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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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mir nicht gleichgiltig. Wir gingen ins Rosenthal; es war im September, und
das Wetter war noch außerordentlich schön; ich wünschte zu erfahren, wo der
Ort sei, an welchem Schrepfer von den Geistern geholt worden war.

Ich machte viele Bekanntschaften. Ich lernte Heinrich Laube kennen, der
unlängst Dramatiker geworden war; er hatte die Freundlichkeit, uns beiden
jungen Leuten seine eben beendeten "Karlsschüler" vorzulesen. Ich sah Gerstäcker,
den schon damals vielgereisten, der in seinem Zimmer in einer Hängematte zu
liegen Pflegte, den sanften und boshaften Maria Oettinger, der damals für den
deutschen Paul de Kock galt, aber dabei gar sentimentale, thränenfeuchte Lieder
dichtete; ich lernte den biedern Ernst Willkomm, den vornehmen Gustav Kühne
und den längsten aller deutschen Schriftsteller, Friedrich Saß, kennen, dem es,
wenn er ins Theater ging, immer passirte, daß ihm zugernfen wurde, er möge
sich doch setzen, während er längst saß. Ich machte auch die Bekanntschaft Her-
loßsohns, des talentvollen Romanschriftstellers und vortrefflichen Menschen, dem
man schon nach fünf Minuten herzlich gut sein mußte, des Mannes, den der
Wein, den er so liebte, immer trauriger stimmte, bis er endlich ganz in Weh¬
muth zerfloß, und der, wenn die Stunde, nach Hause zu gehen, endlich heran¬
rückte, gar so schwer in seine Galoschen hineinkam. Endlich wäre noch Haltaus
zu nennen, der Verfasser einer Weltgeschichte, die im Stile der nach kerniger
und gedrängter Kürze strebenden Römer geschrieben war. Es wurden damals
aus ihr im Kreise der Freunde viel komische Stellen citirt. Eine derselben ist
mir noch im Gedächtniß; es ist die, wo er vom Sturze des Tarquinius be¬
richtet: "Sie stritten im Lager über die Vorzüge ihrer Frauen. Bei dem nächt¬
lichen Ritte trug Lucretia den Sieg davon."

Ich wohnte in einem kleinen Gasthause, zur Stadt Wien (?) genannt, fast
am Ende der Hainstraße. Der wackere Johannes Nordmann, der Dichter und
Feuilletonist, jetzt Präsident der Wiener "Concordia", war mir ein lieber Zimmer¬
nachbar. Ich hatte ein schönes, Helles Erkerzimmer inne, von welchem man die
Straße und die Leute, die sich unten tummelten, nach beiden Seiten übersehe"
konnte. Da stand ich stundenlang am Fenster.

Nach des Tages litterarischen Mühen suchte man das unterirdische Leben
auf und traf sich bei Aeckerlein oder in Auerbachs Keller. Der Ort der wahren
Einkehr ist immer ein unterirdischer. Man suchte damals keine großen, eleganten
Locale, man liebte das trauliche, enge, nachgedunkelt" Stübchen. Dort, in der
rauchgeschwängerten Atmosphäre, mundete der Wein und das "Töpfchen" Baierisch
am besten. Da war auch der "Nobiskrug", in einem gar engen Gäßchen, zu
dessen Auffindung man die Führung eines wohlbewanderter Freundes nöthig
hatte. Schon der Name wirkte anlockend, wenn man erst unlängst Friedrich
Daumers "Geheimnisse des christlichen Alterthums" gelesen und daraus erfahren


mir nicht gleichgiltig. Wir gingen ins Rosenthal; es war im September, und
das Wetter war noch außerordentlich schön; ich wünschte zu erfahren, wo der
Ort sei, an welchem Schrepfer von den Geistern geholt worden war.

Ich machte viele Bekanntschaften. Ich lernte Heinrich Laube kennen, der
unlängst Dramatiker geworden war; er hatte die Freundlichkeit, uns beiden
jungen Leuten seine eben beendeten „Karlsschüler" vorzulesen. Ich sah Gerstäcker,
den schon damals vielgereisten, der in seinem Zimmer in einer Hängematte zu
liegen Pflegte, den sanften und boshaften Maria Oettinger, der damals für den
deutschen Paul de Kock galt, aber dabei gar sentimentale, thränenfeuchte Lieder
dichtete; ich lernte den biedern Ernst Willkomm, den vornehmen Gustav Kühne
und den längsten aller deutschen Schriftsteller, Friedrich Saß, kennen, dem es,
wenn er ins Theater ging, immer passirte, daß ihm zugernfen wurde, er möge
sich doch setzen, während er längst saß. Ich machte auch die Bekanntschaft Her-
loßsohns, des talentvollen Romanschriftstellers und vortrefflichen Menschen, dem
man schon nach fünf Minuten herzlich gut sein mußte, des Mannes, den der
Wein, den er so liebte, immer trauriger stimmte, bis er endlich ganz in Weh¬
muth zerfloß, und der, wenn die Stunde, nach Hause zu gehen, endlich heran¬
rückte, gar so schwer in seine Galoschen hineinkam. Endlich wäre noch Haltaus
zu nennen, der Verfasser einer Weltgeschichte, die im Stile der nach kerniger
und gedrängter Kürze strebenden Römer geschrieben war. Es wurden damals
aus ihr im Kreise der Freunde viel komische Stellen citirt. Eine derselben ist
mir noch im Gedächtniß; es ist die, wo er vom Sturze des Tarquinius be¬
richtet: „Sie stritten im Lager über die Vorzüge ihrer Frauen. Bei dem nächt¬
lichen Ritte trug Lucretia den Sieg davon."

Ich wohnte in einem kleinen Gasthause, zur Stadt Wien (?) genannt, fast
am Ende der Hainstraße. Der wackere Johannes Nordmann, der Dichter und
Feuilletonist, jetzt Präsident der Wiener „Concordia", war mir ein lieber Zimmer¬
nachbar. Ich hatte ein schönes, Helles Erkerzimmer inne, von welchem man die
Straße und die Leute, die sich unten tummelten, nach beiden Seiten übersehe«
konnte. Da stand ich stundenlang am Fenster.

Nach des Tages litterarischen Mühen suchte man das unterirdische Leben
auf und traf sich bei Aeckerlein oder in Auerbachs Keller. Der Ort der wahren
Einkehr ist immer ein unterirdischer. Man suchte damals keine großen, eleganten
Locale, man liebte das trauliche, enge, nachgedunkelt« Stübchen. Dort, in der
rauchgeschwängerten Atmosphäre, mundete der Wein und das „Töpfchen" Baierisch
am besten. Da war auch der „Nobiskrug", in einem gar engen Gäßchen, zu
dessen Auffindung man die Führung eines wohlbewanderter Freundes nöthig
hatte. Schon der Name wirkte anlockend, wenn man erst unlängst Friedrich
Daumers „Geheimnisse des christlichen Alterthums" gelesen und daraus erfahren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/22>, abgerufen am 23.07.2024.