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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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langt ist. Sie würden durch Stimmenmehrheit die genaue Grenzlinie festsetzen,
die am besten jene Politik verwirklichen wird, und Ihrer Majestät Regierung
wird ihrerseits gern bereit sein, den streitenden Mächten den Beschluß anzu¬
empfehlen, den die Commission in dieser Angelegenheit gefaßt haben wird."

England und das den Griechen immer günstig gewesene Frankreich werden
bei den Verhandlungen die führenden Mächte sein, wie sie es in Sachen Grie¬
chenlands naturgemäß immer waren. Thörichte Großsprecherei aber ist es,
wenn deshalb die Vrarioo sich zu triumphirenden Redensarten versteigt, wenn
sie behauptet, die Berliner Conferenz werde die Ohnmacht des deutsch-österreichi¬
schen Bündnisses bezeugen, die Stunde der Befreiung für die Völkerstämme der
Balkan-Halbinsel habe geschlagen, vergeblich habe Deutschland im Bunde mit
Oesterreich und dem Cabinet Beaconsfield versucht, sie zu verzögern. Warten
wir nur ab, was etwa weiter versucht wird; das Bündniß zwischen uns und
unserem südöstlichen Nachbar ist fest begründet und würde sich bewähren, wenn
die Interessen des letzteren irgendwie bedroht wären. Hier ist dies nicht der Fall,
und Oesterreich-Ungarn wie Deutschland handeln aus freiestem Entschlüsse, wenn
sie der vom Cabinet Gladstone im Einvernehmen mit Frankreich ins Auge ge¬
faßten Vergrößerung Griechenlands auf Kosten der Pforte zustimmen, sie stehen
im wesentlichen auf demselben Standpunkte wie die Westmächte.

Wie jene, hatten auch die verbündeten mitteleuropäischen Mächte das Recht
und die Pflicht, zu vermitteln, wenn die Verhandlungen zwischen Griechenland
und der Türkei auf die Dauer ins Stocken geriethen, und wie jene, begriffen
auch sie, daß die Vermittlung rascher vorbereitet werden würde, wenn man dazu
das Mittel eiuer Conferenz wählte, die mit Stimmenmehrheit entscheidet, als
wenn man von Cabinet zu Cabinet sich zu verständigen bemühte. Der letzte
Zweck ist für Oesterreich-Ungarn und Deutschland die Erhaltung des Weltfrie¬
dens, das nächste Ziel Beseitigung einer Frage, die ihn stören kann. Wenn
diese Mächte bereitwillig auf den Vorschlag zu einer Regelung der Sache durch
eine Conferenz eingegangen find und sich den Wünschen der Westmächte in der
Hauptsache anschließen werden, so steht ihr Wohlwollen gegen Griechenland
dabei erst in zweiter Linie. Die Pforte hat in dieser Angelegenheit sich in der
That gegen das Friedensbedürsniß Enropas vergangen. Bei allen anderen Auf¬
gaben, die ihr der Congreß stellte, und die noch nicht ausgeführt sind, in der
montenegrinisch-albanischen, in der armenischen Frage, in der Frage wegen der
inneren Reformen, konnte sie auf große Schwierigkeiten hinweisen, die ihr beim
besten Willen den Weg versperrten. In der Frage der Berichtigung der grie¬
chischen Nordgrenze war dies nicht oder doch nur in geringerem Grade der Fall,
und wenn auch die Griechen ihre Ansprüche höher als billig zu bemessen schienen,
so war die Zähigkeit der Türken im Gewähren noch viel unbilliger. Und was


langt ist. Sie würden durch Stimmenmehrheit die genaue Grenzlinie festsetzen,
die am besten jene Politik verwirklichen wird, und Ihrer Majestät Regierung
wird ihrerseits gern bereit sein, den streitenden Mächten den Beschluß anzu¬
empfehlen, den die Commission in dieser Angelegenheit gefaßt haben wird."

England und das den Griechen immer günstig gewesene Frankreich werden
bei den Verhandlungen die führenden Mächte sein, wie sie es in Sachen Grie¬
chenlands naturgemäß immer waren. Thörichte Großsprecherei aber ist es,
wenn deshalb die Vrarioo sich zu triumphirenden Redensarten versteigt, wenn
sie behauptet, die Berliner Conferenz werde die Ohnmacht des deutsch-österreichi¬
schen Bündnisses bezeugen, die Stunde der Befreiung für die Völkerstämme der
Balkan-Halbinsel habe geschlagen, vergeblich habe Deutschland im Bunde mit
Oesterreich und dem Cabinet Beaconsfield versucht, sie zu verzögern. Warten
wir nur ab, was etwa weiter versucht wird; das Bündniß zwischen uns und
unserem südöstlichen Nachbar ist fest begründet und würde sich bewähren, wenn
die Interessen des letzteren irgendwie bedroht wären. Hier ist dies nicht der Fall,
und Oesterreich-Ungarn wie Deutschland handeln aus freiestem Entschlüsse, wenn
sie der vom Cabinet Gladstone im Einvernehmen mit Frankreich ins Auge ge¬
faßten Vergrößerung Griechenlands auf Kosten der Pforte zustimmen, sie stehen
im wesentlichen auf demselben Standpunkte wie die Westmächte.

Wie jene, hatten auch die verbündeten mitteleuropäischen Mächte das Recht
und die Pflicht, zu vermitteln, wenn die Verhandlungen zwischen Griechenland
und der Türkei auf die Dauer ins Stocken geriethen, und wie jene, begriffen
auch sie, daß die Vermittlung rascher vorbereitet werden würde, wenn man dazu
das Mittel eiuer Conferenz wählte, die mit Stimmenmehrheit entscheidet, als
wenn man von Cabinet zu Cabinet sich zu verständigen bemühte. Der letzte
Zweck ist für Oesterreich-Ungarn und Deutschland die Erhaltung des Weltfrie¬
dens, das nächste Ziel Beseitigung einer Frage, die ihn stören kann. Wenn
diese Mächte bereitwillig auf den Vorschlag zu einer Regelung der Sache durch
eine Conferenz eingegangen find und sich den Wünschen der Westmächte in der
Hauptsache anschließen werden, so steht ihr Wohlwollen gegen Griechenland
dabei erst in zweiter Linie. Die Pforte hat in dieser Angelegenheit sich in der
That gegen das Friedensbedürsniß Enropas vergangen. Bei allen anderen Auf¬
gaben, die ihr der Congreß stellte, und die noch nicht ausgeführt sind, in der
montenegrinisch-albanischen, in der armenischen Frage, in der Frage wegen der
inneren Reformen, konnte sie auf große Schwierigkeiten hinweisen, die ihr beim
besten Willen den Weg versperrten. In der Frage der Berichtigung der grie¬
chischen Nordgrenze war dies nicht oder doch nur in geringerem Grade der Fall,
und wenn auch die Griechen ihre Ansprüche höher als billig zu bemessen schienen,
so war die Zähigkeit der Türken im Gewähren noch viel unbilliger. Und was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/569>, abgerufen am 22.07.2024.