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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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sang er die Kirchenlieder sofort genau nach; in Donndorf wurde er sehr bald
Vorsänger in dem wohlgeschulten Singechore. Hier spielte er auch fleißig Orgel
und fing bereits unter dem trefflichen Cantor Schicht an, Generalbaß zu studiren.
Daneben wurden aber auch die ernsteren Fächer nicht vernachlässigt; schon im
dreizehnten Jahre war er ein tüchtiger Lateiner und Grieche; er übersetzte da¬
mals für sich die Odyssee.

In derselben Zeit aber, wo er sich seinen Aufgaben mit ungewöhnlichem
Fleiße hingab, war er oft von heftigem Alpdrücken geplagt. Einmal wurden
seine Augen am hellen Tage blind, bis sie nach langem Aufenthalte in freier
Luft wieder frei wurden. Schon im fünfzehnten Jahre mußte er zur Ader lassen
und wiederholte dieses Verfahren von da an jährlich, später noch öfter, bis in
sein starkes Mannesalter. Dabei quälten ihn die "fliegenden Mücken" oft so
sehr, daß er nicht selten Stunden und Tage lang nicht lesen konnte, und wenn
diese Qual aufhörte, peinigte ihn heftiges, oft Tage lang dauerndes Kopfweh.
Trotz dieser Anfälle wuchs er in diesen Jahren gegen früher ziemlich stark und
erlangte bald eine kräftige Gestalt; zwar war seine Statur nicht hoch, sie blieb
uutermittel; aber seine Schultern waren breit und seine Muskelkraft so bedeu¬
tend, daß er im Alter von 20 Jahren vier Centner heben und drei Erwachsene
herumtragen konnte. Dabei horte er nicht auf, durch Singen seine Stimme zu
üben und zu stärken/)

Inzwischen hatte er sich in einem Alter von wenig mehr als 16 Jahren
vor dem Consistorium in Altenburg das Reifezeugniß zum Besuche der Univer¬
sität erworben -- es war am 11. Juli 1797 -- und war nun vor die Ent¬
scheidung zu einem Lebensberufe gestellt. Auf den Wunsch seines Vaters studirte
er in Jena von 1797 bis 1801 Theologie, aber mit größerem Eifer Philosophie
und Mathematik; denn keine geringeren als Fichte und Schelling lehrten da¬
mals in Jena. So schrieb er am 11. Januar 1798 an seinen Vater: "Fichte
gefällt mir ausnehmend, Schulz und Griesbach auch, Voigt nicht, Eichstädt pas-
sabel, Jacobi vorzüglich", und am 22. Februar: "Ich bewundre Fichtes Verstand
alle Tage mehr." Dagegen wollte ihm Schelling anfangs wenig behagen.

Als der Vater im nächsten Winter eine genaue Darlegung des Studien¬
planes von seinem Sohne verlangte, schrieb ihm dieser am 18. November 1798:

"Dieses halbe Jahr will ich bloß das Fichtesche System studieren. Künftiges
halbes Jahr will ich, es sei hier oder in Leipzig, wie es Ihnen gefällt, Dogmatik



") Die obige Darstellung der Knabenjahre Krauses ist größtentheils genommen aus
H. S. Lindemanns "Uebersichtliche Darstellung des Lebens und der Wissenschaftlehre C. C,
F. Krauses und dessen Standpunktes zur Freimaurerbrüderschaft" (München, 1339). Linde^
manu, ein persönlicher Schüler Krauses, hat diese Angaben jedenfalls zum größten Theil
aus dem Munde Krauses selbst und seiner Familie.

sang er die Kirchenlieder sofort genau nach; in Donndorf wurde er sehr bald
Vorsänger in dem wohlgeschulten Singechore. Hier spielte er auch fleißig Orgel
und fing bereits unter dem trefflichen Cantor Schicht an, Generalbaß zu studiren.
Daneben wurden aber auch die ernsteren Fächer nicht vernachlässigt; schon im
dreizehnten Jahre war er ein tüchtiger Lateiner und Grieche; er übersetzte da¬
mals für sich die Odyssee.

In derselben Zeit aber, wo er sich seinen Aufgaben mit ungewöhnlichem
Fleiße hingab, war er oft von heftigem Alpdrücken geplagt. Einmal wurden
seine Augen am hellen Tage blind, bis sie nach langem Aufenthalte in freier
Luft wieder frei wurden. Schon im fünfzehnten Jahre mußte er zur Ader lassen
und wiederholte dieses Verfahren von da an jährlich, später noch öfter, bis in
sein starkes Mannesalter. Dabei quälten ihn die „fliegenden Mücken" oft so
sehr, daß er nicht selten Stunden und Tage lang nicht lesen konnte, und wenn
diese Qual aufhörte, peinigte ihn heftiges, oft Tage lang dauerndes Kopfweh.
Trotz dieser Anfälle wuchs er in diesen Jahren gegen früher ziemlich stark und
erlangte bald eine kräftige Gestalt; zwar war seine Statur nicht hoch, sie blieb
uutermittel; aber seine Schultern waren breit und seine Muskelkraft so bedeu¬
tend, daß er im Alter von 20 Jahren vier Centner heben und drei Erwachsene
herumtragen konnte. Dabei horte er nicht auf, durch Singen seine Stimme zu
üben und zu stärken/)

Inzwischen hatte er sich in einem Alter von wenig mehr als 16 Jahren
vor dem Consistorium in Altenburg das Reifezeugniß zum Besuche der Univer¬
sität erworben — es war am 11. Juli 1797 — und war nun vor die Ent¬
scheidung zu einem Lebensberufe gestellt. Auf den Wunsch seines Vaters studirte
er in Jena von 1797 bis 1801 Theologie, aber mit größerem Eifer Philosophie
und Mathematik; denn keine geringeren als Fichte und Schelling lehrten da¬
mals in Jena. So schrieb er am 11. Januar 1798 an seinen Vater: „Fichte
gefällt mir ausnehmend, Schulz und Griesbach auch, Voigt nicht, Eichstädt pas-
sabel, Jacobi vorzüglich", und am 22. Februar: „Ich bewundre Fichtes Verstand
alle Tage mehr." Dagegen wollte ihm Schelling anfangs wenig behagen.

Als der Vater im nächsten Winter eine genaue Darlegung des Studien¬
planes von seinem Sohne verlangte, schrieb ihm dieser am 18. November 1798:

„Dieses halbe Jahr will ich bloß das Fichtesche System studieren. Künftiges
halbes Jahr will ich, es sei hier oder in Leipzig, wie es Ihnen gefällt, Dogmatik



") Die obige Darstellung der Knabenjahre Krauses ist größtentheils genommen aus
H. S. Lindemanns „Uebersichtliche Darstellung des Lebens und der Wissenschaftlehre C. C,
F. Krauses und dessen Standpunktes zur Freimaurerbrüderschaft" (München, 1339). Linde^
manu, ein persönlicher Schüler Krauses, hat diese Angaben jedenfalls zum größten Theil
aus dem Munde Krauses selbst und seiner Familie.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/152>, abgerufen am 23.07.2024.