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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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daß den Gemeinden unter bestimmten Umständen die Gründung einer Alters¬
versorgungskasse auferlegt werden kann, so würde doch jedenfalls das Netz dieser
Anstalten ein sehr weites bleiben, und sehr viele, aus berechtigten Gründen
ihren Wohnort wechselnde Arbeiter würden in dem neuen Wohnorte eine Kasse
nicht wieder finden. Die hieraus hervorgehenden Härten lassen sich indeß mildern,
indem der Rückkauf streng geregelt wird, indem Maßregeln getroffen werden,
welche auch dem seinen seitherigen Wohnort verlassenden Arbeiter die fernere Mit¬
gliedschaft an der hier bestehenden Kasse ermöglichen, indem endlich der Ueber¬
gang von einer Kasse zur andern thunlichst erleichtert wird. Findet alles dies
seine Berücksichtigung, so würde immerhin ein ansehnlicher Theil der armenrecht-
licheu und socialpolitischen Gründe, welche nach Errichtung von Altersversvr-
gungskassen rufen, seine Erledigung finden.

Daneben würde in Erwägung zu ziehen sein, was sich thun ließe, um die
Gründung freier Altersversorgungskassen zu begünstigen, und zwar solcher, welche
von vornherein einen auf die Allgemeinheit hinstrebenden Charakter tragen.
Hierfür gäbe es zwei Anhaltepunkte: die Jnnungskassen und die Gewerkvereins-
kassen. Von den Vertretern der Jnnungsidee ist stets daran festgehalten worden,
daß die den Innungen zu verleihenden Rechtsbefugnisse an das Vorhandensein
von Anstalten geknüpft werden, welche den Bestand und die gedeihliche Thätig¬
keit der Innung garantiren; als solche Anstalten sind stets auch die Hilfskassen
angesehen worden. Sehr gut wäre es um ausführbar und würde der Jnnungs¬
idee durchaus entsprechen, einen Theil der erwähnten Befugnisse statt den Einzel-
Innungen den nationalen Jnnungsverbänden vorzubehalten und diesen die
Pflicht der Begründung und Erhaltung einer fachgewerblichen Altersversorgungs-,
sowie Wittwen- und Waisenkasse aufzuerlegen. Aehnlich könnte den Gewerk¬
vereinen gegenüber vorgegangen werden; liefern sie den Nachweis, im Besitze
einer in ihrer Solvenz gesicherten Altersversorgungs-, Wittwen- und Waisenkasse
zu sein, so mögen Gesetzgebung und Verwaltung diesen Vereinigungen ihre volle
Gunst zuwenden. Auch braucht ja nicht ausgeschlossen zu sein, daß die ver¬
schiedenen fachgenössischen Gewerkschaften eine gemeinsame Anstalt dieser Art
haben. Die Invalidenkasse der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine scheint aller¬
dings den Forderungen, welche in diesem Sinne erhoben werden müßten, einst¬
weilen nicht zu genügen.

Wäre einmal ganz Deutschland von einem engen Netze fachgewerblicher,
theils mehr vom Arbeitgeber-, theils mehr vom Arbeiterstandpnnkte geleiteter
Kassen dieser Art überspannt, und besäßen alle größeren Städte sowie alle
industriellen Orte oder Bezirke ihre locale Zwangsanstalt der gleichen Art, so
würde die weitere Frage sich in Erwägung ziehen lassen, was zur vollen Ver-


daß den Gemeinden unter bestimmten Umständen die Gründung einer Alters¬
versorgungskasse auferlegt werden kann, so würde doch jedenfalls das Netz dieser
Anstalten ein sehr weites bleiben, und sehr viele, aus berechtigten Gründen
ihren Wohnort wechselnde Arbeiter würden in dem neuen Wohnorte eine Kasse
nicht wieder finden. Die hieraus hervorgehenden Härten lassen sich indeß mildern,
indem der Rückkauf streng geregelt wird, indem Maßregeln getroffen werden,
welche auch dem seinen seitherigen Wohnort verlassenden Arbeiter die fernere Mit¬
gliedschaft an der hier bestehenden Kasse ermöglichen, indem endlich der Ueber¬
gang von einer Kasse zur andern thunlichst erleichtert wird. Findet alles dies
seine Berücksichtigung, so würde immerhin ein ansehnlicher Theil der armenrecht-
licheu und socialpolitischen Gründe, welche nach Errichtung von Altersversvr-
gungskassen rufen, seine Erledigung finden.

Daneben würde in Erwägung zu ziehen sein, was sich thun ließe, um die
Gründung freier Altersversorgungskassen zu begünstigen, und zwar solcher, welche
von vornherein einen auf die Allgemeinheit hinstrebenden Charakter tragen.
Hierfür gäbe es zwei Anhaltepunkte: die Jnnungskassen und die Gewerkvereins-
kassen. Von den Vertretern der Jnnungsidee ist stets daran festgehalten worden,
daß die den Innungen zu verleihenden Rechtsbefugnisse an das Vorhandensein
von Anstalten geknüpft werden, welche den Bestand und die gedeihliche Thätig¬
keit der Innung garantiren; als solche Anstalten sind stets auch die Hilfskassen
angesehen worden. Sehr gut wäre es um ausführbar und würde der Jnnungs¬
idee durchaus entsprechen, einen Theil der erwähnten Befugnisse statt den Einzel-
Innungen den nationalen Jnnungsverbänden vorzubehalten und diesen die
Pflicht der Begründung und Erhaltung einer fachgewerblichen Altersversorgungs-,
sowie Wittwen- und Waisenkasse aufzuerlegen. Aehnlich könnte den Gewerk¬
vereinen gegenüber vorgegangen werden; liefern sie den Nachweis, im Besitze
einer in ihrer Solvenz gesicherten Altersversorgungs-, Wittwen- und Waisenkasse
zu sein, so mögen Gesetzgebung und Verwaltung diesen Vereinigungen ihre volle
Gunst zuwenden. Auch braucht ja nicht ausgeschlossen zu sein, daß die ver¬
schiedenen fachgenössischen Gewerkschaften eine gemeinsame Anstalt dieser Art
haben. Die Invalidenkasse der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine scheint aller¬
dings den Forderungen, welche in diesem Sinne erhoben werden müßten, einst¬
weilen nicht zu genügen.

Wäre einmal ganz Deutschland von einem engen Netze fachgewerblicher,
theils mehr vom Arbeitgeber-, theils mehr vom Arbeiterstandpnnkte geleiteter
Kassen dieser Art überspannt, und besäßen alle größeren Städte sowie alle
industriellen Orte oder Bezirke ihre locale Zwangsanstalt der gleichen Art, so
würde die weitere Frage sich in Erwägung ziehen lassen, was zur vollen Ver-


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[0168] daß den Gemeinden unter bestimmten Umständen die Gründung einer Alters¬ versorgungskasse auferlegt werden kann, so würde doch jedenfalls das Netz dieser Anstalten ein sehr weites bleiben, und sehr viele, aus berechtigten Gründen ihren Wohnort wechselnde Arbeiter würden in dem neuen Wohnorte eine Kasse nicht wieder finden. Die hieraus hervorgehenden Härten lassen sich indeß mildern, indem der Rückkauf streng geregelt wird, indem Maßregeln getroffen werden, welche auch dem seinen seitherigen Wohnort verlassenden Arbeiter die fernere Mit¬ gliedschaft an der hier bestehenden Kasse ermöglichen, indem endlich der Ueber¬ gang von einer Kasse zur andern thunlichst erleichtert wird. Findet alles dies seine Berücksichtigung, so würde immerhin ein ansehnlicher Theil der armenrecht- licheu und socialpolitischen Gründe, welche nach Errichtung von Altersversvr- gungskassen rufen, seine Erledigung finden. Daneben würde in Erwägung zu ziehen sein, was sich thun ließe, um die Gründung freier Altersversorgungskassen zu begünstigen, und zwar solcher, welche von vornherein einen auf die Allgemeinheit hinstrebenden Charakter tragen. Hierfür gäbe es zwei Anhaltepunkte: die Jnnungskassen und die Gewerkvereins- kassen. Von den Vertretern der Jnnungsidee ist stets daran festgehalten worden, daß die den Innungen zu verleihenden Rechtsbefugnisse an das Vorhandensein von Anstalten geknüpft werden, welche den Bestand und die gedeihliche Thätig¬ keit der Innung garantiren; als solche Anstalten sind stets auch die Hilfskassen angesehen worden. Sehr gut wäre es um ausführbar und würde der Jnnungs¬ idee durchaus entsprechen, einen Theil der erwähnten Befugnisse statt den Einzel- Innungen den nationalen Jnnungsverbänden vorzubehalten und diesen die Pflicht der Begründung und Erhaltung einer fachgewerblichen Altersversorgungs-, sowie Wittwen- und Waisenkasse aufzuerlegen. Aehnlich könnte den Gewerk¬ vereinen gegenüber vorgegangen werden; liefern sie den Nachweis, im Besitze einer in ihrer Solvenz gesicherten Altersversorgungs-, Wittwen- und Waisenkasse zu sein, so mögen Gesetzgebung und Verwaltung diesen Vereinigungen ihre volle Gunst zuwenden. Auch braucht ja nicht ausgeschlossen zu sein, daß die ver¬ schiedenen fachgenössischen Gewerkschaften eine gemeinsame Anstalt dieser Art haben. Die Invalidenkasse der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine scheint aller¬ dings den Forderungen, welche in diesem Sinne erhoben werden müßten, einst¬ weilen nicht zu genügen. Wäre einmal ganz Deutschland von einem engen Netze fachgewerblicher, theils mehr vom Arbeitgeber-, theils mehr vom Arbeiterstandpnnkte geleiteter Kassen dieser Art überspannt, und besäßen alle größeren Städte sowie alle industriellen Orte oder Bezirke ihre locale Zwangsanstalt der gleichen Art, so würde die weitere Frage sich in Erwägung ziehen lassen, was zur vollen Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/168>, abgerufen am 23.07.2024.