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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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und hatte große Vorzüge als Universitätsstadt und als Mittelpunkt des deut¬
schen Buchhandels. Die Regierung wußte, daß den Leipzigern ein bedeutender
Theil ihrer Einnahmen von den zahllosen Fremden kam; so schonte man die
Fremden, sie waren der Paßplackerei hier weit weniger ausgesetzt als sonstwo.
Selbst zwischen Dresden und Leipzig waltete ein Unterschied ob. Dort, in der
Nähe des Hofes, war man difficil, in Leipzig liberal. Und so wurde Leipzig
das Coblenz der österreichischen Emigration. Eine ganze Anzahl österreichischer
Schriftsteller lebte und wirkte hier, aber auch Wiener Spione trieben sich da
umher, um auszuspähen, ob irgend ein mißliebiges Buch unter der Presse sei,
und'um womöglich dessen Erscheinen zu verhindern.

Es war im Herbst 184K, als ich, damals noch ein sehr junger Mensch,
das Manuscript meines "Ziska" in der Tasche, in Leipzig ankam, wo mein
Freund Moriz Hartmann schon seit längerer Zeit lebte. Er und ich -- wir
beide hatten die Censur nie respectirt. Sie war uns wie Geszlers Hut, den
nicht zu grüßen wir für eine Ehrensache hielten. So lange wir in Oesterreich
lebten, ließen wir unsere Verse und sonstige kleine poetische Erzeugnisse über die
Grenze wandern, und da sie nur in Blättern erschienen, die nicht nach Oester¬
reich gelangten, blieben wir lange unbehelligt. Ich glaube, wir jungen Köpfe
hielten damals diejenigen, die sich einer uuserer Ansicht nach unwürdigen und
unberechtigten Institution fügten, für gar keine rechten und eigentlichen Poeten,
oder wir blickten ans sie, wie etwa wilde ungezähmte Elephanten auf solche
blicken, die den Palankin der Fürsten tragen. Das Institut der Censur erschien
uns als ein geistiges Inquisitionstribunal.

Vorher war ich so gut wie unbeachtet geblieben. Nun aber durfte ich von
meinem neuen Manuscript, das ich bei mir trug, nicht annehmen, daß es das
Incognito bewahren werde. Es blieb mir nichts übrig, als damit über die
Grenze zu gehen und das Weitere der Vorsehung zu überlassen.

Leipzig, das jetzt eiuen kalten und vornehmen Eindruck auf mich macht,
erschien mir damals äußerst interessant, sogar romantisch. Der Charakter war
damals noch der einer alten deutschen Stadt. Nun hatte ich auch Moriz Hart-
mann lange nicht gesehen, und wenn zwei Freunde einander wieder begegnen, die
sich lange nicht getroffen, was giebt es da nicht alles zu erzählen! Es war
eine Zeit, wo man der Idee lebte und derselben eine weltbewegende Gewalt
zutraute. Jeder dachte: es muß bald anders werden, und hielt es für seine
Pflicht, dazu zu thun, daß es also werde.

Ich hatte den Kopf voll Lectüre und wollte alle historischen Gebäude sehen.
Ich wollte wissen, wo Gottsched und seine Gattin Adelgunde, die Ahnfrau
aller schreibenden Frauen, gewohnt, wo der Studiosus Wolfgang Goethe logirt;
sogar wo der fromme Christian Fürchtegott Gellert gewandelt und gesessen, war


und hatte große Vorzüge als Universitätsstadt und als Mittelpunkt des deut¬
schen Buchhandels. Die Regierung wußte, daß den Leipzigern ein bedeutender
Theil ihrer Einnahmen von den zahllosen Fremden kam; so schonte man die
Fremden, sie waren der Paßplackerei hier weit weniger ausgesetzt als sonstwo.
Selbst zwischen Dresden und Leipzig waltete ein Unterschied ob. Dort, in der
Nähe des Hofes, war man difficil, in Leipzig liberal. Und so wurde Leipzig
das Coblenz der österreichischen Emigration. Eine ganze Anzahl österreichischer
Schriftsteller lebte und wirkte hier, aber auch Wiener Spione trieben sich da
umher, um auszuspähen, ob irgend ein mißliebiges Buch unter der Presse sei,
und'um womöglich dessen Erscheinen zu verhindern.

Es war im Herbst 184K, als ich, damals noch ein sehr junger Mensch,
das Manuscript meines „Ziska" in der Tasche, in Leipzig ankam, wo mein
Freund Moriz Hartmann schon seit längerer Zeit lebte. Er und ich — wir
beide hatten die Censur nie respectirt. Sie war uns wie Geszlers Hut, den
nicht zu grüßen wir für eine Ehrensache hielten. So lange wir in Oesterreich
lebten, ließen wir unsere Verse und sonstige kleine poetische Erzeugnisse über die
Grenze wandern, und da sie nur in Blättern erschienen, die nicht nach Oester¬
reich gelangten, blieben wir lange unbehelligt. Ich glaube, wir jungen Köpfe
hielten damals diejenigen, die sich einer uuserer Ansicht nach unwürdigen und
unberechtigten Institution fügten, für gar keine rechten und eigentlichen Poeten,
oder wir blickten ans sie, wie etwa wilde ungezähmte Elephanten auf solche
blicken, die den Palankin der Fürsten tragen. Das Institut der Censur erschien
uns als ein geistiges Inquisitionstribunal.

Vorher war ich so gut wie unbeachtet geblieben. Nun aber durfte ich von
meinem neuen Manuscript, das ich bei mir trug, nicht annehmen, daß es das
Incognito bewahren werde. Es blieb mir nichts übrig, als damit über die
Grenze zu gehen und das Weitere der Vorsehung zu überlassen.

Leipzig, das jetzt eiuen kalten und vornehmen Eindruck auf mich macht,
erschien mir damals äußerst interessant, sogar romantisch. Der Charakter war
damals noch der einer alten deutschen Stadt. Nun hatte ich auch Moriz Hart-
mann lange nicht gesehen, und wenn zwei Freunde einander wieder begegnen, die
sich lange nicht getroffen, was giebt es da nicht alles zu erzählen! Es war
eine Zeit, wo man der Idee lebte und derselben eine weltbewegende Gewalt
zutraute. Jeder dachte: es muß bald anders werden, und hielt es für seine
Pflicht, dazu zu thun, daß es also werde.

Ich hatte den Kopf voll Lectüre und wollte alle historischen Gebäude sehen.
Ich wollte wissen, wo Gottsched und seine Gattin Adelgunde, die Ahnfrau
aller schreibenden Frauen, gewohnt, wo der Studiosus Wolfgang Goethe logirt;
sogar wo der fromme Christian Fürchtegott Gellert gewandelt und gesessen, war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/21>, abgerufen am 23.07.2024.