nicht an kindische vsrsus rasinorm-<lb/>
Iss zu denken. Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich noch mit Vergnügen<lb/>
daran, wie er sich als Schüler bei der stets gefürchteten &#x201E;Geschichtsrepetition" den<lb/>
Untergang der Sassaniden an der fest memorirten ersten Strophe von Plntens<lb/>
&#x201E;Harmosan" jedesmal im Nu wieder mit allem Detail vergegenwärtigte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_681"> Auf einzelne Partien der Sammlung sowie des knappen und inhaltreichen<lb/>
Commentars, der dieselbe begleitet, näher einzugehen, ist überflüssig. Lieber<lb/>
wollen wir dem fleißigen Sammler eine kleine Nachlese anbieten, nicht um ihm<lb/>
Lücken nachzuweisen oder mit Belesenheit zu coquettiren, sondern zum Danke<lb/>
für die reiche Belehrung, die wir aus seinem Buche geschöpft haben- Möglich,<lb/>
sogar wahrscheinlich, daß manches von unseren Nachträgen dem Herausgeber<lb/>
wohlbekannt gewesen, aber absichtlich von ihn: übergangen worden ist; einzelnes<lb/>
wird ihm aber doch vielleicht neu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_682"> Etwas dürftig ist Logan weggekommen. Er hat außer dem unter der Ueber¬<lb/>
schrift &#x201E;Von meinen Reimen" mitgetheilten Epigramm uoch mehrere mit derselben<lb/>
Ueberschrift geschrieben, wie: &#x201E;Mein Reim ist offt was frey" oder: &#x201E;Hat jemanden<lb/>
wo mein Reim innerlich getroffen", die ebenfalls hätten aufgenommen werden<lb/>
sollen; auch die Epigramme: &#x201E;Poeterei" und &#x201E;Gekrönte Poeten" würden sich<lb/>
an passender Stelle haben einfügen lassen. (Vgl. O. Lange, Sprachschatz der<lb/>
deutschen Literatur, S. 181 fg.) Auf Lessings Tod vermißt man die Verse des<lb/>
alten Gleim:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_2" type="poem">
              <l> Den Einen, unsern Stolz, den haben wir verloren,<lb/>
Ihn, der der Nation beim Ausland Ruhm erwarb.<lb/>
Es werde Licht I sprach Gott, und Leibnitz ward geboren.<lb/>
Es werde Finsterniß! sprach Gott, und Lessing starb.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_683"> ebenso den schwungvollen Nachruf, den Elise Reimarus im Namen der &#x201E;Wahr¬<lb/>
heit" dem abgeschiedenen Freunde widmete. (Vgl. Stahr, Lessings Leben.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_684" next="#ID_685"> Die derben goethischen Reime aus Nicolai, die Hirzel im &#x201E;Jungen Goethe"<lb/>
(III 180) mittheilt, hat Jmelmann wohl absichtlich bei Seite gelassen, vielleicht<lb/>
auch die poetische Epistel, mit der Goethe an Götter den &#x201E;Götz von Berli-<lb/>
chingen" sandte. (Edda. I 34.) Auf keinen Fall aber dürften die drei berühm¬<lb/>
ten &#x201E;Venetianischen Epigramme" Goethes fehlen: &#x201E;Vieles hab'ich versucht, ge¬<lb/>
zeichnet, in Kupfer gestochen" (29), &#x201E;Ost erklärtet ihr euch als Freunde des Dich-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0250] Daneben aber hat die Sammlung unzweifelhaft auch ihre pädagogische Bedeutung; der Herausgeber hebt dieselbe zwar nicht ausdrücklich hervor, sein Buch erscheint aber gewiß nicht zufällig mitten unter der gediegenen Unterrichts¬ literatur des Weidmcmnschen Verlags. Welche Wichtigkeit die poetische Form für das feste Einprägen geschichtlicher Ereignisse, für die klare Vergegenwärti¬ gung geschichtlicher Zustände erlangen kann, wird jeder Leser ans seinen eignen Schülerjahren wissen. Man braucht dabei nicht an kindische vsrsus rasinorm- Iss zu denken. Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich noch mit Vergnügen daran, wie er sich als Schüler bei der stets gefürchteten „Geschichtsrepetition" den Untergang der Sassaniden an der fest memorirten ersten Strophe von Plntens „Harmosan" jedesmal im Nu wieder mit allem Detail vergegenwärtigte. Auf einzelne Partien der Sammlung sowie des knappen und inhaltreichen Commentars, der dieselbe begleitet, näher einzugehen, ist überflüssig. Lieber wollen wir dem fleißigen Sammler eine kleine Nachlese anbieten, nicht um ihm Lücken nachzuweisen oder mit Belesenheit zu coquettiren, sondern zum Danke für die reiche Belehrung, die wir aus seinem Buche geschöpft haben- Möglich, sogar wahrscheinlich, daß manches von unseren Nachträgen dem Herausgeber wohlbekannt gewesen, aber absichtlich von ihn: übergangen worden ist; einzelnes wird ihm aber doch vielleicht neu sein. Etwas dürftig ist Logan weggekommen. Er hat außer dem unter der Ueber¬ schrift „Von meinen Reimen" mitgetheilten Epigramm uoch mehrere mit derselben Ueberschrift geschrieben, wie: „Mein Reim ist offt was frey" oder: „Hat jemanden wo mein Reim innerlich getroffen", die ebenfalls hätten aufgenommen werden sollen; auch die Epigramme: „Poeterei" und „Gekrönte Poeten" würden sich an passender Stelle haben einfügen lassen. (Vgl. O. Lange, Sprachschatz der deutschen Literatur, S. 181 fg.) Auf Lessings Tod vermißt man die Verse des alten Gleim: Den Einen, unsern Stolz, den haben wir verloren, Ihn, der der Nation beim Ausland Ruhm erwarb. Es werde Licht I sprach Gott, und Leibnitz ward geboren. Es werde Finsterniß! sprach Gott, und Lessing starb. ebenso den schwungvollen Nachruf, den Elise Reimarus im Namen der „Wahr¬ heit" dem abgeschiedenen Freunde widmete. (Vgl. Stahr, Lessings Leben.) Die derben goethischen Reime aus Nicolai, die Hirzel im „Jungen Goethe" (III 180) mittheilt, hat Jmelmann wohl absichtlich bei Seite gelassen, vielleicht auch die poetische Epistel, mit der Goethe an Götter den „Götz von Berli- chingen" sandte. (Edda. I 34.) Auf keinen Fall aber dürften die drei berühm¬ ten „Venetianischen Epigramme" Goethes fehlen: „Vieles hab'ich versucht, ge¬ zeichnet, in Kupfer gestochen" (29), „Ost erklärtet ihr euch als Freunde des Dich-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/250
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/250>, abgerufen am 23.07.2024.