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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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hören, die Bibel durchlesen (und mir zugleich ein System der biblischen Dogmatik
und Moral bilden) und Geographie studieren. Dabei bleiben aber immerfort täg¬
lich einige Stunden für das philosophische Studium ausgesetzt. Dann will ich ein
halbes Jahr Geschichte, sowohl politische als Kirchengeschichte, dann ein halbes
Jahr Litterärgeschichte studieren als Einleitung in das Studium aller Wissenschaften.
Dann will ich die mathematischen und physikalischen Wissenschaften treiben. In
diese Zeit wird das Ccmdidatenexamen fallen, wozu es an Vorbereitung auch nicht
fehlen soll. Wenn ich das philosophische Studium mit Glück bis dahin werde fort¬
gesetzt haben, hoffe ich es dann wagen zu können, in Jena Doctor zu werden, und
bin ich einmal Candidat und Doctor der Philosophie, dann wirds ja weiter gehen.
Dabei will ich die Musik fortsetzen, das heißt Clavier und Flöte, um dereinst viel¬
leicht auf Reisen davon Gebrauch zu machen und weil ich daraus immer ein Ver¬
gnügen schöpfen werde, das für die Bildung eines guten Geschmacks überhaupt
äußerst vortheilhaft und eines gebildeten Menschen würdig ist. -- Um diesen Plan
ins Werk zu setzen, werde ich meine Zeit inskünftige so eintheilen: Dieses halbe
Jahr will ich täglich 8 Stunden Philosophiren, nämlich früh von 3 oder 4 bis 11;
sechs Stunden nehmen die Collegia weg; die übrige Zeit will ich auf Musik, Er¬
holung und Zeitungslesen wenden. Um neun werde ich jedesmal zu Bette gehen;
Sonntags will ich mich im Französischen, Englischen und Italienischen üben, um
dadurch wenigstens Vergessenheit zu verhüten. Ich habe diese Lebensweise schon
angefangen. Nach diesem halben Jahre bleiben täglich 4 Stunden zum philoso¬
phieren, 3 zu belletristischer Lectüre, 8 zu der für das jedesmalige Halbjahr be¬
stimmten Wissenschaft, und die übrige Zeit des Tages für Musik und Erholung
ausgesetzt."

In der Folge änderte er an diesem Plane mehrfach und hauptsächlich in¬
sofern, als die Philosophie immer mehr in den Vordergrund trat.

In den Anfang des Jahres 1799 fiel die Entlassung Fichtes in Jena.
Fichte hatte 1798 einen Aufsatz "Ueber den Grund unsers Glaubens an eine
göttliche Weltregierung" zu einer Abhandlung Forbergs "Entwicklung des Be¬
griffs der Religion" geschrieben und in demselben die Begriffe "Gott" und "mora¬
lische Weltordnung" einander gleichgesetzt. Es währte nicht lange, so erschien
ein anonymes Pamphlet "Schreiben eines Baders an seinen Sohn über den
Fichteschen und Forbergschen Atheismus", in Folge dessen die kursächsische
Regierung die Aufsätze Fichtes und Forbergs confiscirte und von Weimar die
Bestrafung beider verlangte. Darauf schrieb Fichte eine "Appellation an das
Puvlicmn" -- Ende Januar 1799 -- und einen Brief "an irgend einen ge¬
heimen Rath in Weimar", wie Krause sagt -- es war der Geheime Rath Voigt --,
in welchem er die Regierung von seiner Bestrafung abzuschrecken suchte; derselbe
hatte aber eine andere Wirkung: Fichte erhielt seine Entlassung. Wie alle
Gebildeten, so interessirte sich auch Krauses Vater für diesen Streit und ließ


Grenzboten I. 1380. Is

hören, die Bibel durchlesen (und mir zugleich ein System der biblischen Dogmatik
und Moral bilden) und Geographie studieren. Dabei bleiben aber immerfort täg¬
lich einige Stunden für das philosophische Studium ausgesetzt. Dann will ich ein
halbes Jahr Geschichte, sowohl politische als Kirchengeschichte, dann ein halbes
Jahr Litterärgeschichte studieren als Einleitung in das Studium aller Wissenschaften.
Dann will ich die mathematischen und physikalischen Wissenschaften treiben. In
diese Zeit wird das Ccmdidatenexamen fallen, wozu es an Vorbereitung auch nicht
fehlen soll. Wenn ich das philosophische Studium mit Glück bis dahin werde fort¬
gesetzt haben, hoffe ich es dann wagen zu können, in Jena Doctor zu werden, und
bin ich einmal Candidat und Doctor der Philosophie, dann wirds ja weiter gehen.
Dabei will ich die Musik fortsetzen, das heißt Clavier und Flöte, um dereinst viel¬
leicht auf Reisen davon Gebrauch zu machen und weil ich daraus immer ein Ver¬
gnügen schöpfen werde, das für die Bildung eines guten Geschmacks überhaupt
äußerst vortheilhaft und eines gebildeten Menschen würdig ist. — Um diesen Plan
ins Werk zu setzen, werde ich meine Zeit inskünftige so eintheilen: Dieses halbe
Jahr will ich täglich 8 Stunden Philosophiren, nämlich früh von 3 oder 4 bis 11;
sechs Stunden nehmen die Collegia weg; die übrige Zeit will ich auf Musik, Er¬
holung und Zeitungslesen wenden. Um neun werde ich jedesmal zu Bette gehen;
Sonntags will ich mich im Französischen, Englischen und Italienischen üben, um
dadurch wenigstens Vergessenheit zu verhüten. Ich habe diese Lebensweise schon
angefangen. Nach diesem halben Jahre bleiben täglich 4 Stunden zum philoso¬
phieren, 3 zu belletristischer Lectüre, 8 zu der für das jedesmalige Halbjahr be¬
stimmten Wissenschaft, und die übrige Zeit des Tages für Musik und Erholung
ausgesetzt."

In der Folge änderte er an diesem Plane mehrfach und hauptsächlich in¬
sofern, als die Philosophie immer mehr in den Vordergrund trat.

In den Anfang des Jahres 1799 fiel die Entlassung Fichtes in Jena.
Fichte hatte 1798 einen Aufsatz „Ueber den Grund unsers Glaubens an eine
göttliche Weltregierung" zu einer Abhandlung Forbergs „Entwicklung des Be¬
griffs der Religion" geschrieben und in demselben die Begriffe „Gott" und „mora¬
lische Weltordnung" einander gleichgesetzt. Es währte nicht lange, so erschien
ein anonymes Pamphlet „Schreiben eines Baders an seinen Sohn über den
Fichteschen und Forbergschen Atheismus", in Folge dessen die kursächsische
Regierung die Aufsätze Fichtes und Forbergs confiscirte und von Weimar die
Bestrafung beider verlangte. Darauf schrieb Fichte eine „Appellation an das
Puvlicmn" — Ende Januar 1799 — und einen Brief „an irgend einen ge¬
heimen Rath in Weimar", wie Krause sagt — es war der Geheime Rath Voigt —,
in welchem er die Regierung von seiner Bestrafung abzuschrecken suchte; derselbe
hatte aber eine andere Wirkung: Fichte erhielt seine Entlassung. Wie alle
Gebildeten, so interessirte sich auch Krauses Vater für diesen Streit und ließ


Grenzboten I. 1380. Is
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/153>, abgerufen am 23.07.2024.