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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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dieselben in poetischer oder prosaischer Form auftreten. Man vergegenwärtige
sich, welche Ausbeute von Material allein Lessings .Mteraturbriefe" oder
Goethes "Dichtung und Wahrheit" für die Literatur des 18. Jahrhunderts
spenden würden! Man denke an die zahlreichen berühmten Kritiken -- wie
I. I. Engels Briefe über "Emilia Galotti", Sonnenfels' Kritik über die "Minna
von Barnhelm", Schillers Recensionen des "Egmont" und der Bürgerschen Ge¬
dichte, Goethes Recension der Voßschen Gedichte --, die eine derartige Samm¬
lung mit umfassen könnte und müßte. Solch ein Vorxus ssutsutiÄrnro würde
freilich zehn so starke Bände füllen wie Jmelmanns Sammlung; aber wäre es
nicht eine Aufgabe, des Schweißes der Edlen werth, auf die Beschaffung eines
derartigen Qnellenbuches, das ein zum Theil weit zerstreutes, entlegenes und
schwer zu erreichendes Material zu bequemer Benutzung vereinigen würde, hin¬
zuarbeiten? Was Jmelmcmn uns geschenkt hat, ist ein höchst dankenswerther
Theil davon, der aber doch eben nach einem äußerlichen und für die Sache
unwesentlichen Gesichtspunkte ans dein großen Ganzen ausgespart ist.

Sehen wir ab von diesem Bedenken -- und wer wäre so undankbar, an
der dargebotenen reichen Gabe um der denkbaren reicheren willen zu mäkeln? --,
so haben wir in Jmelmanns Buch ein höchst willkommenes Hilfsmittel erhalten
zur Vertiefung, Belebung und -- Ausschmückung unseres literargeschichtlichen
Studiums, eine Sammlung, deren Werth und Bedeutung wir nicht treffender
bezeichnen können als mit des Herausgebers eigenen Worten, wenn er sagt:
Sie ergiebt ein farbenreiches, bewegtes, vielseitig anregendes Bild der in dem
langen und mühsamen Entwicklungsgange unserer Dichtung einander ablösenden,
neben- und durcheinander laufenden Richtungen, in welchem die Persönlichkeiten
ihrer Träger und die lebendigen Wirkungen von Dichter auf Dichter, der Kunst¬
zusammenhang, die Verzweigung der Schulen oft in greifbarer Deutlichkeit zur
Anschauung kommen. An Art, Form und Werth sind die mitgetheilten Stücke
selbstverständlich so verschieden wie möglich: lehrhafte Umständlichkeit wechselt
mit epigrammatischer Prägnanz, Enkomiastisches mit Polemischem, Weitschauen¬
des und Abschließendes mit Halbwahrem oder Befangenem; nach tiefgeschöpften
und tiefdringenden Worten eines Unsterblichen läßt wohl ein Geringer seine
matte Stimme vernehmen, auf prangende Blumen folgen welke Blätter. Ein
literaturgeschichtliches Interesse möchte sich dennoch an jedes hier aufgenommene
Stück knüpfen und auch das poetisch oder kritisch dürftigste noch irgendwie in-
structiv sein, etwa einen Blick thun lassen in die Unsicherheit zeitgenössischen
Urtheils oder die Langsamkeit der Urtheilsbildung überhaupt. Des Vorzüg¬
lichen, unbedingt Werthvollen aber ist keineswegs wenig in der Sammlung,
und es kann reichlich entschädigen für das, was unmittelbaren Genuß nicht
gewährt.


Grenzboten I. 1880. 31

dieselben in poetischer oder prosaischer Form auftreten. Man vergegenwärtige
sich, welche Ausbeute von Material allein Lessings .Mteraturbriefe" oder
Goethes „Dichtung und Wahrheit" für die Literatur des 18. Jahrhunderts
spenden würden! Man denke an die zahlreichen berühmten Kritiken — wie
I. I. Engels Briefe über „Emilia Galotti", Sonnenfels' Kritik über die „Minna
von Barnhelm", Schillers Recensionen des „Egmont" und der Bürgerschen Ge¬
dichte, Goethes Recension der Voßschen Gedichte —, die eine derartige Samm¬
lung mit umfassen könnte und müßte. Solch ein Vorxus ssutsutiÄrnro würde
freilich zehn so starke Bände füllen wie Jmelmanns Sammlung; aber wäre es
nicht eine Aufgabe, des Schweißes der Edlen werth, auf die Beschaffung eines
derartigen Qnellenbuches, das ein zum Theil weit zerstreutes, entlegenes und
schwer zu erreichendes Material zu bequemer Benutzung vereinigen würde, hin¬
zuarbeiten? Was Jmelmcmn uns geschenkt hat, ist ein höchst dankenswerther
Theil davon, der aber doch eben nach einem äußerlichen und für die Sache
unwesentlichen Gesichtspunkte ans dein großen Ganzen ausgespart ist.

Sehen wir ab von diesem Bedenken — und wer wäre so undankbar, an
der dargebotenen reichen Gabe um der denkbaren reicheren willen zu mäkeln? —,
so haben wir in Jmelmanns Buch ein höchst willkommenes Hilfsmittel erhalten
zur Vertiefung, Belebung und — Ausschmückung unseres literargeschichtlichen
Studiums, eine Sammlung, deren Werth und Bedeutung wir nicht treffender
bezeichnen können als mit des Herausgebers eigenen Worten, wenn er sagt:
Sie ergiebt ein farbenreiches, bewegtes, vielseitig anregendes Bild der in dem
langen und mühsamen Entwicklungsgange unserer Dichtung einander ablösenden,
neben- und durcheinander laufenden Richtungen, in welchem die Persönlichkeiten
ihrer Träger und die lebendigen Wirkungen von Dichter auf Dichter, der Kunst¬
zusammenhang, die Verzweigung der Schulen oft in greifbarer Deutlichkeit zur
Anschauung kommen. An Art, Form und Werth sind die mitgetheilten Stücke
selbstverständlich so verschieden wie möglich: lehrhafte Umständlichkeit wechselt
mit epigrammatischer Prägnanz, Enkomiastisches mit Polemischem, Weitschauen¬
des und Abschließendes mit Halbwahrem oder Befangenem; nach tiefgeschöpften
und tiefdringenden Worten eines Unsterblichen läßt wohl ein Geringer seine
matte Stimme vernehmen, auf prangende Blumen folgen welke Blätter. Ein
literaturgeschichtliches Interesse möchte sich dennoch an jedes hier aufgenommene
Stück knüpfen und auch das poetisch oder kritisch dürftigste noch irgendwie in-
structiv sein, etwa einen Blick thun lassen in die Unsicherheit zeitgenössischen
Urtheils oder die Langsamkeit der Urtheilsbildung überhaupt. Des Vorzüg¬
lichen, unbedingt Werthvollen aber ist keineswegs wenig in der Sammlung,
und es kann reichlich entschädigen für das, was unmittelbaren Genuß nicht
gewährt.


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[0249] dieselben in poetischer oder prosaischer Form auftreten. Man vergegenwärtige sich, welche Ausbeute von Material allein Lessings .Mteraturbriefe" oder Goethes „Dichtung und Wahrheit" für die Literatur des 18. Jahrhunderts spenden würden! Man denke an die zahlreichen berühmten Kritiken — wie I. I. Engels Briefe über „Emilia Galotti", Sonnenfels' Kritik über die „Minna von Barnhelm", Schillers Recensionen des „Egmont" und der Bürgerschen Ge¬ dichte, Goethes Recension der Voßschen Gedichte —, die eine derartige Samm¬ lung mit umfassen könnte und müßte. Solch ein Vorxus ssutsutiÄrnro würde freilich zehn so starke Bände füllen wie Jmelmanns Sammlung; aber wäre es nicht eine Aufgabe, des Schweißes der Edlen werth, auf die Beschaffung eines derartigen Qnellenbuches, das ein zum Theil weit zerstreutes, entlegenes und schwer zu erreichendes Material zu bequemer Benutzung vereinigen würde, hin¬ zuarbeiten? Was Jmelmcmn uns geschenkt hat, ist ein höchst dankenswerther Theil davon, der aber doch eben nach einem äußerlichen und für die Sache unwesentlichen Gesichtspunkte ans dein großen Ganzen ausgespart ist. Sehen wir ab von diesem Bedenken — und wer wäre so undankbar, an der dargebotenen reichen Gabe um der denkbaren reicheren willen zu mäkeln? —, so haben wir in Jmelmanns Buch ein höchst willkommenes Hilfsmittel erhalten zur Vertiefung, Belebung und — Ausschmückung unseres literargeschichtlichen Studiums, eine Sammlung, deren Werth und Bedeutung wir nicht treffender bezeichnen können als mit des Herausgebers eigenen Worten, wenn er sagt: Sie ergiebt ein farbenreiches, bewegtes, vielseitig anregendes Bild der in dem langen und mühsamen Entwicklungsgange unserer Dichtung einander ablösenden, neben- und durcheinander laufenden Richtungen, in welchem die Persönlichkeiten ihrer Träger und die lebendigen Wirkungen von Dichter auf Dichter, der Kunst¬ zusammenhang, die Verzweigung der Schulen oft in greifbarer Deutlichkeit zur Anschauung kommen. An Art, Form und Werth sind die mitgetheilten Stücke selbstverständlich so verschieden wie möglich: lehrhafte Umständlichkeit wechselt mit epigrammatischer Prägnanz, Enkomiastisches mit Polemischem, Weitschauen¬ des und Abschließendes mit Halbwahrem oder Befangenem; nach tiefgeschöpften und tiefdringenden Worten eines Unsterblichen läßt wohl ein Geringer seine matte Stimme vernehmen, auf prangende Blumen folgen welke Blätter. Ein literaturgeschichtliches Interesse möchte sich dennoch an jedes hier aufgenommene Stück knüpfen und auch das poetisch oder kritisch dürftigste noch irgendwie in- structiv sein, etwa einen Blick thun lassen in die Unsicherheit zeitgenössischen Urtheils oder die Langsamkeit der Urtheilsbildung überhaupt. Des Vorzüg¬ lichen, unbedingt Werthvollen aber ist keineswegs wenig in der Sammlung, und es kann reichlich entschädigen für das, was unmittelbaren Genuß nicht gewährt. Grenzboten I. 1880. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/249>, abgerufen am 23.07.2024.