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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Ich hatte stets eine besondere Zuneigung und Ergebenheit für die Person Seiner
Heiligkeit und bedaure es, wenn ich durch irgend eine, meiner Handlungen dem
heiligen Vater persönlich Mißvergnügen bereitet habe. Aber bei Allem, was
ich that, hatte ich stets das Bewußtsein, meine Pflicht als Bürger und Fürst
zu erfüllen und mich dadurch in nichts gegen die Religion meiner Väter zu
vergehen." So hatte die Curie auch dem sterbenden Könige gegenüber den
Proceß verloren, und die krampfhaften Anstrengungen, denselben als einen ge¬
wonnenen darzustellen, brachten ihr nur Spott und Verachtung.

Der König hatte den Kronprinzen und dessen Gemahlin an sein Lager
rufen lassen. Seine letzten Worte an den Sohn waren: "Ich empfehle dir
Festigkeit, Liebe zum Vaterlande und der Freiheit." Dann wurde die tiefe Stille
nur noch einmal durch den Ruf des Sterbenden: Die Kinder! Die Kinder!
und durch das Schluchzen der im Zimmer Knieenden unterbrochen. Der König,
bei vollem Bewußtsein, war ruhig und gefaßt. "Er starb wie ein Held." Um
halb drei Uhr war der kurze Todeskampf zu Ende; Dr. Bruno drückte dem
Entseelten die Augen zu und rief laut: "Der erste König von Italien ist ge¬
storben!" Es war genau ein Lustrum nach dem Tode seines Freundes, des
Exkaisers Napoleon in Chislehurst.

Gegen vier Uhr verbreitete sich die Nachricht in der Stadt. Der Eindruck
war ein ungeheurer. Das Volk stand dein Ereigniß fassungslos, wie betäubt
gegenüber. Nicht nur Weiber und Kinder, auch ernste Männer weinten laut.
Und als der Telegraph die Todespost über die ganze Halbinsel trug, erhob
sich eine Wehklage von den Alpen bis zum Aetna, und eine Nationaltrauer
folgte, so allgemein, so tief, so echt und würdig zugleich, daß sie das ganze
zuschauende Europa mitergriff. "Heute," konnte ein italienisches Blatt mit Recht
ausrufen, "giebt es keine Hütte und keinen Palast zwischen Alpen und Meer, in
dem nicht die Worte: ,Victor Emanuel ist todt!^ ein tiefschmerzliches Echo hervor¬
riefen." "Italien betrauert ihn, wie nie ein König betrauert worden ist." Und
dasselbe Echo erklang in allen Tonarten in der italienischen Presse aller Partei-
schattirungen. Selbst die klerikalen Blätter äußerten sich theilnehmend -- ohne
Zweifel auf höheren Befehl. Den Schmerzenslauten Italiens antwortete ein
mächtiger Wiederhall von jenseit der Grenze" des Königreichs, zumal ans unserm
Vaterlande. Nur die ultraklerikale und reactionäre Presse, wie die "Germania",
das Wiener "Vaterland", der llnivms und verwandte Geister machten "dem
Werkzeuge der kosmopolitische" Revolution" gegenüber eine Ausnahme.

Inzwischen waren die Familienglieder mit Ausnahme der Prinzessin Clotilde
und die Vertreter der fremden Höfe, unter ihnen der Erzherzog Rainer und
der deutsche Kronprinz eingetroffen. Daß der erstere, ein naher Verwandter


Grenzboten I. 1380. 13

Ich hatte stets eine besondere Zuneigung und Ergebenheit für die Person Seiner
Heiligkeit und bedaure es, wenn ich durch irgend eine, meiner Handlungen dem
heiligen Vater persönlich Mißvergnügen bereitet habe. Aber bei Allem, was
ich that, hatte ich stets das Bewußtsein, meine Pflicht als Bürger und Fürst
zu erfüllen und mich dadurch in nichts gegen die Religion meiner Väter zu
vergehen." So hatte die Curie auch dem sterbenden Könige gegenüber den
Proceß verloren, und die krampfhaften Anstrengungen, denselben als einen ge¬
wonnenen darzustellen, brachten ihr nur Spott und Verachtung.

Der König hatte den Kronprinzen und dessen Gemahlin an sein Lager
rufen lassen. Seine letzten Worte an den Sohn waren: „Ich empfehle dir
Festigkeit, Liebe zum Vaterlande und der Freiheit." Dann wurde die tiefe Stille
nur noch einmal durch den Ruf des Sterbenden: Die Kinder! Die Kinder!
und durch das Schluchzen der im Zimmer Knieenden unterbrochen. Der König,
bei vollem Bewußtsein, war ruhig und gefaßt. „Er starb wie ein Held." Um
halb drei Uhr war der kurze Todeskampf zu Ende; Dr. Bruno drückte dem
Entseelten die Augen zu und rief laut: „Der erste König von Italien ist ge¬
storben!" Es war genau ein Lustrum nach dem Tode seines Freundes, des
Exkaisers Napoleon in Chislehurst.

Gegen vier Uhr verbreitete sich die Nachricht in der Stadt. Der Eindruck
war ein ungeheurer. Das Volk stand dein Ereigniß fassungslos, wie betäubt
gegenüber. Nicht nur Weiber und Kinder, auch ernste Männer weinten laut.
Und als der Telegraph die Todespost über die ganze Halbinsel trug, erhob
sich eine Wehklage von den Alpen bis zum Aetna, und eine Nationaltrauer
folgte, so allgemein, so tief, so echt und würdig zugleich, daß sie das ganze
zuschauende Europa mitergriff. „Heute," konnte ein italienisches Blatt mit Recht
ausrufen, „giebt es keine Hütte und keinen Palast zwischen Alpen und Meer, in
dem nicht die Worte: ,Victor Emanuel ist todt!^ ein tiefschmerzliches Echo hervor¬
riefen." „Italien betrauert ihn, wie nie ein König betrauert worden ist." Und
dasselbe Echo erklang in allen Tonarten in der italienischen Presse aller Partei-
schattirungen. Selbst die klerikalen Blätter äußerten sich theilnehmend — ohne
Zweifel auf höheren Befehl. Den Schmerzenslauten Italiens antwortete ein
mächtiger Wiederhall von jenseit der Grenze» des Königreichs, zumal ans unserm
Vaterlande. Nur die ultraklerikale und reactionäre Presse, wie die „Germania",
das Wiener „Vaterland", der llnivms und verwandte Geister machten „dem
Werkzeuge der kosmopolitische» Revolution" gegenüber eine Ausnahme.

Inzwischen waren die Familienglieder mit Ausnahme der Prinzessin Clotilde
und die Vertreter der fremden Höfe, unter ihnen der Erzherzog Rainer und
der deutsche Kronprinz eingetroffen. Daß der erstere, ein naher Verwandter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/105>, abgerufen am 23.07.2024.