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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Verwandte" des Königs. Der Papst soll nachher sein Bedauern ausgesprochen
haben, daß er uicht mehr habe thun können. Er hatte allerdings gezeigt, daß
er der ganzen Nation gegenüber die Rechte der Kirche aufrechterhalten konnte;
aber die Nation bewies ihm durch die imposanteste Demonstration, deren sie
fähig war, daß sie die neue Rechtsordnung ihm zum Trotze anerkenne, und daß
sein Fluch über den Verstorbenen und dessen Werk zu windverwehten Worten
geworden war. Schon am 15. Januar wiesen die Listen der Polizei eine Zahl
von 114000 angemeldeten Fremden auf; schon in der Nacht vor dem 17.
sammelten sich die Volksmassen auf dem ganzen Wege, den der Leichenzug
nehmen mußte; in ehrfurchtsvollem Schweigen harrten hier dichtgedrängt über
200000 Menschen wohl 7 Stunden lang, bis der Zug vorüber war. Es
bedürfte keiner Polizei; nicht die leiseste Störung fiel vor. Das war mehr als
bloße Neugier, als Liebe zum Schaugepränge, das war der grandiose Ausdruck
der Anerkennung Victor Emanuels und seines Werkes. Ganz Italien hatte
sich versammelt, zum letzten Male den Herrscher zu feiern, "dessen Name mehr
als ein bloßer Königsncune, ein historisches Symbol, eine Nationalfahne war".
"Du hast," rief ein begeisterter Italiener aus, "viele Lehren in deinem Leben
gegeben, o großer König; aber die größte von allen ist die, welche bei deinem
Tode in ihrer ganzen Bedeutung erschien, daß die größte Macht, das größte
Glück eines Monarchen die Liebe seines Volkes ist." --

Versuchen wir noch zum Schluß, in raschen Zügen ein Bild der äußern
Erscheinung des Königs, seiner Lebensweise und seiner geistigen Eigenthümlichkeit
zu entwerfen.

Allbekannt sind die Gesichtszüge des Königs, wie sie die italienischen Münzen
charakteristisch genug zeigen. Nichts erinnert in ihnen wie in seiner Natur an
das griechische Schönheitsideal; man könnte seine Bildsäule zur Contrastwirkung
neben die des Apoll von Belvedere stellen. Der untersetzte Körperbau mit nicht
allzu proportionirten Gliedern, der kurze Hals, die ausgestülpte Nase mit weit-
geöffneten Nüstern, das stark hervortretende, auf eine kräftige Sinnlichkeit deu¬
tende Untergesicht, das auf den ersten Anblick fast an die äthiopische Rasse
erinnert, halten jeden Gedanken an classische Schönheit fern. Aber die hohe
edle Stirn, das ausdrucksvolle Auge, das bald im Glänze natürlicher Majestät,
bald theilnehmender Güte leuchtete, die imponirende, zugleich leichte und kräftige
Haltung, der elastische Gang endlich versöhnten mit jener Unregelmäßigkeit der
Züge, so daß Viele, die oft mit ihm verkehrten, den König trotz allem schön
finden wollten.

Von kräftiger Gesundheit und früh abgehärtet, scheute Victor Emanuel
keinerlei körperliche Anstrengung; ja er liebte es, sie aufzusuchen, während er
seinem Lieblingsvergnügen, der Jagd, nachging, sei es in den dichtverschlungenen


Verwandte» des Königs. Der Papst soll nachher sein Bedauern ausgesprochen
haben, daß er uicht mehr habe thun können. Er hatte allerdings gezeigt, daß
er der ganzen Nation gegenüber die Rechte der Kirche aufrechterhalten konnte;
aber die Nation bewies ihm durch die imposanteste Demonstration, deren sie
fähig war, daß sie die neue Rechtsordnung ihm zum Trotze anerkenne, und daß
sein Fluch über den Verstorbenen und dessen Werk zu windverwehten Worten
geworden war. Schon am 15. Januar wiesen die Listen der Polizei eine Zahl
von 114000 angemeldeten Fremden auf; schon in der Nacht vor dem 17.
sammelten sich die Volksmassen auf dem ganzen Wege, den der Leichenzug
nehmen mußte; in ehrfurchtsvollem Schweigen harrten hier dichtgedrängt über
200000 Menschen wohl 7 Stunden lang, bis der Zug vorüber war. Es
bedürfte keiner Polizei; nicht die leiseste Störung fiel vor. Das war mehr als
bloße Neugier, als Liebe zum Schaugepränge, das war der grandiose Ausdruck
der Anerkennung Victor Emanuels und seines Werkes. Ganz Italien hatte
sich versammelt, zum letzten Male den Herrscher zu feiern, „dessen Name mehr
als ein bloßer Königsncune, ein historisches Symbol, eine Nationalfahne war".
„Du hast," rief ein begeisterter Italiener aus, „viele Lehren in deinem Leben
gegeben, o großer König; aber die größte von allen ist die, welche bei deinem
Tode in ihrer ganzen Bedeutung erschien, daß die größte Macht, das größte
Glück eines Monarchen die Liebe seines Volkes ist." —

Versuchen wir noch zum Schluß, in raschen Zügen ein Bild der äußern
Erscheinung des Königs, seiner Lebensweise und seiner geistigen Eigenthümlichkeit
zu entwerfen.

Allbekannt sind die Gesichtszüge des Königs, wie sie die italienischen Münzen
charakteristisch genug zeigen. Nichts erinnert in ihnen wie in seiner Natur an
das griechische Schönheitsideal; man könnte seine Bildsäule zur Contrastwirkung
neben die des Apoll von Belvedere stellen. Der untersetzte Körperbau mit nicht
allzu proportionirten Gliedern, der kurze Hals, die ausgestülpte Nase mit weit-
geöffneten Nüstern, das stark hervortretende, auf eine kräftige Sinnlichkeit deu¬
tende Untergesicht, das auf den ersten Anblick fast an die äthiopische Rasse
erinnert, halten jeden Gedanken an classische Schönheit fern. Aber die hohe
edle Stirn, das ausdrucksvolle Auge, das bald im Glänze natürlicher Majestät,
bald theilnehmender Güte leuchtete, die imponirende, zugleich leichte und kräftige
Haltung, der elastische Gang endlich versöhnten mit jener Unregelmäßigkeit der
Züge, so daß Viele, die oft mit ihm verkehrten, den König trotz allem schön
finden wollten.

Von kräftiger Gesundheit und früh abgehärtet, scheute Victor Emanuel
keinerlei körperliche Anstrengung; ja er liebte es, sie aufzusuchen, während er
seinem Lieblingsvergnügen, der Jagd, nachging, sei es in den dichtverschlungenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/107>, abgerufen am 23.07.2024.