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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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für sich abgeben sah, hatte Herr Laster das Mißgeschick, erleben zu müssen, daß
ihm nach langjähriger Wirksamkeit als Parlamentarier die Pforte des Abge¬
ordnetenhauses für dies Mal verschlossen blieb. War seine erste Niederlage, in
Frankfurt, schon empfindlich, so war die zweite, in Breslau, dies in noch weit
höherem Grade; und zwar einmal schon weil sie die zweite war, dann aber, weil
sie ihm von der eignen Partei bereitet wurde. Lieber als die bekannte parlamen¬
tarische Größe, die in der That einige Verdienste aufzuweisen hatte, entschied man
sich für einen andern Nationalliberalen, der keine "Größe" war, ja von dein
man bis dahin außerhalb Breslau's kaum gehört hatte. Und der Grund war?
Wir irren wohl nicht, wenn wir ihn in dem krittelnden Wesen Herrn Lasters
und in der Art, wie er den Liberalismus auffaßt, und wie er Opposition macht,
suchen, und wenn wir meinen, die Wähler haben es für schädlich gehalten, wenn
eine Individualität, in welcher das kritische Element vorwiegt, sich bei der ersten
Lesung von Gesetzentwürfen immer und immer wieder in den Vordergrund
drängt, um sie mit talmudischen Scharfsinn zu zerfasern und als werthlos er¬
scheinen zu lassen. Selbst Radikale können nicht gut rücksichtsloser und mit mehr
Doktrinarismus vorgehen, als dies Herr Laster die Jahre daher zu thun ge¬
wohnt war, wenn es sich um Vorlagen handelte, die nicht nach liberaler Scha¬
blone hergestellt waren. War er dann in späteren Stadien der Berathung auch
gewöhnlich bereit, das Zerstückte wieder zu verbinden und sich damit zufrieden
zu geben, wenn er in das Gewebe etwas hineingebracht hatte, was nach Libera¬
lismus seiner Art schmeckte, so mußten Unbefangene doch dieses Spiels, das
sehr darnach aussah, als gälte es dem Betreffenden mehr, seine Kraft und Be¬
deutung zu zeigen, als die Sache zu fördern, mit der Zeit überdrüssig werden,
zumal da kostbare Zeit dabei verloren ging.

Man hat nach den Wahlen die Reaction Heraufziehen zu sehen vermeint
und dies vielfach angekündigt. Wir haben von Reaction bis jetzt nichts be¬
merken können, wohl aber Frieden und Fortschritt im EinVerständniß der aus
Gemäßigten beider Hauptparteien bestehenden Majorität der Volksvertretung
mit der Regierung. Das neue Abgeordnetenhaus bekundet sich in seiner großen
Mehrheit als Repräsentation von Wählern, welche mit der Wirthschaftspolitik
des Reichskanzlers einverstanden sind und die Consequenzen derselben auf dem
Boden der preußischen Staatseinrichtungen gezogen wissen wollen. Wenn auch
das Centrum Miene machte, verdrießlich über das langsame Fortschreiten der
Verständigung mit Rom die alte Opposition wieder aufzunehmen, so war dafür
von den meisten Nationalliberalen von Anfang all dergleichen nicht mehr zu
fürchten, und jene Consequenzen, Schutz der nationalen Arbeit, Erweiterung des
Systems der indirecten Steuern und Verstaatlichung der Eisenbahnen, werden


für sich abgeben sah, hatte Herr Laster das Mißgeschick, erleben zu müssen, daß
ihm nach langjähriger Wirksamkeit als Parlamentarier die Pforte des Abge¬
ordnetenhauses für dies Mal verschlossen blieb. War seine erste Niederlage, in
Frankfurt, schon empfindlich, so war die zweite, in Breslau, dies in noch weit
höherem Grade; und zwar einmal schon weil sie die zweite war, dann aber, weil
sie ihm von der eignen Partei bereitet wurde. Lieber als die bekannte parlamen¬
tarische Größe, die in der That einige Verdienste aufzuweisen hatte, entschied man
sich für einen andern Nationalliberalen, der keine „Größe" war, ja von dein
man bis dahin außerhalb Breslau's kaum gehört hatte. Und der Grund war?
Wir irren wohl nicht, wenn wir ihn in dem krittelnden Wesen Herrn Lasters
und in der Art, wie er den Liberalismus auffaßt, und wie er Opposition macht,
suchen, und wenn wir meinen, die Wähler haben es für schädlich gehalten, wenn
eine Individualität, in welcher das kritische Element vorwiegt, sich bei der ersten
Lesung von Gesetzentwürfen immer und immer wieder in den Vordergrund
drängt, um sie mit talmudischen Scharfsinn zu zerfasern und als werthlos er¬
scheinen zu lassen. Selbst Radikale können nicht gut rücksichtsloser und mit mehr
Doktrinarismus vorgehen, als dies Herr Laster die Jahre daher zu thun ge¬
wohnt war, wenn es sich um Vorlagen handelte, die nicht nach liberaler Scha¬
blone hergestellt waren. War er dann in späteren Stadien der Berathung auch
gewöhnlich bereit, das Zerstückte wieder zu verbinden und sich damit zufrieden
zu geben, wenn er in das Gewebe etwas hineingebracht hatte, was nach Libera¬
lismus seiner Art schmeckte, so mußten Unbefangene doch dieses Spiels, das
sehr darnach aussah, als gälte es dem Betreffenden mehr, seine Kraft und Be¬
deutung zu zeigen, als die Sache zu fördern, mit der Zeit überdrüssig werden,
zumal da kostbare Zeit dabei verloren ging.

Man hat nach den Wahlen die Reaction Heraufziehen zu sehen vermeint
und dies vielfach angekündigt. Wir haben von Reaction bis jetzt nichts be¬
merken können, wohl aber Frieden und Fortschritt im EinVerständniß der aus
Gemäßigten beider Hauptparteien bestehenden Majorität der Volksvertretung
mit der Regierung. Das neue Abgeordnetenhaus bekundet sich in seiner großen
Mehrheit als Repräsentation von Wählern, welche mit der Wirthschaftspolitik
des Reichskanzlers einverstanden sind und die Consequenzen derselben auf dem
Boden der preußischen Staatseinrichtungen gezogen wissen wollen. Wenn auch
das Centrum Miene machte, verdrießlich über das langsame Fortschreiten der
Verständigung mit Rom die alte Opposition wieder aufzunehmen, so war dafür
von den meisten Nationalliberalen von Anfang all dergleichen nicht mehr zu
fürchten, und jene Consequenzen, Schutz der nationalen Arbeit, Erweiterung des
Systems der indirecten Steuern und Verstaatlichung der Eisenbahnen, werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/11>, abgerufen am 23.07.2024.