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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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tung noch für Interesse haben, sich dem Parlament zu widersetzen, nachdem sie,
alles eigenen Geistes bar, eine reine Ausführnngsmcischine geworden? Und
andererseits, da man gegen Gneist die Ernennung der Selbstverwaltungs¬
beamten durch Volkswahl, uicht durch königliche Berufung festhielt, so dachte
man sich diese Beamten "als Parlamentarier durch das Vertrauen desselben
Volkes, von dem sie ihr Beamtenmandat erhalten. Dann würden die Parla¬
mentarier die Gesetze geben, die sie selbst ausführen, und so der tiefe Satz
Greises verwirklicht sein: die Gesetze kann nur geben, wer sie ausführt.

Mit solchen Gedanken begannen die Versuche der Verwaltungsreform zur
Zeit der neuen Aera. Der liberale Graf Schwerin -- nicht erst der reactionäre
Graf Eulenburg I -- mußte sich als Minister des Innern zu der Einsicht be¬
quemen, daß man nicht mit einer Landgemeindevrdnuug ansaugen könne. Darum
nicht, weil diese Gemeinden den Apparat einer in Vorstand und Vertretung ge¬
theilten Gemeindeobrigkeit größtentheils nicht aufbringen können, und weil es
zweitens ganz unmöglich ist, diese Gemeinden mit ihren ganz verschiedenartigen
Vermögensverhältnissen zwangsweise in große Gemeinden zusammenzulegen. Man
muß also eine Corporation bilden, wie sie der vorhandene preußische Kreis dar¬
bot, die aus Gemeinden, nicht aus Individuen gebildet ist, und der es in langen
Jahren gelingen muß, die Unterschiede der Gemeinden auszugleichen. Dies hatte
Graf Schwerin eingesehen, und er legte in mehr als einer Session Kreisord¬
nungen vor, die aber nicht zur Berathung gelangten vor dem sich entwickelnden
Militäreonfliet. Unter dem mancherlei Segen, den dieser Conflict trotz seiner
schweren Gefahren bewirkt hat, ist nicht gering anzuschlagen, daß die unreifen
Entwürfe der damaligen Zeit nicht zur Ausführung gelangt sind.

Als die Indemnität von 1866 den Conflict niederschlug, war das Augen¬
merk des Liberalismus, um ähnlichen Gefahren vorzubeugen, mehr auf die Ver¬
waltungsreform gerichtet, als auf Budgetrechte, Minifterverantwortlichkeit oder
sonst etwas. Doch konnte die Regierung diese Gabe nicht sogleich vorlegen, die
so tiefes Nachdenken und große Umsicht erheischte; es gab auch Anderes genug
zu thun. Nach dem französischen Kriege aber mußte die Regierung sich ent¬
schließen, der nicht mehr zu beschwichtigenden Ungeduld des Liberalismus nach¬
zugeben. Die Kreisordnung wurde vorgelegt, die aus den ersten Anlauf auch
damals noch nicht, wohl aber 1872 zu Staude kam.

Dieses Werk zeigt in den Grundzügen überall den heilsamen Einfluß Greises
und ist im Ganzen als ein wohlgelungenes, jedenfalls als das beste aller Ver¬
^ waltungsgesetze dieser Art zu bezeichnen.




tung noch für Interesse haben, sich dem Parlament zu widersetzen, nachdem sie,
alles eigenen Geistes bar, eine reine Ausführnngsmcischine geworden? Und
andererseits, da man gegen Gneist die Ernennung der Selbstverwaltungs¬
beamten durch Volkswahl, uicht durch königliche Berufung festhielt, so dachte
man sich diese Beamten "als Parlamentarier durch das Vertrauen desselben
Volkes, von dem sie ihr Beamtenmandat erhalten. Dann würden die Parla¬
mentarier die Gesetze geben, die sie selbst ausführen, und so der tiefe Satz
Greises verwirklicht sein: die Gesetze kann nur geben, wer sie ausführt.

Mit solchen Gedanken begannen die Versuche der Verwaltungsreform zur
Zeit der neuen Aera. Der liberale Graf Schwerin — nicht erst der reactionäre
Graf Eulenburg I — mußte sich als Minister des Innern zu der Einsicht be¬
quemen, daß man nicht mit einer Landgemeindevrdnuug ansaugen könne. Darum
nicht, weil diese Gemeinden den Apparat einer in Vorstand und Vertretung ge¬
theilten Gemeindeobrigkeit größtentheils nicht aufbringen können, und weil es
zweitens ganz unmöglich ist, diese Gemeinden mit ihren ganz verschiedenartigen
Vermögensverhältnissen zwangsweise in große Gemeinden zusammenzulegen. Man
muß also eine Corporation bilden, wie sie der vorhandene preußische Kreis dar¬
bot, die aus Gemeinden, nicht aus Individuen gebildet ist, und der es in langen
Jahren gelingen muß, die Unterschiede der Gemeinden auszugleichen. Dies hatte
Graf Schwerin eingesehen, und er legte in mehr als einer Session Kreisord¬
nungen vor, die aber nicht zur Berathung gelangten vor dem sich entwickelnden
Militäreonfliet. Unter dem mancherlei Segen, den dieser Conflict trotz seiner
schweren Gefahren bewirkt hat, ist nicht gering anzuschlagen, daß die unreifen
Entwürfe der damaligen Zeit nicht zur Ausführung gelangt sind.

Als die Indemnität von 1866 den Conflict niederschlug, war das Augen¬
merk des Liberalismus, um ähnlichen Gefahren vorzubeugen, mehr auf die Ver¬
waltungsreform gerichtet, als auf Budgetrechte, Minifterverantwortlichkeit oder
sonst etwas. Doch konnte die Regierung diese Gabe nicht sogleich vorlegen, die
so tiefes Nachdenken und große Umsicht erheischte; es gab auch Anderes genug
zu thun. Nach dem französischen Kriege aber mußte die Regierung sich ent¬
schließen, der nicht mehr zu beschwichtigenden Ungeduld des Liberalismus nach¬
zugeben. Die Kreisordnung wurde vorgelegt, die aus den ersten Anlauf auch
damals noch nicht, wohl aber 1872 zu Staude kam.

Dieses Werk zeigt in den Grundzügen überall den heilsamen Einfluß Greises
und ist im Ganzen als ein wohlgelungenes, jedenfalls als das beste aller Ver¬
^ waltungsgesetze dieser Art zu bezeichnen.




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[0183] tung noch für Interesse haben, sich dem Parlament zu widersetzen, nachdem sie, alles eigenen Geistes bar, eine reine Ausführnngsmcischine geworden? Und andererseits, da man gegen Gneist die Ernennung der Selbstverwaltungs¬ beamten durch Volkswahl, uicht durch königliche Berufung festhielt, so dachte man sich diese Beamten "als Parlamentarier durch das Vertrauen desselben Volkes, von dem sie ihr Beamtenmandat erhalten. Dann würden die Parla¬ mentarier die Gesetze geben, die sie selbst ausführen, und so der tiefe Satz Greises verwirklicht sein: die Gesetze kann nur geben, wer sie ausführt. Mit solchen Gedanken begannen die Versuche der Verwaltungsreform zur Zeit der neuen Aera. Der liberale Graf Schwerin — nicht erst der reactionäre Graf Eulenburg I — mußte sich als Minister des Innern zu der Einsicht be¬ quemen, daß man nicht mit einer Landgemeindevrdnuug ansaugen könne. Darum nicht, weil diese Gemeinden den Apparat einer in Vorstand und Vertretung ge¬ theilten Gemeindeobrigkeit größtentheils nicht aufbringen können, und weil es zweitens ganz unmöglich ist, diese Gemeinden mit ihren ganz verschiedenartigen Vermögensverhältnissen zwangsweise in große Gemeinden zusammenzulegen. Man muß also eine Corporation bilden, wie sie der vorhandene preußische Kreis dar¬ bot, die aus Gemeinden, nicht aus Individuen gebildet ist, und der es in langen Jahren gelingen muß, die Unterschiede der Gemeinden auszugleichen. Dies hatte Graf Schwerin eingesehen, und er legte in mehr als einer Session Kreisord¬ nungen vor, die aber nicht zur Berathung gelangten vor dem sich entwickelnden Militäreonfliet. Unter dem mancherlei Segen, den dieser Conflict trotz seiner schweren Gefahren bewirkt hat, ist nicht gering anzuschlagen, daß die unreifen Entwürfe der damaligen Zeit nicht zur Ausführung gelangt sind. Als die Indemnität von 1866 den Conflict niederschlug, war das Augen¬ merk des Liberalismus, um ähnlichen Gefahren vorzubeugen, mehr auf die Ver¬ waltungsreform gerichtet, als auf Budgetrechte, Minifterverantwortlichkeit oder sonst etwas. Doch konnte die Regierung diese Gabe nicht sogleich vorlegen, die so tiefes Nachdenken und große Umsicht erheischte; es gab auch Anderes genug zu thun. Nach dem französischen Kriege aber mußte die Regierung sich ent¬ schließen, der nicht mehr zu beschwichtigenden Ungeduld des Liberalismus nach¬ zugeben. Die Kreisordnung wurde vorgelegt, die aus den ersten Anlauf auch damals noch nicht, wohl aber 1872 zu Staude kam. Dieses Werk zeigt in den Grundzügen überall den heilsamen Einfluß Greises und ist im Ganzen als ein wohlgelungenes, jedenfalls als das beste aller Ver¬ ^ waltungsgesetze dieser Art zu bezeichnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/183>, abgerufen am 23.07.2024.