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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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erstens die vor sich gehende Entwicklung auch den Arbeiter selbst durchgehends
auf eine höhere moralische und wirthschaftliche Stufe hebt, und daß zweitens
der dem Arbeiter gezahlte Lohn unter allen Umständen hinreiche, um nicht
nur den persönlichen, sondern auch den aus der Familiengründung hervor¬
gehenden Aufwand desselben vollständig zu bestreiten und außerdem noch
eine Versicherungsprämie für den Fall der Arbeitsunfähigkeit, sowie für den
der Hinterlassung von Wittwen und Waisen zu liefern. Beide Voraussetzungen
treffen leider keineswegs in der wünschenswerthen Allgemeinheit, ja sie treffen
nicht einmal in einem solchen Umfange zu, daß man im Großen und Ganzen
auch nur ihr nothdürftiges Vorhandensein annehmen könnte. Zahlreiche An¬
gehörige des Arbeiterstandes, sowohl den Handwerkerkreisen wie der ländlichen
Bevölkerung entstammte, sind entschieden durch ihr Hineinziehen in die Massen-
Arbeiterschaften der Fabriken in ihrer sittlichen Kraft und in ihrem Zusammen¬
hange mit Kreisen, aus denen diese Kraft Nahrung schöpfte, schwer beeinträchtigt
worden, wenn wir auch zugeben, daß bei vielen anderen Elementen wenigstens
eine wirthschaftliche Hebung, in einer gewissen -- nicht allzugroßen -- Zahl
von Fällen sogar eine Hebung des Sittlichkeitsstandes unter den verwendeten
Arbeitern oder einem Theile derselben stattgefunden hat. Daß aber die gegen¬
seitige Abwägung dieser Wirkungen nicht zu einem Uebergewicht der von der
Fabrik-Industrie geübten sittigenden und veredelnden Einflüsse führen würde,
unterliegt für uns keinem Zweifel. Was ferner die Fähigkeit der gezählten
Löhne betrifft, aus ihnen alle die oben erwähnten Lasten bestreiten zu können,
so läßt sich ja natürlich das NichtVorhandensein dieser Fähigkeit nicht schlechthin
und durchgehends nachweisen; aber zweierlei läßt sich mit voller Sicherheit be¬
haupten: daß in einer großen, ja überwiegenden Menge von Fällen der übliche
Lohn nur eben hinreicht, um eine Familie in recht dürftiger Weise zu unter¬
halten, und daß, wenn auch der Lohn an sich zur Bestreitung einer Prämie
für Arbeitsunfähigkeit und Hinterlassung von Wittwen und Waisen wohl hin¬
reichend sein möchte, dieser Umstand doch so lange werthlos ist, als diese
Prämie nicht auch wirklich angesammelt und für den fraglichen Zweck dienst¬
bar gemacht wird. Nach beiden Richtungen hin aber muß durchaus Abhilfe
geschaffen werden, wenn der Jndustrialismus als ein Segen für unsere wirth¬
schaftlich-socialen Verhältnisse angesehen werden soll. Kann aus dem Lohne die
Prämie nicht bestritten werden, so hilft alles Drehen und Wenden nicht darüber
hinaus, daß aus Mitteln der öffentlichen Wohlthätigkeit bez. der öffentlichen
Armenpflege das Deficit gedeckt werden muß, die Industrie also vom Stand¬
punkte der wirthschaftlichen Gesammtheit mit einer fortwährenden Unterbilanz
arbeitet. Ebenso klar ist es, daß die bloße Thatsache genügender Lohnhöhe
nichts nützt, so lange nicht ein entsprechender Lobreden zur Versicherung heran-


erstens die vor sich gehende Entwicklung auch den Arbeiter selbst durchgehends
auf eine höhere moralische und wirthschaftliche Stufe hebt, und daß zweitens
der dem Arbeiter gezahlte Lohn unter allen Umständen hinreiche, um nicht
nur den persönlichen, sondern auch den aus der Familiengründung hervor¬
gehenden Aufwand desselben vollständig zu bestreiten und außerdem noch
eine Versicherungsprämie für den Fall der Arbeitsunfähigkeit, sowie für den
der Hinterlassung von Wittwen und Waisen zu liefern. Beide Voraussetzungen
treffen leider keineswegs in der wünschenswerthen Allgemeinheit, ja sie treffen
nicht einmal in einem solchen Umfange zu, daß man im Großen und Ganzen
auch nur ihr nothdürftiges Vorhandensein annehmen könnte. Zahlreiche An¬
gehörige des Arbeiterstandes, sowohl den Handwerkerkreisen wie der ländlichen
Bevölkerung entstammte, sind entschieden durch ihr Hineinziehen in die Massen-
Arbeiterschaften der Fabriken in ihrer sittlichen Kraft und in ihrem Zusammen¬
hange mit Kreisen, aus denen diese Kraft Nahrung schöpfte, schwer beeinträchtigt
worden, wenn wir auch zugeben, daß bei vielen anderen Elementen wenigstens
eine wirthschaftliche Hebung, in einer gewissen — nicht allzugroßen — Zahl
von Fällen sogar eine Hebung des Sittlichkeitsstandes unter den verwendeten
Arbeitern oder einem Theile derselben stattgefunden hat. Daß aber die gegen¬
seitige Abwägung dieser Wirkungen nicht zu einem Uebergewicht der von der
Fabrik-Industrie geübten sittigenden und veredelnden Einflüsse führen würde,
unterliegt für uns keinem Zweifel. Was ferner die Fähigkeit der gezählten
Löhne betrifft, aus ihnen alle die oben erwähnten Lasten bestreiten zu können,
so läßt sich ja natürlich das NichtVorhandensein dieser Fähigkeit nicht schlechthin
und durchgehends nachweisen; aber zweierlei läßt sich mit voller Sicherheit be¬
haupten: daß in einer großen, ja überwiegenden Menge von Fällen der übliche
Lohn nur eben hinreicht, um eine Familie in recht dürftiger Weise zu unter¬
halten, und daß, wenn auch der Lohn an sich zur Bestreitung einer Prämie
für Arbeitsunfähigkeit und Hinterlassung von Wittwen und Waisen wohl hin¬
reichend sein möchte, dieser Umstand doch so lange werthlos ist, als diese
Prämie nicht auch wirklich angesammelt und für den fraglichen Zweck dienst¬
bar gemacht wird. Nach beiden Richtungen hin aber muß durchaus Abhilfe
geschaffen werden, wenn der Jndustrialismus als ein Segen für unsere wirth¬
schaftlich-socialen Verhältnisse angesehen werden soll. Kann aus dem Lohne die
Prämie nicht bestritten werden, so hilft alles Drehen und Wenden nicht darüber
hinaus, daß aus Mitteln der öffentlichen Wohlthätigkeit bez. der öffentlichen
Armenpflege das Deficit gedeckt werden muß, die Industrie also vom Stand¬
punkte der wirthschaftlichen Gesammtheit mit einer fortwährenden Unterbilanz
arbeitet. Ebenso klar ist es, daß die bloße Thatsache genügender Lohnhöhe
nichts nützt, so lange nicht ein entsprechender Lobreden zur Versicherung heran-


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[0123] erstens die vor sich gehende Entwicklung auch den Arbeiter selbst durchgehends auf eine höhere moralische und wirthschaftliche Stufe hebt, und daß zweitens der dem Arbeiter gezahlte Lohn unter allen Umständen hinreiche, um nicht nur den persönlichen, sondern auch den aus der Familiengründung hervor¬ gehenden Aufwand desselben vollständig zu bestreiten und außerdem noch eine Versicherungsprämie für den Fall der Arbeitsunfähigkeit, sowie für den der Hinterlassung von Wittwen und Waisen zu liefern. Beide Voraussetzungen treffen leider keineswegs in der wünschenswerthen Allgemeinheit, ja sie treffen nicht einmal in einem solchen Umfange zu, daß man im Großen und Ganzen auch nur ihr nothdürftiges Vorhandensein annehmen könnte. Zahlreiche An¬ gehörige des Arbeiterstandes, sowohl den Handwerkerkreisen wie der ländlichen Bevölkerung entstammte, sind entschieden durch ihr Hineinziehen in die Massen- Arbeiterschaften der Fabriken in ihrer sittlichen Kraft und in ihrem Zusammen¬ hange mit Kreisen, aus denen diese Kraft Nahrung schöpfte, schwer beeinträchtigt worden, wenn wir auch zugeben, daß bei vielen anderen Elementen wenigstens eine wirthschaftliche Hebung, in einer gewissen — nicht allzugroßen — Zahl von Fällen sogar eine Hebung des Sittlichkeitsstandes unter den verwendeten Arbeitern oder einem Theile derselben stattgefunden hat. Daß aber die gegen¬ seitige Abwägung dieser Wirkungen nicht zu einem Uebergewicht der von der Fabrik-Industrie geübten sittigenden und veredelnden Einflüsse führen würde, unterliegt für uns keinem Zweifel. Was ferner die Fähigkeit der gezählten Löhne betrifft, aus ihnen alle die oben erwähnten Lasten bestreiten zu können, so läßt sich ja natürlich das NichtVorhandensein dieser Fähigkeit nicht schlechthin und durchgehends nachweisen; aber zweierlei läßt sich mit voller Sicherheit be¬ haupten: daß in einer großen, ja überwiegenden Menge von Fällen der übliche Lohn nur eben hinreicht, um eine Familie in recht dürftiger Weise zu unter¬ halten, und daß, wenn auch der Lohn an sich zur Bestreitung einer Prämie für Arbeitsunfähigkeit und Hinterlassung von Wittwen und Waisen wohl hin¬ reichend sein möchte, dieser Umstand doch so lange werthlos ist, als diese Prämie nicht auch wirklich angesammelt und für den fraglichen Zweck dienst¬ bar gemacht wird. Nach beiden Richtungen hin aber muß durchaus Abhilfe geschaffen werden, wenn der Jndustrialismus als ein Segen für unsere wirth¬ schaftlich-socialen Verhältnisse angesehen werden soll. Kann aus dem Lohne die Prämie nicht bestritten werden, so hilft alles Drehen und Wenden nicht darüber hinaus, daß aus Mitteln der öffentlichen Wohlthätigkeit bez. der öffentlichen Armenpflege das Deficit gedeckt werden muß, die Industrie also vom Stand¬ punkte der wirthschaftlichen Gesammtheit mit einer fortwährenden Unterbilanz arbeitet. Ebenso klar ist es, daß die bloße Thatsache genügender Lohnhöhe nichts nützt, so lange nicht ein entsprechender Lobreden zur Versicherung heran-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/123>, abgerufen am 25.08.2024.