Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.(für Posen, Ostern, Moses), "gel" (gelb), "mir" statt wir oder mich, die Endsilbe Ihrer religiösen Richtung nach zerfallen die westrussischen Jsraeliten in die Die Secte der Chassidim, die jetzt im ehemaligen Herzogthume Warschau, in *) Wörtlich: Herr des guten Namens, womit der Schein Hemmephorasch, der un¬
aussprechliche Name Gottes, gemeint ist. (für Posen, Ostern, Moses), „gel" (gelb), „mir" statt wir oder mich, die Endsilbe Ihrer religiösen Richtung nach zerfallen die westrussischen Jsraeliten in die Die Secte der Chassidim, die jetzt im ehemaligen Herzogthume Warschau, in *) Wörtlich: Herr des guten Namens, womit der Schein Hemmephorasch, der un¬
aussprechliche Name Gottes, gemeint ist. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146568"/> <p xml:id="ID_173" prev="#ID_172"> (für Posen, Ostern, Moses), „gel" (gelb), „mir" statt wir oder mich, die Endsilbe<lb/> „heit" statt reit, „sich kriegen" statt streiten, „königer" statt regieren, „Schule" statt<lb/> Synagoge, „jüdischen" statt beschneiden, „als" statt daß, „enker" statt nun, „Elle"<lb/> statt Vater; 4) aus dem Lateinischen, Italienischen oder Französische» stammende<lb/> Wörter wie „herschen" (benLäiverö), „oren" (orars), „plcmgencu" (plangore, weinen),<lb/> „Pilzel" (pueoUii, Magd), „preien" (prisr, einladen), „Sargencs" (das italienische<lb/> Sarg'-imo, Sterbehemd) u. a. in.</p><lb/> <p xml:id="ID_174"> Ihrer religiösen Richtung nach zerfallen die westrussischen Jsraeliten in die<lb/> mystische Secte der Chassidim und dieRabbanim oder Talmud-Anhänger. Der<lb/> Reformpartei gehören von ihnen nur wenige an, und diese beschränken sich fast<lb/> ausschließlich auf Warschau und einige andere Städte.</p><lb/> <p xml:id="ID_175" next="#ID_176"> Die Secte der Chassidim, die jetzt im ehemaligen Herzogthume Warschau, in<lb/> Galizien, Volhynien und Podolien, sowie im Kiewschen mehrere Hunderttausende<lb/> von Anhängern zählen, wurden zu Anfang des vorigen Jahrhunderts von Israel<lb/> mit dem Beinamen Baal Schein Top,*) abgekürzt Befehl, gestiftet, der, aus Medr-<lb/> zybocz in Podolien gebürtig, zuerst in einer Einöde der Karpathen, dann als Fuhr¬<lb/> mann, Pferdehändler und Schenkwirth in seiner Vaterstadt lebte und neben jenen<lb/> Geschäften das Wunderthun, namentlich die Verrichtung wunderthätiger Heilungen<lb/> betrieb. Er war ein wunderlicher Heiliger ersten Ranges, heute ein lustiger Bursch,<lb/> der mit seinen Leuten fleißig Branntwein trank, morgen ein verzückter Frommer, der<lb/> mit thuen Gebetstunden abhielt, bei denen es zu Convulsionen, Gesichtsverzerrungen<lb/> und grotesken Sprüngen kam, etwa wie bei den englischen Jumpers und den<lb/> Revivals amerikanischer Methodisten. Im Ganzen war er, wie Joe Smith, der<lb/> Stifter der Mormonen, halb Schwärmer und halb Schwindler und im Uebrigen<lb/> ohne Bildung. Mit seinem Anhang vereinigten sich die Reste der Secte Sabbatai<lb/> Zewis, die in Polen mit ihren kabbalistischen Lehren eine Zeit lang eine Rolle<lb/> gespielt, zuletzt aber unter ihrem „heiligen Herrn", dem Betrüger Jakob Frank,<lb/> schmählich Schiffbruch gelitten hatten, und die Chassidim nahmen nun einen etwas<lb/> anderen Charakter an. Als Befehl starb, ging die Leitung der Secte auf Dod Beer<lb/> aus Mizriz über, der ein Kenner sowohl des Talmud als der Kabbala und ein<lb/> geschickter Redner, sonst aber ein ähnlicher Geist wie sein Vorgänger war, nur<lb/> geheimnißvoller that, sich nicht direct mit dem Volke einließ und, indem er sich für<lb/> eine Jncarnarion Gottes ausgab, den Nimbus höchster Heiligkeit um sich zu ver¬<lb/> breiten wußte. Er sandte Apostel aus, welche seine Lehren und sein Ansehen bis<lb/> nach Lithauen hin verbreiteten. Die Spenden seiner reichen Anhänger und die Wall¬<lb/> fahrten, die zu seinem Wohnsitze stattfanden, umgaben ihn mit fürstlichen Glänze.<lb/> Mehr und mehr wichen er und die ganze Secte von den Satzungen des Talmud<lb/> ab, bis ihnen diese zuletzt gar nichts mehr galten. Dies und die kabbalistischen Lehr¬<lb/> meinungen der Chassidim riefen in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts</p><lb/> <note xml:id="FID_15" place="foot"> *) Wörtlich: Herr des guten Namens, womit der Schein Hemmephorasch, der un¬<lb/> aussprechliche Name Gottes, gemeint ist.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0063]
(für Posen, Ostern, Moses), „gel" (gelb), „mir" statt wir oder mich, die Endsilbe
„heit" statt reit, „sich kriegen" statt streiten, „königer" statt regieren, „Schule" statt
Synagoge, „jüdischen" statt beschneiden, „als" statt daß, „enker" statt nun, „Elle"
statt Vater; 4) aus dem Lateinischen, Italienischen oder Französische» stammende
Wörter wie „herschen" (benLäiverö), „oren" (orars), „plcmgencu" (plangore, weinen),
„Pilzel" (pueoUii, Magd), „preien" (prisr, einladen), „Sargencs" (das italienische
Sarg'-imo, Sterbehemd) u. a. in.
Ihrer religiösen Richtung nach zerfallen die westrussischen Jsraeliten in die
mystische Secte der Chassidim und dieRabbanim oder Talmud-Anhänger. Der
Reformpartei gehören von ihnen nur wenige an, und diese beschränken sich fast
ausschließlich auf Warschau und einige andere Städte.
Die Secte der Chassidim, die jetzt im ehemaligen Herzogthume Warschau, in
Galizien, Volhynien und Podolien, sowie im Kiewschen mehrere Hunderttausende
von Anhängern zählen, wurden zu Anfang des vorigen Jahrhunderts von Israel
mit dem Beinamen Baal Schein Top,*) abgekürzt Befehl, gestiftet, der, aus Medr-
zybocz in Podolien gebürtig, zuerst in einer Einöde der Karpathen, dann als Fuhr¬
mann, Pferdehändler und Schenkwirth in seiner Vaterstadt lebte und neben jenen
Geschäften das Wunderthun, namentlich die Verrichtung wunderthätiger Heilungen
betrieb. Er war ein wunderlicher Heiliger ersten Ranges, heute ein lustiger Bursch,
der mit seinen Leuten fleißig Branntwein trank, morgen ein verzückter Frommer, der
mit thuen Gebetstunden abhielt, bei denen es zu Convulsionen, Gesichtsverzerrungen
und grotesken Sprüngen kam, etwa wie bei den englischen Jumpers und den
Revivals amerikanischer Methodisten. Im Ganzen war er, wie Joe Smith, der
Stifter der Mormonen, halb Schwärmer und halb Schwindler und im Uebrigen
ohne Bildung. Mit seinem Anhang vereinigten sich die Reste der Secte Sabbatai
Zewis, die in Polen mit ihren kabbalistischen Lehren eine Zeit lang eine Rolle
gespielt, zuletzt aber unter ihrem „heiligen Herrn", dem Betrüger Jakob Frank,
schmählich Schiffbruch gelitten hatten, und die Chassidim nahmen nun einen etwas
anderen Charakter an. Als Befehl starb, ging die Leitung der Secte auf Dod Beer
aus Mizriz über, der ein Kenner sowohl des Talmud als der Kabbala und ein
geschickter Redner, sonst aber ein ähnlicher Geist wie sein Vorgänger war, nur
geheimnißvoller that, sich nicht direct mit dem Volke einließ und, indem er sich für
eine Jncarnarion Gottes ausgab, den Nimbus höchster Heiligkeit um sich zu ver¬
breiten wußte. Er sandte Apostel aus, welche seine Lehren und sein Ansehen bis
nach Lithauen hin verbreiteten. Die Spenden seiner reichen Anhänger und die Wall¬
fahrten, die zu seinem Wohnsitze stattfanden, umgaben ihn mit fürstlichen Glänze.
Mehr und mehr wichen er und die ganze Secte von den Satzungen des Talmud
ab, bis ihnen diese zuletzt gar nichts mehr galten. Dies und die kabbalistischen Lehr¬
meinungen der Chassidim riefen in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts
*) Wörtlich: Herr des guten Namens, womit der Schein Hemmephorasch, der un¬
aussprechliche Name Gottes, gemeint ist.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |