Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.Leonoren-Ouvertüre oder der Coriolan-Ouvertüre, der Ouvertüre zu "Auacreou" oder Des weiteren auf die Leistungen der übrigen Jnstrumentalvirtuosen und der Leonoren-Ouvertüre oder der Coriolan-Ouvertüre, der Ouvertüre zu „Auacreou" oder Des weiteren auf die Leistungen der übrigen Jnstrumentalvirtuosen und der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146150"/> <p xml:id="ID_594" prev="#ID_593"> Leonoren-Ouvertüre oder der Coriolan-Ouvertüre, der Ouvertüre zu „Auacreou" oder<lb/> zur „Zauberflöte" zeigt sich die alte Verve und die bewunderungswürdige Virtuosität<lb/> im rauschenden Passagenspiel wie im wonnigsten, verschwindenden und doch vollen<lb/> Picmissimo; da fühlt man sich in die alte Zeit zurückversetzt und vergißt, daß jetzt<lb/> manchmal eine gewisse Lahmheit und Schlaffheit hervortritt, die uns früher unbe¬<lb/> kannt war. Gestehen wir es nur offen: der Schwerpunkt der Gewandhausconcerte<lb/> liegt heute nicht mehr in den symphonischen, sondern in den solistischen Leistungen.<lb/> Mag das nun ein Zeichen der Zeit überhaupt, oder mag es ein Symptom krank¬<lb/> hafter Zustände bei uns sein, wegleugnen läßt sich die Thatsache nicht. Früher<lb/> mögen wohl manchmal die Virtuosen da oben auf dem Podium in der Probe das<lb/> Gefühl eines examsn ri^orosura gehabt haben, als noch David die Concertbeglei¬<lb/> tung dirigirte und nichts durchgehen ließ; heute, fürchten wir, haben sie dies Ge¬<lb/> fühl nicht mehr, wenn wir das überlegene Lächeln dieser Herren recht verstehen.<lb/> Auch die Wahl der vorzutragenden Werke scheint jetzt mehr als ehedem den Vir¬<lb/> tuosen überlassen zu werden, sonst wüßten wir es uns nicht zu erklären, wie ein<lb/> Werk wie das Godardsche Violinconcert zu der Ehre käme, im Gewandhause ge¬<lb/> spielt zu werden. Für die Zulassung solcher phrasenhaften, inhaltlosen französischen<lb/> Werke wissen wir der Direction wahrlich wenig Dank, auch wenn sie von bedeu¬<lb/> tenden Virtuosen wie Herrn Sauret gespielt werden. Viel höher steht das Violin-<lb/> concert von Saint-Saöns, welches Herr Mcrrsick ans Paris vortrug, besonders in<lb/> seinem ersten Satze; aus deu beiden übrigen lugt freilich der experimentirende, nach<lb/> Originalität haschende Componist der A-Moll-Symphonie hervor. Daß man einen<lb/> Virtuosen eigene Compositionen vortragen läßt, ist nichts ungewöhnliches; Herrn<lb/> Popper hatte man aber doch Wohl in dieser Richtung etwas allzustarke Concessionen<lb/> gemacht, da er außer einem Celloconcert eigener Mache eine, allerdings recht hübsche,<lb/> Gavotte zu Gehör brachte, während er außerdem nur Schumanns „Träumerei"<lb/> spielte, übrigens auch diese von ihm selber für sein Instrument bearbeitet.</p><lb/> <p xml:id="ID_595"> Des weiteren auf die Leistungen der übrigen Jnstrumentalvirtuosen und der<lb/> Gesangskünstler einzugehen, verbietet uns der Raum. Wir bedauern dies nicht son¬<lb/> derlich, da wir, wie gesagt, deu Schwerpunkt der Gewandhausconcerte in den Lei¬<lb/> stungen des Orchesters erkennen und aufs entschiedenste der Ansicht sind, daß dieser<lb/> Schwerpunkt, auf den der alte, weitverbreitete Ruhm des Jnstitus sich gründet,<lb/> nicht verrückt werden sollte. In diesem Sinne möge auch der oben ausgesprochene<lb/> Tadel gegen die Programme und gegen die aufkeimende laxere Disciplin auf<lb/> gefaßt werden: nicht als eine Polemik gegen das Institut, sondern als ein wohlge¬<lb/> meinter Mahnruf zur Wahrung des hohen Ansehens, des alten Prestige der Ge¬<lb/> wandhausconcerte.<note type="byline"/></p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0221]
Leonoren-Ouvertüre oder der Coriolan-Ouvertüre, der Ouvertüre zu „Auacreou" oder
zur „Zauberflöte" zeigt sich die alte Verve und die bewunderungswürdige Virtuosität
im rauschenden Passagenspiel wie im wonnigsten, verschwindenden und doch vollen
Picmissimo; da fühlt man sich in die alte Zeit zurückversetzt und vergißt, daß jetzt
manchmal eine gewisse Lahmheit und Schlaffheit hervortritt, die uns früher unbe¬
kannt war. Gestehen wir es nur offen: der Schwerpunkt der Gewandhausconcerte
liegt heute nicht mehr in den symphonischen, sondern in den solistischen Leistungen.
Mag das nun ein Zeichen der Zeit überhaupt, oder mag es ein Symptom krank¬
hafter Zustände bei uns sein, wegleugnen läßt sich die Thatsache nicht. Früher
mögen wohl manchmal die Virtuosen da oben auf dem Podium in der Probe das
Gefühl eines examsn ri^orosura gehabt haben, als noch David die Concertbeglei¬
tung dirigirte und nichts durchgehen ließ; heute, fürchten wir, haben sie dies Ge¬
fühl nicht mehr, wenn wir das überlegene Lächeln dieser Herren recht verstehen.
Auch die Wahl der vorzutragenden Werke scheint jetzt mehr als ehedem den Vir¬
tuosen überlassen zu werden, sonst wüßten wir es uns nicht zu erklären, wie ein
Werk wie das Godardsche Violinconcert zu der Ehre käme, im Gewandhause ge¬
spielt zu werden. Für die Zulassung solcher phrasenhaften, inhaltlosen französischen
Werke wissen wir der Direction wahrlich wenig Dank, auch wenn sie von bedeu¬
tenden Virtuosen wie Herrn Sauret gespielt werden. Viel höher steht das Violin-
concert von Saint-Saöns, welches Herr Mcrrsick ans Paris vortrug, besonders in
seinem ersten Satze; aus deu beiden übrigen lugt freilich der experimentirende, nach
Originalität haschende Componist der A-Moll-Symphonie hervor. Daß man einen
Virtuosen eigene Compositionen vortragen läßt, ist nichts ungewöhnliches; Herrn
Popper hatte man aber doch Wohl in dieser Richtung etwas allzustarke Concessionen
gemacht, da er außer einem Celloconcert eigener Mache eine, allerdings recht hübsche,
Gavotte zu Gehör brachte, während er außerdem nur Schumanns „Träumerei"
spielte, übrigens auch diese von ihm selber für sein Instrument bearbeitet.
Des weiteren auf die Leistungen der übrigen Jnstrumentalvirtuosen und der
Gesangskünstler einzugehen, verbietet uns der Raum. Wir bedauern dies nicht son¬
derlich, da wir, wie gesagt, deu Schwerpunkt der Gewandhausconcerte in den Lei¬
stungen des Orchesters erkennen und aufs entschiedenste der Ansicht sind, daß dieser
Schwerpunkt, auf den der alte, weitverbreitete Ruhm des Jnstitus sich gründet,
nicht verrückt werden sollte. In diesem Sinne möge auch der oben ausgesprochene
Tadel gegen die Programme und gegen die aufkeimende laxere Disciplin auf
gefaßt werden: nicht als eine Polemik gegen das Institut, sondern als ein wohlge¬
meinter Mahnruf zur Wahrung des hohen Ansehens, des alten Prestige der Ge¬
wandhausconcerte.
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