Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.liebste Zeugniß ab von der berechtigten Prätention, mit welcher der Mensch der Was das Grundgefühl der Religion betrifft, so tritt Happel mit Recht
Also dankbare Liebe zum guten Gott, aber begütigender Cultus zunächst bloß Woraus erklären sich nun die mannigfachen überraschenden und wesentlichen liebste Zeugniß ab von der berechtigten Prätention, mit welcher der Mensch der Was das Grundgefühl der Religion betrifft, so tritt Happel mit Recht
Also dankbare Liebe zum guten Gott, aber begütigender Cultus zunächst bloß Woraus erklären sich nun die mannigfachen überraschenden und wesentlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0237" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146166"/> <p xml:id="ID_642" prev="#ID_641"> liebste Zeugniß ab von der berechtigten Prätention, mit welcher der Mensch der<lb/> materiellen Natur als ihr Herr entgegentritt."</p><lb/> <p xml:id="ID_643"> Was das Grundgefühl der Religion betrifft, so tritt Happel mit Recht<lb/> dem vrinin.8 in orbs äeos thon timor entgegen, der alten, weitverbreiteten An¬<lb/> schauung, daß die Furcht der alleinige und zureichende Grund der Religion sei,<lb/> obgleich auch er bereitwillig anerkennt, „daß die Furcht in der Religion eine<lb/> Hauptrolle spielt". Vielmehr erklärt er: „In dem Schauer vor dem Unbe¬<lb/> kannten und Unsichtbaren, vor dem Mächtigen und Unnahbaren sehen wir die<lb/> Quelle aller Religion", und an einer andern Stelle: „Aller geschichtlichen Er¬<lb/> fahrung zufolge werden wir uns den ersten Menschen weder als eine Bestie,<lb/> noch als einen Engel vorstellen dürfen, sondern als ein leicht erregbares und<lb/> empfängliches Wesen, welches in seinen Vorstellungen und Neigungen noch un-<lb/> stät umherschweifte und daher bald von Furcht, bald aber auch von Dankbar¬<lb/> keit und Liebe wechselnd erfüllt wurde." Gewiß, nicht die gemeine Furcht, son¬<lb/> dern der „fromme Schauder", mit welchem nach Schillers Dichtung Ibycus in<lb/> Poseidons Fichtenhain eintritt, ist als das Grundgefühl der Religion zu betrach¬<lb/> ten. Wenn selbst so religiöse Forscher wie Rudolf Seydel (Die Religion<lb/> und die Religionen, S. 14 fg.) einfach die „Religion der Furcht" an den An¬<lb/> fang der Religionsgeschichte stellen, so dürfen wir dies, im Einklang mit<lb/> Happels Erörterungen, wohl kurz als einen ungenauen Ausdruck für „Cultus<lb/> der Furcht" bezeichnen. Denn das gerade beweist der von Seydel angeführte<lb/> Gesang der Neger auf Madagaskar:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_1" type="poem"> <l> „Zanchor und Niang erschufen die Welt;<lb/> O Zanchor, wir richten an dich kein Gebets<lb/> Der gütige Gott, der braucht kein Gebet;<lb/> Aber zu Niang müssen wir beten,<lb/> Müssen Niang besänftigen" u. s. w.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_644"> Also dankbare Liebe zum guten Gott, aber begütigender Cultus zunächst bloß<lb/> für den bösen.</p><lb/> <p xml:id="ID_645" next="#ID_646"> Woraus erklären sich nun die mannigfachen überraschenden und wesentlichen<lb/> Ähnlichkeiten der verschiedenen Religionen? Nicht aus einer gemeinsamen<lb/> Ur-Religion, antwortet Happel, sondern aus der Grundeinrichtung des mensch¬<lb/> lichen Wesens. Damit ist eigentlich schon gesagt, daß die Anlage zur Religion<lb/> eine allgemein-menschliche ist. Aber auch nur in diesem bestimmten Sinne will<lb/> Happel verstanden sein. Wo das eigenthümlich menschliche Wesen wirklich zur<lb/> Entfaltung kommt, da ist auch die Religion mit vorhanden. Sie gehört zu den<lb/> „Hauptunterscheidungs - Merkmalen des Menschen vom Thiere". Dagegen ist<lb/> natürlich der empirische Nachweis, daß jeder Mensch und jedes Volk zu jeder<lb/> Zeit Religion gehabt haben, weder zu erbringen noch zu verlangen. Denn „be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0237]
liebste Zeugniß ab von der berechtigten Prätention, mit welcher der Mensch der
materiellen Natur als ihr Herr entgegentritt."
Was das Grundgefühl der Religion betrifft, so tritt Happel mit Recht
dem vrinin.8 in orbs äeos thon timor entgegen, der alten, weitverbreiteten An¬
schauung, daß die Furcht der alleinige und zureichende Grund der Religion sei,
obgleich auch er bereitwillig anerkennt, „daß die Furcht in der Religion eine
Hauptrolle spielt". Vielmehr erklärt er: „In dem Schauer vor dem Unbe¬
kannten und Unsichtbaren, vor dem Mächtigen und Unnahbaren sehen wir die
Quelle aller Religion", und an einer andern Stelle: „Aller geschichtlichen Er¬
fahrung zufolge werden wir uns den ersten Menschen weder als eine Bestie,
noch als einen Engel vorstellen dürfen, sondern als ein leicht erregbares und
empfängliches Wesen, welches in seinen Vorstellungen und Neigungen noch un-
stät umherschweifte und daher bald von Furcht, bald aber auch von Dankbar¬
keit und Liebe wechselnd erfüllt wurde." Gewiß, nicht die gemeine Furcht, son¬
dern der „fromme Schauder", mit welchem nach Schillers Dichtung Ibycus in
Poseidons Fichtenhain eintritt, ist als das Grundgefühl der Religion zu betrach¬
ten. Wenn selbst so religiöse Forscher wie Rudolf Seydel (Die Religion
und die Religionen, S. 14 fg.) einfach die „Religion der Furcht" an den An¬
fang der Religionsgeschichte stellen, so dürfen wir dies, im Einklang mit
Happels Erörterungen, wohl kurz als einen ungenauen Ausdruck für „Cultus
der Furcht" bezeichnen. Denn das gerade beweist der von Seydel angeführte
Gesang der Neger auf Madagaskar:
„Zanchor und Niang erschufen die Welt;
O Zanchor, wir richten an dich kein Gebets
Der gütige Gott, der braucht kein Gebet;
Aber zu Niang müssen wir beten,
Müssen Niang besänftigen" u. s. w.
Also dankbare Liebe zum guten Gott, aber begütigender Cultus zunächst bloß
für den bösen.
Woraus erklären sich nun die mannigfachen überraschenden und wesentlichen
Ähnlichkeiten der verschiedenen Religionen? Nicht aus einer gemeinsamen
Ur-Religion, antwortet Happel, sondern aus der Grundeinrichtung des mensch¬
lichen Wesens. Damit ist eigentlich schon gesagt, daß die Anlage zur Religion
eine allgemein-menschliche ist. Aber auch nur in diesem bestimmten Sinne will
Happel verstanden sein. Wo das eigenthümlich menschliche Wesen wirklich zur
Entfaltung kommt, da ist auch die Religion mit vorhanden. Sie gehört zu den
„Hauptunterscheidungs - Merkmalen des Menschen vom Thiere". Dagegen ist
natürlich der empirische Nachweis, daß jeder Mensch und jedes Volk zu jeder
Zeit Religion gehabt haben, weder zu erbringen noch zu verlangen. Denn „be-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |