Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

an der Ordnung der Dinge festhalte, die ich in Polen herstellen möchte, so ge¬
schieht dies, weil ich im Gewissen die innige Ueberzeugung hege, daß ich damit
mehr zum allgemeinen Besten handle als zu meinem eignen Vortheile."

Daß dieses Schriftstück den Gang der Politik ändern werde, erwartete der
Kaiser selbst schwerlich. Dagegen war etwas zu gewinnen, wenn der König von
Preußen sich von der Harmlosigkeit der russischen Pläne überzeugen ließ, und
dies wurde von Alexander, der recht wohl wußte, wie er seinen Freund zu
nehmen hatte, ohne Verzug versucht. Er lud ihn am 6. November zum Mahle
im vertrautesten Kreise ein*), "führte eine bewegte Scene herbei und machte die
Unterstützung der russischen Ansprüche durch Preußen zu einer Sache des Ge¬
fühls, der Freundestreue. Der Kaiser berief sich in beredter Weise auf die
Freundschaft, die sie beide verbände, auf den Werth, den er ihr beilegte, auf
alles, was er gethan, um sie zu einer ewigen zu machen. Er habe, so fuhr er
fort, seinen Ruhm stets in der Wiederherstellung eines Königreichs Polen ge¬
sucht, und jetzt, wo er auf dem Punkte stehe, diesen lang genährten Wunsch in
Erfüllung gehen zu sehen -- sollte er da den Schmerz erleben, in den Reihen
derer, die sich ihm widersetzten, auch den geliebtesten seiner Freunde zu zählen,
den einzigen Fürsten, auf dessen Gesinnung er stets gebaut habe!" Einem solchen
Angriff war Friedrich Wilhelm, den auch die Tilsiter Erfahrung in seinem
Glauben an Alexander nicht beirrt hatte, nicht gewachsen, er sagte dem Kaiser
seine Unterstützung bei dessen Absichten auf Polen zu. "Es ist nicht genug, daß
Sie in dieser Stimmung sind, auch Ihre Minister müssen sich ihr fügen", be¬
merkte Alexander und bewog, um das Eisen zu schmieden, so lange es noch
warm war, den König, sofort Hardenberg herbeirufen zu lassen. Derselbe er¬
schien, der Kaiser bemächtigte sich gewandt des Wortes, wiederholte ihm, was
er dem Könige gesagt, und was dieser treue Freund ihm versprochen, und ließ,
als Hardenberg Einwendungen machen wollte, ihn nicht ausreden. Im Namen
des Königs sprechend fragte er den Minister, ob er dessen Befehlen nicht ge¬
horchen wolle, und Hardenberg -- der kein Bismarck war -- mußte sich fügen
Er dachte einen Augenblick daran, sich vom öffentlichen Dienste zurückzuziehen,
fand aber dann, daß es besser sei, zu bleiben, um Schlimmeres zu verhüten
Er bemühte sich fortan fast nur noch, Alexander zu bewegen, das Eine und
das Andere von seinen Forderungen zu Gunsten einer friedlichen Ausgleichung
fallen zu lassen, und er hatte damit, allerdings in sehr bescheidenen Grenzen,
Erfolg.



Wir folgen hier und in einem Theile des Vorhergehenden v. Bernhardts "Ge¬
schichte Rußlands", Th. I S. 66 -- 120, später der Abhandlung Niemanns "Der Vertrag
von Kalisch und unsere Ostgrenze" im letzten Jahrgange von Raumers Historischein
Taschenbuche.

an der Ordnung der Dinge festhalte, die ich in Polen herstellen möchte, so ge¬
schieht dies, weil ich im Gewissen die innige Ueberzeugung hege, daß ich damit
mehr zum allgemeinen Besten handle als zu meinem eignen Vortheile."

Daß dieses Schriftstück den Gang der Politik ändern werde, erwartete der
Kaiser selbst schwerlich. Dagegen war etwas zu gewinnen, wenn der König von
Preußen sich von der Harmlosigkeit der russischen Pläne überzeugen ließ, und
dies wurde von Alexander, der recht wohl wußte, wie er seinen Freund zu
nehmen hatte, ohne Verzug versucht. Er lud ihn am 6. November zum Mahle
im vertrautesten Kreise ein*), „führte eine bewegte Scene herbei und machte die
Unterstützung der russischen Ansprüche durch Preußen zu einer Sache des Ge¬
fühls, der Freundestreue. Der Kaiser berief sich in beredter Weise auf die
Freundschaft, die sie beide verbände, auf den Werth, den er ihr beilegte, auf
alles, was er gethan, um sie zu einer ewigen zu machen. Er habe, so fuhr er
fort, seinen Ruhm stets in der Wiederherstellung eines Königreichs Polen ge¬
sucht, und jetzt, wo er auf dem Punkte stehe, diesen lang genährten Wunsch in
Erfüllung gehen zu sehen — sollte er da den Schmerz erleben, in den Reihen
derer, die sich ihm widersetzten, auch den geliebtesten seiner Freunde zu zählen,
den einzigen Fürsten, auf dessen Gesinnung er stets gebaut habe!" Einem solchen
Angriff war Friedrich Wilhelm, den auch die Tilsiter Erfahrung in seinem
Glauben an Alexander nicht beirrt hatte, nicht gewachsen, er sagte dem Kaiser
seine Unterstützung bei dessen Absichten auf Polen zu. „Es ist nicht genug, daß
Sie in dieser Stimmung sind, auch Ihre Minister müssen sich ihr fügen", be¬
merkte Alexander und bewog, um das Eisen zu schmieden, so lange es noch
warm war, den König, sofort Hardenberg herbeirufen zu lassen. Derselbe er¬
schien, der Kaiser bemächtigte sich gewandt des Wortes, wiederholte ihm, was
er dem Könige gesagt, und was dieser treue Freund ihm versprochen, und ließ,
als Hardenberg Einwendungen machen wollte, ihn nicht ausreden. Im Namen
des Königs sprechend fragte er den Minister, ob er dessen Befehlen nicht ge¬
horchen wolle, und Hardenberg — der kein Bismarck war — mußte sich fügen
Er dachte einen Augenblick daran, sich vom öffentlichen Dienste zurückzuziehen,
fand aber dann, daß es besser sei, zu bleiben, um Schlimmeres zu verhüten
Er bemühte sich fortan fast nur noch, Alexander zu bewegen, das Eine und
das Andere von seinen Forderungen zu Gunsten einer friedlichen Ausgleichung
fallen zu lassen, und er hatte damit, allerdings in sehr bescheidenen Grenzen,
Erfolg.



Wir folgen hier und in einem Theile des Vorhergehenden v. Bernhardts „Ge¬
schichte Rußlands", Th. I S. 66 — 120, später der Abhandlung Niemanns „Der Vertrag
von Kalisch und unsere Ostgrenze" im letzten Jahrgange von Raumers Historischein
Taschenbuche.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0191" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146120"/>
          <p xml:id="ID_501" prev="#ID_500"> an der Ordnung der Dinge festhalte, die ich in Polen herstellen möchte, so ge¬<lb/>
schieht dies, weil ich im Gewissen die innige Ueberzeugung hege, daß ich damit<lb/>
mehr zum allgemeinen Besten handle als zu meinem eignen Vortheile."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_502"> Daß dieses Schriftstück den Gang der Politik ändern werde, erwartete der<lb/>
Kaiser selbst schwerlich. Dagegen war etwas zu gewinnen, wenn der König von<lb/>
Preußen sich von der Harmlosigkeit der russischen Pläne überzeugen ließ, und<lb/>
dies wurde von Alexander, der recht wohl wußte, wie er seinen Freund zu<lb/>
nehmen hatte, ohne Verzug versucht. Er lud ihn am 6. November zum Mahle<lb/>
im vertrautesten Kreise ein*), &#x201E;führte eine bewegte Scene herbei und machte die<lb/>
Unterstützung der russischen Ansprüche durch Preußen zu einer Sache des Ge¬<lb/>
fühls, der Freundestreue. Der Kaiser berief sich in beredter Weise auf die<lb/>
Freundschaft, die sie beide verbände, auf den Werth, den er ihr beilegte, auf<lb/>
alles, was er gethan, um sie zu einer ewigen zu machen. Er habe, so fuhr er<lb/>
fort, seinen Ruhm stets in der Wiederherstellung eines Königreichs Polen ge¬<lb/>
sucht, und jetzt, wo er auf dem Punkte stehe, diesen lang genährten Wunsch in<lb/>
Erfüllung gehen zu sehen &#x2014; sollte er da den Schmerz erleben, in den Reihen<lb/>
derer, die sich ihm widersetzten, auch den geliebtesten seiner Freunde zu zählen,<lb/>
den einzigen Fürsten, auf dessen Gesinnung er stets gebaut habe!" Einem solchen<lb/>
Angriff war Friedrich Wilhelm, den auch die Tilsiter Erfahrung in seinem<lb/>
Glauben an Alexander nicht beirrt hatte, nicht gewachsen, er sagte dem Kaiser<lb/>
seine Unterstützung bei dessen Absichten auf Polen zu. &#x201E;Es ist nicht genug, daß<lb/>
Sie in dieser Stimmung sind, auch Ihre Minister müssen sich ihr fügen", be¬<lb/>
merkte Alexander und bewog, um das Eisen zu schmieden, so lange es noch<lb/>
warm war, den König, sofort Hardenberg herbeirufen zu lassen. Derselbe er¬<lb/>
schien, der Kaiser bemächtigte sich gewandt des Wortes, wiederholte ihm, was<lb/>
er dem Könige gesagt, und was dieser treue Freund ihm versprochen, und ließ,<lb/>
als Hardenberg Einwendungen machen wollte, ihn nicht ausreden. Im Namen<lb/>
des Königs sprechend fragte er den Minister, ob er dessen Befehlen nicht ge¬<lb/>
horchen wolle, und Hardenberg &#x2014; der kein Bismarck war &#x2014; mußte sich fügen<lb/>
Er dachte einen Augenblick daran, sich vom öffentlichen Dienste zurückzuziehen,<lb/>
fand aber dann, daß es besser sei, zu bleiben, um Schlimmeres zu verhüten<lb/>
Er bemühte sich fortan fast nur noch, Alexander zu bewegen, das Eine und<lb/>
das Andere von seinen Forderungen zu Gunsten einer friedlichen Ausgleichung<lb/>
fallen zu lassen, und er hatte damit, allerdings in sehr bescheidenen Grenzen,<lb/>
Erfolg.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_19" place="foot"> Wir folgen hier und in einem Theile des Vorhergehenden v. Bernhardts &#x201E;Ge¬<lb/>
schichte Rußlands", Th. I S. 66 &#x2014; 120, später der Abhandlung Niemanns &#x201E;Der Vertrag<lb/>
von Kalisch und unsere Ostgrenze" im letzten Jahrgange von Raumers Historischein<lb/>
Taschenbuche.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0191] an der Ordnung der Dinge festhalte, die ich in Polen herstellen möchte, so ge¬ schieht dies, weil ich im Gewissen die innige Ueberzeugung hege, daß ich damit mehr zum allgemeinen Besten handle als zu meinem eignen Vortheile." Daß dieses Schriftstück den Gang der Politik ändern werde, erwartete der Kaiser selbst schwerlich. Dagegen war etwas zu gewinnen, wenn der König von Preußen sich von der Harmlosigkeit der russischen Pläne überzeugen ließ, und dies wurde von Alexander, der recht wohl wußte, wie er seinen Freund zu nehmen hatte, ohne Verzug versucht. Er lud ihn am 6. November zum Mahle im vertrautesten Kreise ein*), „führte eine bewegte Scene herbei und machte die Unterstützung der russischen Ansprüche durch Preußen zu einer Sache des Ge¬ fühls, der Freundestreue. Der Kaiser berief sich in beredter Weise auf die Freundschaft, die sie beide verbände, auf den Werth, den er ihr beilegte, auf alles, was er gethan, um sie zu einer ewigen zu machen. Er habe, so fuhr er fort, seinen Ruhm stets in der Wiederherstellung eines Königreichs Polen ge¬ sucht, und jetzt, wo er auf dem Punkte stehe, diesen lang genährten Wunsch in Erfüllung gehen zu sehen — sollte er da den Schmerz erleben, in den Reihen derer, die sich ihm widersetzten, auch den geliebtesten seiner Freunde zu zählen, den einzigen Fürsten, auf dessen Gesinnung er stets gebaut habe!" Einem solchen Angriff war Friedrich Wilhelm, den auch die Tilsiter Erfahrung in seinem Glauben an Alexander nicht beirrt hatte, nicht gewachsen, er sagte dem Kaiser seine Unterstützung bei dessen Absichten auf Polen zu. „Es ist nicht genug, daß Sie in dieser Stimmung sind, auch Ihre Minister müssen sich ihr fügen", be¬ merkte Alexander und bewog, um das Eisen zu schmieden, so lange es noch warm war, den König, sofort Hardenberg herbeirufen zu lassen. Derselbe er¬ schien, der Kaiser bemächtigte sich gewandt des Wortes, wiederholte ihm, was er dem Könige gesagt, und was dieser treue Freund ihm versprochen, und ließ, als Hardenberg Einwendungen machen wollte, ihn nicht ausreden. Im Namen des Königs sprechend fragte er den Minister, ob er dessen Befehlen nicht ge¬ horchen wolle, und Hardenberg — der kein Bismarck war — mußte sich fügen Er dachte einen Augenblick daran, sich vom öffentlichen Dienste zurückzuziehen, fand aber dann, daß es besser sei, zu bleiben, um Schlimmeres zu verhüten Er bemühte sich fortan fast nur noch, Alexander zu bewegen, das Eine und das Andere von seinen Forderungen zu Gunsten einer friedlichen Ausgleichung fallen zu lassen, und er hatte damit, allerdings in sehr bescheidenen Grenzen, Erfolg. Wir folgen hier und in einem Theile des Vorhergehenden v. Bernhardts „Ge¬ schichte Rußlands", Th. I S. 66 — 120, später der Abhandlung Niemanns „Der Vertrag von Kalisch und unsere Ostgrenze" im letzten Jahrgange von Raumers Historischein Taschenbuche.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/191
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/191>, abgerufen am 23.07.2024.