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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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nicht der Abhängigkeit von Rußland verfielen, und deshalb müßten sie eine
genügende militärische Grenze nach Osten hin haben. Der persönliche Charakter
sei keine Bürgschaft für Verhältnisse, welche Dauer haben sollten.

Die russische Entgegnung auf diese vom 6. November datirte Note erfolgte
am 21. Sie wiederholte in der Hauptsache nur das früher von Seiten des
Kaisers Alexander Behauptete und erinnerte an die Anstrengungen, die er ge¬
macht, und daran, daß er seit dem Uebergang über die Oder uicht mehr für
sich selbst, sondern für die Interessen seiner Verbündeten gekämpft habe -- was
beiläufig dem Verlaufe der Begebenheiten nicht entsprach. Dann suchte die
Denkschrift darzuthun, daß die Vereinigung des ganzen Herzogthums Warschau
mit Rußland im Vergleich mit den gerechten Ansprüchen dieses Staates und
mit den Erwerbungen Preußens, Oesterreichs und Englands eigentlich kaum
genüge. Indeß sollten die aus den Vertrügen von Kalisch und Reichenbach
abgeleiteten Forderungen Preußens und Oesterreichs doch jetzt nicht mehr als
durch den unerwarteten Erfolg der verbündeten Waffen beseitigt gelten und
Rußlands Ansprüche nicht mehr unbedingte sein. Nur die Vermittlung Eng¬
lands lehnte Alexander ab, die Parteien würden sich besser selbst mit einander
verständigen.

So konnte Hardenberg sein Vermittlergeschäft mit etwas mehr Aussicht auf
Erfolg betreiben. Am 23. November hatte er eine Unterredung mit Alexander,
in der er ihm die Ansprüche Oesterreichs, welches den Zamoscer Kreis bis zur
Nidda und Krakau mit den Salzwerken von Wieliczka forderte, und diejenigen
Preußens, welches Thorn und die Grenzlinie der Wartha verlangte, vortrug.
Der Kaiser hörte ihn ruhig an und schien wenigstens zum Theil auf diese For¬
derungen einzugehen. Am 27. ließ er dem preußischen Staatskanzler durch
Czartoryski eine Erklärung zustellen, in der er sich unter der Bedingung, daß
alle streitigen Fragen, Polen, Sachsen und Mainz betreffend, in eine Unter¬
handlung zusammengefaßt würden, bereit zeigte, "Opfer zu bringen", und seine
Verpflichtung anerkannte, Preußen wenigstens die Wiederherstellung des Zu¬
standes von 1805 zu sichern. Sachsen müsse demnach ungetheilt mit Preußen
vereinigt, Mainz aber deutsche Bundesfestuug werden. Thorn und Krakau end¬
lich möge man zu unabhängigen und neutralen Freistaaten erklären.

Der preußische Staatskanzler war hiermit nicht zufrieden, er beklagte sich
am 2. December bei Metternich, daß Preußen im Vergleich mit den kleineren
deutschen Staaten und Holland zu schlecht bedacht werde. Er bekam zur Ant¬
wort, hätte Preußen im EinVerständniß mit Oesterreich und England gehandelt,
so hätte es alles, was es gewollt, von Rußland verlangen können -- eine Be¬
hauptung, die nicht zutraf, da Oesterreich schwankte, indem es zwar gern das


Grenzboten I. 1380. 24

nicht der Abhängigkeit von Rußland verfielen, und deshalb müßten sie eine
genügende militärische Grenze nach Osten hin haben. Der persönliche Charakter
sei keine Bürgschaft für Verhältnisse, welche Dauer haben sollten.

Die russische Entgegnung auf diese vom 6. November datirte Note erfolgte
am 21. Sie wiederholte in der Hauptsache nur das früher von Seiten des
Kaisers Alexander Behauptete und erinnerte an die Anstrengungen, die er ge¬
macht, und daran, daß er seit dem Uebergang über die Oder uicht mehr für
sich selbst, sondern für die Interessen seiner Verbündeten gekämpft habe — was
beiläufig dem Verlaufe der Begebenheiten nicht entsprach. Dann suchte die
Denkschrift darzuthun, daß die Vereinigung des ganzen Herzogthums Warschau
mit Rußland im Vergleich mit den gerechten Ansprüchen dieses Staates und
mit den Erwerbungen Preußens, Oesterreichs und Englands eigentlich kaum
genüge. Indeß sollten die aus den Vertrügen von Kalisch und Reichenbach
abgeleiteten Forderungen Preußens und Oesterreichs doch jetzt nicht mehr als
durch den unerwarteten Erfolg der verbündeten Waffen beseitigt gelten und
Rußlands Ansprüche nicht mehr unbedingte sein. Nur die Vermittlung Eng¬
lands lehnte Alexander ab, die Parteien würden sich besser selbst mit einander
verständigen.

So konnte Hardenberg sein Vermittlergeschäft mit etwas mehr Aussicht auf
Erfolg betreiben. Am 23. November hatte er eine Unterredung mit Alexander,
in der er ihm die Ansprüche Oesterreichs, welches den Zamoscer Kreis bis zur
Nidda und Krakau mit den Salzwerken von Wieliczka forderte, und diejenigen
Preußens, welches Thorn und die Grenzlinie der Wartha verlangte, vortrug.
Der Kaiser hörte ihn ruhig an und schien wenigstens zum Theil auf diese For¬
derungen einzugehen. Am 27. ließ er dem preußischen Staatskanzler durch
Czartoryski eine Erklärung zustellen, in der er sich unter der Bedingung, daß
alle streitigen Fragen, Polen, Sachsen und Mainz betreffend, in eine Unter¬
handlung zusammengefaßt würden, bereit zeigte, „Opfer zu bringen", und seine
Verpflichtung anerkannte, Preußen wenigstens die Wiederherstellung des Zu¬
standes von 1805 zu sichern. Sachsen müsse demnach ungetheilt mit Preußen
vereinigt, Mainz aber deutsche Bundesfestuug werden. Thorn und Krakau end¬
lich möge man zu unabhängigen und neutralen Freistaaten erklären.

Der preußische Staatskanzler war hiermit nicht zufrieden, er beklagte sich
am 2. December bei Metternich, daß Preußen im Vergleich mit den kleineren
deutschen Staaten und Holland zu schlecht bedacht werde. Er bekam zur Ant¬
wort, hätte Preußen im EinVerständniß mit Oesterreich und England gehandelt,
so hätte es alles, was es gewollt, von Rußland verlangen können — eine Be¬
hauptung, die nicht zutraf, da Oesterreich schwankte, indem es zwar gern das


Grenzboten I. 1380. 24
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[0193] nicht der Abhängigkeit von Rußland verfielen, und deshalb müßten sie eine genügende militärische Grenze nach Osten hin haben. Der persönliche Charakter sei keine Bürgschaft für Verhältnisse, welche Dauer haben sollten. Die russische Entgegnung auf diese vom 6. November datirte Note erfolgte am 21. Sie wiederholte in der Hauptsache nur das früher von Seiten des Kaisers Alexander Behauptete und erinnerte an die Anstrengungen, die er ge¬ macht, und daran, daß er seit dem Uebergang über die Oder uicht mehr für sich selbst, sondern für die Interessen seiner Verbündeten gekämpft habe — was beiläufig dem Verlaufe der Begebenheiten nicht entsprach. Dann suchte die Denkschrift darzuthun, daß die Vereinigung des ganzen Herzogthums Warschau mit Rußland im Vergleich mit den gerechten Ansprüchen dieses Staates und mit den Erwerbungen Preußens, Oesterreichs und Englands eigentlich kaum genüge. Indeß sollten die aus den Vertrügen von Kalisch und Reichenbach abgeleiteten Forderungen Preußens und Oesterreichs doch jetzt nicht mehr als durch den unerwarteten Erfolg der verbündeten Waffen beseitigt gelten und Rußlands Ansprüche nicht mehr unbedingte sein. Nur die Vermittlung Eng¬ lands lehnte Alexander ab, die Parteien würden sich besser selbst mit einander verständigen. So konnte Hardenberg sein Vermittlergeschäft mit etwas mehr Aussicht auf Erfolg betreiben. Am 23. November hatte er eine Unterredung mit Alexander, in der er ihm die Ansprüche Oesterreichs, welches den Zamoscer Kreis bis zur Nidda und Krakau mit den Salzwerken von Wieliczka forderte, und diejenigen Preußens, welches Thorn und die Grenzlinie der Wartha verlangte, vortrug. Der Kaiser hörte ihn ruhig an und schien wenigstens zum Theil auf diese For¬ derungen einzugehen. Am 27. ließ er dem preußischen Staatskanzler durch Czartoryski eine Erklärung zustellen, in der er sich unter der Bedingung, daß alle streitigen Fragen, Polen, Sachsen und Mainz betreffend, in eine Unter¬ handlung zusammengefaßt würden, bereit zeigte, „Opfer zu bringen", und seine Verpflichtung anerkannte, Preußen wenigstens die Wiederherstellung des Zu¬ standes von 1805 zu sichern. Sachsen müsse demnach ungetheilt mit Preußen vereinigt, Mainz aber deutsche Bundesfestuug werden. Thorn und Krakau end¬ lich möge man zu unabhängigen und neutralen Freistaaten erklären. Der preußische Staatskanzler war hiermit nicht zufrieden, er beklagte sich am 2. December bei Metternich, daß Preußen im Vergleich mit den kleineren deutschen Staaten und Holland zu schlecht bedacht werde. Er bekam zur Ant¬ wort, hätte Preußen im EinVerständniß mit Oesterreich und England gehandelt, so hätte es alles, was es gewollt, von Rußland verlangen können — eine Be¬ hauptung, die nicht zutraf, da Oesterreich schwankte, indem es zwar gern das Grenzboten I. 1380. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/193>, abgerufen am 23.07.2024.