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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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die Rede. Nur das entschiedene Eingreifen Frankreichs und Italiens in den
häßlichen Handel erreichte schließlich, daß die Kammer sich zum Ankaufe der
Bergwerke durch den Staat entschloß.

Indeß darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die Kleinheit des Landes
gegenüber den Anforderungen, welche die Zustände und Erreignisse an dasselbe
stellten, an diesen Dingen mit Schuld hatte. Die Großmannssucht, die man
den Griechen vorgeworfen hat, war nicht lediglich phantastischer Natur, sie hatte
auch einen sehr realen Grund. Ohne eine günstiger gezogene Nordgrenze war
das Räuberwesen nicht auszurotten. Man war zu groß, um zu sterben, und
zu klein, um zu leben. Das Land war nicht fruchtbar genug, um die zu einer
Hebung seines Wohlstandes nöthigen Steuern, die zur Verzinsung der aus dem
Befreiungskriege herstammenden Nationalschuld aufzubringen. Die zur Aus¬
trocknung des Kopais-Sees, zur Durchstechung der Landenge von Korinth, zum
Bau einer Eisenbahn nach dem Norden und zu anderen nützlichen Anlagen er¬
forderlichen Mittel waren nicht zu beschaffen.

Andererseits hat man trotz der steten Finanznoth doch in verschiedener
Hinsicht bemerkenswerthe Fortschritte gemacht und hat bewiesen, daß die Griechen
ein tüchtiges, strebsames und intelligentes Volk sind, das nicht bloß die Sym¬
pathien der Gelehrtenwelt und der Kunstfreunde des Westens verdient. Das
Handwerk und die Fabrikthätigkeit stehen allerdings in Griechenland auf keiner
hohen Stufe. Doch ist es der Regierung im Laufe der letzten dreißig Jahre
gelungen, im Vergleiche mit früheren Verhältnissen ansehnliche Erfolge auch
auf diesem Gebiete zu erzielen, so daß im Jahre 1874 im Königreiche bereits
87 größere industrielle Etablissements bestanden. Sehr bedeutend ist der Schiffs¬
bau, der jährlich ungefähr zweihundert Fahrzeuge vom Stapel läßt. Der Handel
ist noch wichtiger, er ist das eigentliche Lebenselement des Volkes, und nur
durch ihn besteht der Staat fort. Die Handelsflotte des Landes hat seit den
Befreiungskriegen eiuen fast wunderbar zu nennenden Aufschwung genommen,
in allen Häfen des Mittelmeeres und seiner Nebengewässer weht jetzt die grie¬
chische Flagge, und zu Ende 1873 zählte die Handelsmarine 5001 Schiffe mit
239135 Tonnen Tragfähigkeit und 25197 Mann an Capitänen, Steuerleuten
und Matrosen.

Ganz besonders erfreulich und viel verheißend sind der allgemeine Drang
des hellenischen Volkes nach Bildung, dem ein aufgeweckter Sinn und eine
leichte Auffassung zur Seite stehen, und die eifrige Fürsorge der verschiedenen
Regierungen für die Befriedigung dieser Strebsamkeit. Das Schulwesen, das
unter der Türkenherrschaft ganz darniederlag, ist vortrefflich geregelt. 1832
gab es in ganz Griechenland nur 75 Elementarschulen, 18 Progymnasien und
3 Gymnasien, nud vier Jahrzehnte später besaß man 117? Elementarschulen


die Rede. Nur das entschiedene Eingreifen Frankreichs und Italiens in den
häßlichen Handel erreichte schließlich, daß die Kammer sich zum Ankaufe der
Bergwerke durch den Staat entschloß.

Indeß darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die Kleinheit des Landes
gegenüber den Anforderungen, welche die Zustände und Erreignisse an dasselbe
stellten, an diesen Dingen mit Schuld hatte. Die Großmannssucht, die man
den Griechen vorgeworfen hat, war nicht lediglich phantastischer Natur, sie hatte
auch einen sehr realen Grund. Ohne eine günstiger gezogene Nordgrenze war
das Räuberwesen nicht auszurotten. Man war zu groß, um zu sterben, und
zu klein, um zu leben. Das Land war nicht fruchtbar genug, um die zu einer
Hebung seines Wohlstandes nöthigen Steuern, die zur Verzinsung der aus dem
Befreiungskriege herstammenden Nationalschuld aufzubringen. Die zur Aus¬
trocknung des Kopais-Sees, zur Durchstechung der Landenge von Korinth, zum
Bau einer Eisenbahn nach dem Norden und zu anderen nützlichen Anlagen er¬
forderlichen Mittel waren nicht zu beschaffen.

Andererseits hat man trotz der steten Finanznoth doch in verschiedener
Hinsicht bemerkenswerthe Fortschritte gemacht und hat bewiesen, daß die Griechen
ein tüchtiges, strebsames und intelligentes Volk sind, das nicht bloß die Sym¬
pathien der Gelehrtenwelt und der Kunstfreunde des Westens verdient. Das
Handwerk und die Fabrikthätigkeit stehen allerdings in Griechenland auf keiner
hohen Stufe. Doch ist es der Regierung im Laufe der letzten dreißig Jahre
gelungen, im Vergleiche mit früheren Verhältnissen ansehnliche Erfolge auch
auf diesem Gebiete zu erzielen, so daß im Jahre 1874 im Königreiche bereits
87 größere industrielle Etablissements bestanden. Sehr bedeutend ist der Schiffs¬
bau, der jährlich ungefähr zweihundert Fahrzeuge vom Stapel läßt. Der Handel
ist noch wichtiger, er ist das eigentliche Lebenselement des Volkes, und nur
durch ihn besteht der Staat fort. Die Handelsflotte des Landes hat seit den
Befreiungskriegen eiuen fast wunderbar zu nennenden Aufschwung genommen,
in allen Häfen des Mittelmeeres und seiner Nebengewässer weht jetzt die grie¬
chische Flagge, und zu Ende 1873 zählte die Handelsmarine 5001 Schiffe mit
239135 Tonnen Tragfähigkeit und 25197 Mann an Capitänen, Steuerleuten
und Matrosen.

Ganz besonders erfreulich und viel verheißend sind der allgemeine Drang
des hellenischen Volkes nach Bildung, dem ein aufgeweckter Sinn und eine
leichte Auffassung zur Seite stehen, und die eifrige Fürsorge der verschiedenen
Regierungen für die Befriedigung dieser Strebsamkeit. Das Schulwesen, das
unter der Türkenherrschaft ganz darniederlag, ist vortrefflich geregelt. 1832
gab es in ganz Griechenland nur 75 Elementarschulen, 18 Progymnasien und
3 Gymnasien, nud vier Jahrzehnte später besaß man 117? Elementarschulen


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[0572] die Rede. Nur das entschiedene Eingreifen Frankreichs und Italiens in den häßlichen Handel erreichte schließlich, daß die Kammer sich zum Ankaufe der Bergwerke durch den Staat entschloß. Indeß darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die Kleinheit des Landes gegenüber den Anforderungen, welche die Zustände und Erreignisse an dasselbe stellten, an diesen Dingen mit Schuld hatte. Die Großmannssucht, die man den Griechen vorgeworfen hat, war nicht lediglich phantastischer Natur, sie hatte auch einen sehr realen Grund. Ohne eine günstiger gezogene Nordgrenze war das Räuberwesen nicht auszurotten. Man war zu groß, um zu sterben, und zu klein, um zu leben. Das Land war nicht fruchtbar genug, um die zu einer Hebung seines Wohlstandes nöthigen Steuern, die zur Verzinsung der aus dem Befreiungskriege herstammenden Nationalschuld aufzubringen. Die zur Aus¬ trocknung des Kopais-Sees, zur Durchstechung der Landenge von Korinth, zum Bau einer Eisenbahn nach dem Norden und zu anderen nützlichen Anlagen er¬ forderlichen Mittel waren nicht zu beschaffen. Andererseits hat man trotz der steten Finanznoth doch in verschiedener Hinsicht bemerkenswerthe Fortschritte gemacht und hat bewiesen, daß die Griechen ein tüchtiges, strebsames und intelligentes Volk sind, das nicht bloß die Sym¬ pathien der Gelehrtenwelt und der Kunstfreunde des Westens verdient. Das Handwerk und die Fabrikthätigkeit stehen allerdings in Griechenland auf keiner hohen Stufe. Doch ist es der Regierung im Laufe der letzten dreißig Jahre gelungen, im Vergleiche mit früheren Verhältnissen ansehnliche Erfolge auch auf diesem Gebiete zu erzielen, so daß im Jahre 1874 im Königreiche bereits 87 größere industrielle Etablissements bestanden. Sehr bedeutend ist der Schiffs¬ bau, der jährlich ungefähr zweihundert Fahrzeuge vom Stapel läßt. Der Handel ist noch wichtiger, er ist das eigentliche Lebenselement des Volkes, und nur durch ihn besteht der Staat fort. Die Handelsflotte des Landes hat seit den Befreiungskriegen eiuen fast wunderbar zu nennenden Aufschwung genommen, in allen Häfen des Mittelmeeres und seiner Nebengewässer weht jetzt die grie¬ chische Flagge, und zu Ende 1873 zählte die Handelsmarine 5001 Schiffe mit 239135 Tonnen Tragfähigkeit und 25197 Mann an Capitänen, Steuerleuten und Matrosen. Ganz besonders erfreulich und viel verheißend sind der allgemeine Drang des hellenischen Volkes nach Bildung, dem ein aufgeweckter Sinn und eine leichte Auffassung zur Seite stehen, und die eifrige Fürsorge der verschiedenen Regierungen für die Befriedigung dieser Strebsamkeit. Das Schulwesen, das unter der Türkenherrschaft ganz darniederlag, ist vortrefflich geregelt. 1832 gab es in ganz Griechenland nur 75 Elementarschulen, 18 Progymnasien und 3 Gymnasien, nud vier Jahrzehnte später besaß man 117? Elementarschulen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/572>, abgerufen am 22.07.2024.