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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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brachte Bitte und auf den Nachweis der bestandenen Abiturienten- resp. Matu-
ritätsprüfung und dreijährigen Besuches einer deutschen Universität die Staats¬
prüfung zum Nachweis der allgemein wissenschaftlichen Vorbildung erlassen
werden kann. Der dritte Artikel beauftragt das Ministerium des Innern mit
dem Vollzuge dieses Gesetzes.

Nach dem jetzt geltenden Gesetze vom 19. Februar 1874 ist der Zustand
in Baden ein ganz ähnlicher wie in Preußen. Außer Beibringung des auch
nach dem neuen Gesetze verlangten Nachweises einer allgemein wissenschaftlichen
Vorbildung wurde die Zulassung zu einem Kirchenamte noch von einer, vor
einer Staatsbehörde abzulegenden öffentlichen Prüfung in den alten Sprachen,
in Philosophie, Geschichte und deutscher Literatur abhängig gemacht, welche dar¬
thun sollte, daß der Betreffende die für seinen Beruf erforderliche allgemein
wissenschaftliche Vorbildung erworben habe. Von dieser Prüfung konnten aller¬
dings die betr. Theologen dispensirt werden, wenn sie unter Beibringung des
oben angeführte" Nachweises darum baten. Die Curie zu Freiburg aber, die
darin übrigens vollständig freie Hand gehabt haben soll, hatte den katholischen
Geistlichen nicht nur die Ablegung der Prüfung, sondern auch die Bitte um
Erlaß derselben verboten. Ein einziger katholischer Geistlicher hat diesen Dispens
trotzdem erbeten und erhalten; es ist ihm schlecht genug bekommen. Diesen
Standpunkt des Nov, possumus hat die Curie auch heute noch nicht aufgegeben;
aber sie scheint, zuverlässigen Mittheilungen zufolge, jetzt doch insofern zu einem
Zugeständnisse bereit zu sein, als sie das Recht des Staates, sich um den Bil¬
dungsstand der Kirchendiener zu bekümmern, anerkennt und gestattet, daß ihre
Candidaten eiuer Prüfung sich unterziehen, an welcher sich anch der Staat durch
einen Vertreter betheiligt, mit der Berechtigung, auf das Ergebniß der Prüfung
einen bestimmenden Einfluß üben zu können. Der liberalen Partei, die in der
badischen Kammer die ausschlaggebende ist, genügt allerdings dieses Zugeständ-
niß nicht, sie verlangt von der Curie die formelle Zurücknahme des Verbots,
sich der Prüfung zu unterziehen oder um den Dispens nachzusuchen. Daher ist
von ihr auch die Vorlage nichts weniger als freundlich entgegengenommen
worden, und wer die Abgeordneten eine Stunde nach deren Einbringung hörte,
mußte die Ueberzeugung gewinnen, daß der Gesetzentwurf auf keinen Fall Aus¬
sicht habe, angenommen zu werden. Anders aber sieht es in der öffentlichen
Meinung aus. Das Volk, welches ja für die subtilen Unterscheidungen von
staatlichem und kirchlichem Recht niemals eine besonders klare Vorstellung und
ein eingehendes Verständniß gehabt hat, ist des Culturkainpfes herzlich über¬
drüssig. Unsere Bevölkerung, aus beiden Confessionen in wenig sich unterscheiden¬
den Bruchtheilen bestehend, war es gewohnt, in den verschiedenen Verhältnissen
des öffentlichen und privaten Lebens freundlich mit einander zu verkehren, ist


brachte Bitte und auf den Nachweis der bestandenen Abiturienten- resp. Matu-
ritätsprüfung und dreijährigen Besuches einer deutschen Universität die Staats¬
prüfung zum Nachweis der allgemein wissenschaftlichen Vorbildung erlassen
werden kann. Der dritte Artikel beauftragt das Ministerium des Innern mit
dem Vollzuge dieses Gesetzes.

Nach dem jetzt geltenden Gesetze vom 19. Februar 1874 ist der Zustand
in Baden ein ganz ähnlicher wie in Preußen. Außer Beibringung des auch
nach dem neuen Gesetze verlangten Nachweises einer allgemein wissenschaftlichen
Vorbildung wurde die Zulassung zu einem Kirchenamte noch von einer, vor
einer Staatsbehörde abzulegenden öffentlichen Prüfung in den alten Sprachen,
in Philosophie, Geschichte und deutscher Literatur abhängig gemacht, welche dar¬
thun sollte, daß der Betreffende die für seinen Beruf erforderliche allgemein
wissenschaftliche Vorbildung erworben habe. Von dieser Prüfung konnten aller¬
dings die betr. Theologen dispensirt werden, wenn sie unter Beibringung des
oben angeführte« Nachweises darum baten. Die Curie zu Freiburg aber, die
darin übrigens vollständig freie Hand gehabt haben soll, hatte den katholischen
Geistlichen nicht nur die Ablegung der Prüfung, sondern auch die Bitte um
Erlaß derselben verboten. Ein einziger katholischer Geistlicher hat diesen Dispens
trotzdem erbeten und erhalten; es ist ihm schlecht genug bekommen. Diesen
Standpunkt des Nov, possumus hat die Curie auch heute noch nicht aufgegeben;
aber sie scheint, zuverlässigen Mittheilungen zufolge, jetzt doch insofern zu einem
Zugeständnisse bereit zu sein, als sie das Recht des Staates, sich um den Bil¬
dungsstand der Kirchendiener zu bekümmern, anerkennt und gestattet, daß ihre
Candidaten eiuer Prüfung sich unterziehen, an welcher sich anch der Staat durch
einen Vertreter betheiligt, mit der Berechtigung, auf das Ergebniß der Prüfung
einen bestimmenden Einfluß üben zu können. Der liberalen Partei, die in der
badischen Kammer die ausschlaggebende ist, genügt allerdings dieses Zugeständ-
niß nicht, sie verlangt von der Curie die formelle Zurücknahme des Verbots,
sich der Prüfung zu unterziehen oder um den Dispens nachzusuchen. Daher ist
von ihr auch die Vorlage nichts weniger als freundlich entgegengenommen
worden, und wer die Abgeordneten eine Stunde nach deren Einbringung hörte,
mußte die Ueberzeugung gewinnen, daß der Gesetzentwurf auf keinen Fall Aus¬
sicht habe, angenommen zu werden. Anders aber sieht es in der öffentlichen
Meinung aus. Das Volk, welches ja für die subtilen Unterscheidungen von
staatlichem und kirchlichem Recht niemals eine besonders klare Vorstellung und
ein eingehendes Verständniß gehabt hat, ist des Culturkainpfes herzlich über¬
drüssig. Unsere Bevölkerung, aus beiden Confessionen in wenig sich unterscheiden¬
den Bruchtheilen bestehend, war es gewohnt, in den verschiedenen Verhältnissen
des öffentlichen und privaten Lebens freundlich mit einander zu verkehren, ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/179>, abgerufen am 25.08.2024.