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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Abendunterhaltungen des Hofes gewesen. Jede Besprechung geistiger Dinge
hatte sich um ihn als um ihren Mittelpunkt, ihren Anreger und Hauptwort¬
führer gedreht. Da er gut und mit einer ungewöhnlichen Treue des Gedächt¬
nisses sprach, so redete er auch gern und viel, und so war es ihm etwas Un¬
gewohntes und Unliebsames, wenn sich erst dann und wann, später regelmäßig
einmal die Woche die Aufmerksamkeit eines ganzen Abends nicht auf ihn, son¬
dern auf eine andere Persönlichkeit richtete, die über das bloß maschinenmäßige
Vorlesen hinaus auch durch Gespräch, Erzählung und eigne Auswahl des zu
Lesenden das Interesse des Königs fesselte, der doch nach Recht und Herkommen
mit seinem Ohr einzig und allein ihm, Humboldt, gehörte. So ungefähr suchte
der Verfasser anfangs den Aerger und den Widerwillen zu verstehen, die der
große Mann nach Aussage Dritter gegen ihn empfand. Er ist indeß nicht sicher,
daß er richtig gerathen. "Vielleicht," so meint er, "hatte ich auf irgend eine
andere Weise sein Mißfallen verdient. Aber," fragt er, ohne sich die Frage
beantworten zu können, "warum war er dann so freundlich gegen mich? Er,
der berühmte, beneidete, mit allen Vorzügen überhäufte Mann, gegen einen un¬
bedeutenden Menschen?"

Später, als die Varnhagenschen Aufzeichnungen von Ludmilla Ussing ver¬
öffentlicht worden waren, begriff Schneider auch diese Freundlichkeit, und die
Auflösung des Räthsels lautete: gewohnheitsmäßige Verstellung. Der Verfasser
unsrer Memoiren kommt darauf bei Gelegenheit eines etwas peinlichen Vor¬
falles zu sprechen, den wir kurz mittheilen wollen, obwohl er mit Humboldt
nichts zu thun hat. Alle Ostern übersendete die Berliner Porcellanfabrik, die
bekanntlich Staatsanstalt ist, dem Könige eine Anzahl vorzüglich schön gemalter
Ostereier von Porcellan, die der Monarch dann während der Feiertage an
Mitglieder seiner Familie oder andere Personen seiner nächsten Umgebung zu
verschenken pflegte. Nun war er einst an einem Ostertage allein nach Potsdam
gekommen, hatte Schneider zu einer Vorlesung auf dem Stadtschlosse befohlen
und dazu nur Offiziere einladen lasten. Nach dem Souper, an welchem der
Vorleser theilnahm, wurde dem Könige ein Kasten mit zwölf solchen Porcellan¬
eiern gebracht, weil die Zahl der Anwesenden gerade zwölf betrug. Jeder ein¬
zelne der Generale und Stabsoffiziere, welche am Tische saßen, erhielt ein solches
El, auch der gleichfalls gegenwärtige Cabinetsrath Niebuhr bekam eins, nur
Schneider ging leer aus. Als daher ein El übrig blieb, sah der König sich
am ganzen Tische um, wobei er auch Schneider einen Augenblick fixirte, und
dann sagte er: "Es ist noch eins übrig. Da, Niebuhr, Sie sollen zwei haben."
Schneider gesteht, sich gewundert zu haben, daß er bei der Austheilung nichts
bekommen. Das El, so meint er, wäre kein werthvolles Geschenk, wohl aber
eine Aufmerksamkeit gewesen. Er versucht sich den sonderbaren Vorgang damit


Abendunterhaltungen des Hofes gewesen. Jede Besprechung geistiger Dinge
hatte sich um ihn als um ihren Mittelpunkt, ihren Anreger und Hauptwort¬
führer gedreht. Da er gut und mit einer ungewöhnlichen Treue des Gedächt¬
nisses sprach, so redete er auch gern und viel, und so war es ihm etwas Un¬
gewohntes und Unliebsames, wenn sich erst dann und wann, später regelmäßig
einmal die Woche die Aufmerksamkeit eines ganzen Abends nicht auf ihn, son¬
dern auf eine andere Persönlichkeit richtete, die über das bloß maschinenmäßige
Vorlesen hinaus auch durch Gespräch, Erzählung und eigne Auswahl des zu
Lesenden das Interesse des Königs fesselte, der doch nach Recht und Herkommen
mit seinem Ohr einzig und allein ihm, Humboldt, gehörte. So ungefähr suchte
der Verfasser anfangs den Aerger und den Widerwillen zu verstehen, die der
große Mann nach Aussage Dritter gegen ihn empfand. Er ist indeß nicht sicher,
daß er richtig gerathen. „Vielleicht," so meint er, „hatte ich auf irgend eine
andere Weise sein Mißfallen verdient. Aber," fragt er, ohne sich die Frage
beantworten zu können, „warum war er dann so freundlich gegen mich? Er,
der berühmte, beneidete, mit allen Vorzügen überhäufte Mann, gegen einen un¬
bedeutenden Menschen?"

Später, als die Varnhagenschen Aufzeichnungen von Ludmilla Ussing ver¬
öffentlicht worden waren, begriff Schneider auch diese Freundlichkeit, und die
Auflösung des Räthsels lautete: gewohnheitsmäßige Verstellung. Der Verfasser
unsrer Memoiren kommt darauf bei Gelegenheit eines etwas peinlichen Vor¬
falles zu sprechen, den wir kurz mittheilen wollen, obwohl er mit Humboldt
nichts zu thun hat. Alle Ostern übersendete die Berliner Porcellanfabrik, die
bekanntlich Staatsanstalt ist, dem Könige eine Anzahl vorzüglich schön gemalter
Ostereier von Porcellan, die der Monarch dann während der Feiertage an
Mitglieder seiner Familie oder andere Personen seiner nächsten Umgebung zu
verschenken pflegte. Nun war er einst an einem Ostertage allein nach Potsdam
gekommen, hatte Schneider zu einer Vorlesung auf dem Stadtschlosse befohlen
und dazu nur Offiziere einladen lasten. Nach dem Souper, an welchem der
Vorleser theilnahm, wurde dem Könige ein Kasten mit zwölf solchen Porcellan¬
eiern gebracht, weil die Zahl der Anwesenden gerade zwölf betrug. Jeder ein¬
zelne der Generale und Stabsoffiziere, welche am Tische saßen, erhielt ein solches
El, auch der gleichfalls gegenwärtige Cabinetsrath Niebuhr bekam eins, nur
Schneider ging leer aus. Als daher ein El übrig blieb, sah der König sich
am ganzen Tische um, wobei er auch Schneider einen Augenblick fixirte, und
dann sagte er: „Es ist noch eins übrig. Da, Niebuhr, Sie sollen zwei haben."
Schneider gesteht, sich gewundert zu haben, daß er bei der Austheilung nichts
bekommen. Das El, so meint er, wäre kein werthvolles Geschenk, wohl aber
eine Aufmerksamkeit gewesen. Er versucht sich den sonderbaren Vorgang damit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/115>, abgerufen am 23.07.2024.