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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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haben über ihn als Menschen längst anders geurtheilt. Als bekannt darf vor¬
ausgesetzt werden, was Bismarck in Buschs Buch (Band 2, S. 80 ff.) vor und
nach der köstlichen Anekdote vom frevelhaft vereitelten Redeaufschwung: "Auf
dem Gipfel des Popokatepetl" über ihn bemerkt. "Es war dem alten Herrn
sehr verdrießlich, wenn er nicht (in der höfischen Gesellschaft) das Wort führen
konnte." -- "Die Liberalen haben viel aus ihm gemacht, ihn zu ihren Leuten
gezählt. Aber er war ein Mensch, dem Fürstengunst unentbehrlich war, und
der sich nur wohl fühlte, wenn ihn die Sonne des Hofes beschien. Das hin¬
derte nicht, daß er hernach mit Varnhagen über den Hof raisonnirte und aller¬
lei schlechte Geschichten von ihm erzählte." Die liberale Presse hat diese Aeuße¬
rung dem Kanzler erschrecklich übelgenommen; sie konnte oder wollte eben nicht
von der Legende, der hergebrachten Auffassung ihres Heros lassen, obwohl die
Varnhagenschen Denkwürdigkeiten dem Minister vollkommen Recht gaben. Hier,
bei Schneider, finden wir nun weitere Bestätigung des Bismarckschen Dictums,
und der Heros erscheint auch mit andern wenig angenehmen Menschlichkeiten
behaftet, die wir um der Wahrheit und Gerechtigkeit willen gleichfalls nicht ver¬
schweigen wollen.

Schon vor 1864 schrieb Schneider einen Abschnitt seiner Denkwürdigkeiten,
in dem es heißt: "War meine Erscheinung (als Vorleser in den Abendgesell¬
schaften Friedrich Wilhelms IV.) in diesem neuen und bisher am preußischen
Hofe in dieser Art nicht gekannten Verhältnisse vielen willkommen, die mir wohl¬
wollten und meine anderweite Thätigkeit kannten, so mögen auch viele davon
unangenehm berührt gewesen sein. .... Zunächst machte ich diese Erfahrung
an dem berühmten und gefeierten Alexander v. Humboldt, von dem mir General
v. Rauch und andere Befreundete erzählten, daß er mir auf das entschiedenste
abhold sei. Ich konnte das um so weniger begreifen, als der große Mann stets
ungemein freundlich gegen mich war und sich anscheinend gern mit mir unter¬
hielt Ich fühlte aufrichtige Verehrung vor diesem Heros der Wissenschaft und
Liebling meines königlichen Herrn. Es war mir immer, als stünde ich neben
einer Unsterblichkeit, wenn er mit seiner gewinnenden Art wie in vertraulichem
Gespräche das Wort an mich richtete. Aus dem schonungsloser Urtheil aber,
das er über hochstehende Personen und selbst über ihm nahe Befreundete fällte,
erkannte ich bald, daß ich in meinen Aeußerungen vorsichtig sein müsse, und ich
fing an zu glauben, daß er auch gegen mich nur so lange freundlich gesinnt
sei, als er mit mir sprach."

Diese falsche Freundlichkeit und jene Abneigung war Schneider nicht recht
erklärlich. Humboldt befand sich am königlichen Hofe in bevorzugter und glück¬
licher Stellung. Er war seit langen Jahren erst beim Kronprinzen, dann beim
König Friedrich Wilhelm der ausschließliche Beherrscher des Gesprächs bei den


haben über ihn als Menschen längst anders geurtheilt. Als bekannt darf vor¬
ausgesetzt werden, was Bismarck in Buschs Buch (Band 2, S. 80 ff.) vor und
nach der köstlichen Anekdote vom frevelhaft vereitelten Redeaufschwung: „Auf
dem Gipfel des Popokatepetl" über ihn bemerkt. „Es war dem alten Herrn
sehr verdrießlich, wenn er nicht (in der höfischen Gesellschaft) das Wort führen
konnte." — „Die Liberalen haben viel aus ihm gemacht, ihn zu ihren Leuten
gezählt. Aber er war ein Mensch, dem Fürstengunst unentbehrlich war, und
der sich nur wohl fühlte, wenn ihn die Sonne des Hofes beschien. Das hin¬
derte nicht, daß er hernach mit Varnhagen über den Hof raisonnirte und aller¬
lei schlechte Geschichten von ihm erzählte." Die liberale Presse hat diese Aeuße¬
rung dem Kanzler erschrecklich übelgenommen; sie konnte oder wollte eben nicht
von der Legende, der hergebrachten Auffassung ihres Heros lassen, obwohl die
Varnhagenschen Denkwürdigkeiten dem Minister vollkommen Recht gaben. Hier,
bei Schneider, finden wir nun weitere Bestätigung des Bismarckschen Dictums,
und der Heros erscheint auch mit andern wenig angenehmen Menschlichkeiten
behaftet, die wir um der Wahrheit und Gerechtigkeit willen gleichfalls nicht ver¬
schweigen wollen.

Schon vor 1864 schrieb Schneider einen Abschnitt seiner Denkwürdigkeiten,
in dem es heißt: „War meine Erscheinung (als Vorleser in den Abendgesell¬
schaften Friedrich Wilhelms IV.) in diesem neuen und bisher am preußischen
Hofe in dieser Art nicht gekannten Verhältnisse vielen willkommen, die mir wohl¬
wollten und meine anderweite Thätigkeit kannten, so mögen auch viele davon
unangenehm berührt gewesen sein. .... Zunächst machte ich diese Erfahrung
an dem berühmten und gefeierten Alexander v. Humboldt, von dem mir General
v. Rauch und andere Befreundete erzählten, daß er mir auf das entschiedenste
abhold sei. Ich konnte das um so weniger begreifen, als der große Mann stets
ungemein freundlich gegen mich war und sich anscheinend gern mit mir unter¬
hielt Ich fühlte aufrichtige Verehrung vor diesem Heros der Wissenschaft und
Liebling meines königlichen Herrn. Es war mir immer, als stünde ich neben
einer Unsterblichkeit, wenn er mit seiner gewinnenden Art wie in vertraulichem
Gespräche das Wort an mich richtete. Aus dem schonungsloser Urtheil aber,
das er über hochstehende Personen und selbst über ihm nahe Befreundete fällte,
erkannte ich bald, daß ich in meinen Aeußerungen vorsichtig sein müsse, und ich
fing an zu glauben, daß er auch gegen mich nur so lange freundlich gesinnt
sei, als er mit mir sprach."

Diese falsche Freundlichkeit und jene Abneigung war Schneider nicht recht
erklärlich. Humboldt befand sich am königlichen Hofe in bevorzugter und glück¬
licher Stellung. Er war seit langen Jahren erst beim Kronprinzen, dann beim
König Friedrich Wilhelm der ausschließliche Beherrscher des Gesprächs bei den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/114>, abgerufen am 23.07.2024.