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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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denken: das Heiligthum des Gottes bildete zugleich den politischen Mittelpunkt
des Stammes. Erst in einer dritten Periode, da Wodan als Bringer einer
höheren Cultur, die wir thatsächlich von unseren westlichen Nachbarn, den Kelten,
empfingen, über alle die anderen Götter emporstieg und seine Verehrung mit
der neuen Cultur vom Rhein her sich allen Germanen mittheilte, scheint sich
ein reicher gegliedertes Göttersystem ausgebildet zu haben.

Begreiflicherweise mußte bei Darstellung der ältesten Zustände unseres
Volkes bis zu dessen Eintritt in die Geschichte mancher Hypothese Eingang ver¬
stattet werden, wenn der Autor nicht ganz auf eine Schilderung der Urzeit ver¬
zichten wollte. Hier wird auch die geistvolle, heftig angefeindete Vermuthung
von dem regelmäßigen Wechsel rauher, männlicher und milder, frauenhafter
Perioden, die sonst maßvoll im Hintergrunde gehalten ist, zur Erhellung histo¬
risch verdunkelter Zeit verwerthet. Zumal in der originellen Erörterung über
die Frauennamen dient sie als Einschlag des kunstvollen Gewebes.

Wir lassen dem Verfasser selbst das Wort, um zugleich eine Probe seines
Stils zu geben: "Die Frauennamen" -- sagt er -- (es ist vorher von den
Namen der Männer und von den Eigenschaften, die in ihnen zum Ausdruck
kamen, die Rede gewesen) "zerfallen in zwei Gruppen. Die eine verbindet Natur
und Schönheit, sie sucht das Liebliche, Anmuthige zu bezeichnen, das Wohlthä¬
tige und Erfreuende. Die Namen dieser Gruppe reden von Liebe, Treue, Wonne,
Heiterkeit und Frieden, von Heiligkeit und Göttlichkeit; sie erinnern an Nymphen
und Dryaden, an badende Schwäne im Wald und an die lichten schwebenden
Nebel auf Wassern und Wiesen. Die andere Gruppe zeigt uns die Frauen
des Kampfes froh, waffenführend, fackelschwingend, zum Siege stürmend.
Solche kriegerische Frauen, Walküren, kennt anch die germanische Mythologie.
Und während Tacitus die Frauenverehrung der Germanen, ihren Glauben an
Heiligkeit und Prophetenkraft in der weiblichen Natur bezeugt, während bei ihm
die Frauen nur rathend, begeisternd und pflegend neben den Männern stehen,
wissen spätere Historiker zu erzählen, daß einzelne Weiber vollständig gerüstet
am Kampfe theilncihmen. Dieses Amazonenideal kann nicht wohl in derselben
Zeit und auf demselben Boden gewachsen sein, wie jene sanfte Gruppe fried¬
licher Frauengestalten. Vielmehr mögen die Namen mit ihrem verschiedenen
sittlichen Gehalt aus zwei verschiedene Epochen hindeuten, wie wir sie in der
beglaubigten Geschichte unseres geistigen Lebens finden werden: die eine weist
den Frauen ihre besondere Sphäre an und beugt sich ehrfürchtig vor dem
schwachen Geschlechte; die andere schätzt im Weibe nur den gelungenen Wetteifer
mit männlicher Kraft."

Ist es aber wirklich so ganz undenkbar, daß ein und dieselbe Zeit die beiden
verschiedenen Fraucnideale erzeugt habe? Wie frühe man schon die beiden Seiten


denken: das Heiligthum des Gottes bildete zugleich den politischen Mittelpunkt
des Stammes. Erst in einer dritten Periode, da Wodan als Bringer einer
höheren Cultur, die wir thatsächlich von unseren westlichen Nachbarn, den Kelten,
empfingen, über alle die anderen Götter emporstieg und seine Verehrung mit
der neuen Cultur vom Rhein her sich allen Germanen mittheilte, scheint sich
ein reicher gegliedertes Göttersystem ausgebildet zu haben.

Begreiflicherweise mußte bei Darstellung der ältesten Zustände unseres
Volkes bis zu dessen Eintritt in die Geschichte mancher Hypothese Eingang ver¬
stattet werden, wenn der Autor nicht ganz auf eine Schilderung der Urzeit ver¬
zichten wollte. Hier wird auch die geistvolle, heftig angefeindete Vermuthung
von dem regelmäßigen Wechsel rauher, männlicher und milder, frauenhafter
Perioden, die sonst maßvoll im Hintergrunde gehalten ist, zur Erhellung histo¬
risch verdunkelter Zeit verwerthet. Zumal in der originellen Erörterung über
die Frauennamen dient sie als Einschlag des kunstvollen Gewebes.

Wir lassen dem Verfasser selbst das Wort, um zugleich eine Probe seines
Stils zu geben: „Die Frauennamen" — sagt er — (es ist vorher von den
Namen der Männer und von den Eigenschaften, die in ihnen zum Ausdruck
kamen, die Rede gewesen) „zerfallen in zwei Gruppen. Die eine verbindet Natur
und Schönheit, sie sucht das Liebliche, Anmuthige zu bezeichnen, das Wohlthä¬
tige und Erfreuende. Die Namen dieser Gruppe reden von Liebe, Treue, Wonne,
Heiterkeit und Frieden, von Heiligkeit und Göttlichkeit; sie erinnern an Nymphen
und Dryaden, an badende Schwäne im Wald und an die lichten schwebenden
Nebel auf Wassern und Wiesen. Die andere Gruppe zeigt uns die Frauen
des Kampfes froh, waffenführend, fackelschwingend, zum Siege stürmend.
Solche kriegerische Frauen, Walküren, kennt anch die germanische Mythologie.
Und während Tacitus die Frauenverehrung der Germanen, ihren Glauben an
Heiligkeit und Prophetenkraft in der weiblichen Natur bezeugt, während bei ihm
die Frauen nur rathend, begeisternd und pflegend neben den Männern stehen,
wissen spätere Historiker zu erzählen, daß einzelne Weiber vollständig gerüstet
am Kampfe theilncihmen. Dieses Amazonenideal kann nicht wohl in derselben
Zeit und auf demselben Boden gewachsen sein, wie jene sanfte Gruppe fried¬
licher Frauengestalten. Vielmehr mögen die Namen mit ihrem verschiedenen
sittlichen Gehalt aus zwei verschiedene Epochen hindeuten, wie wir sie in der
beglaubigten Geschichte unseres geistigen Lebens finden werden: die eine weist
den Frauen ihre besondere Sphäre an und beugt sich ehrfürchtig vor dem
schwachen Geschlechte; die andere schätzt im Weibe nur den gelungenen Wetteifer
mit männlicher Kraft."

Ist es aber wirklich so ganz undenkbar, daß ein und dieselbe Zeit die beiden
verschiedenen Fraucnideale erzeugt habe? Wie frühe man schon die beiden Seiten


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[0561] denken: das Heiligthum des Gottes bildete zugleich den politischen Mittelpunkt des Stammes. Erst in einer dritten Periode, da Wodan als Bringer einer höheren Cultur, die wir thatsächlich von unseren westlichen Nachbarn, den Kelten, empfingen, über alle die anderen Götter emporstieg und seine Verehrung mit der neuen Cultur vom Rhein her sich allen Germanen mittheilte, scheint sich ein reicher gegliedertes Göttersystem ausgebildet zu haben. Begreiflicherweise mußte bei Darstellung der ältesten Zustände unseres Volkes bis zu dessen Eintritt in die Geschichte mancher Hypothese Eingang ver¬ stattet werden, wenn der Autor nicht ganz auf eine Schilderung der Urzeit ver¬ zichten wollte. Hier wird auch die geistvolle, heftig angefeindete Vermuthung von dem regelmäßigen Wechsel rauher, männlicher und milder, frauenhafter Perioden, die sonst maßvoll im Hintergrunde gehalten ist, zur Erhellung histo¬ risch verdunkelter Zeit verwerthet. Zumal in der originellen Erörterung über die Frauennamen dient sie als Einschlag des kunstvollen Gewebes. Wir lassen dem Verfasser selbst das Wort, um zugleich eine Probe seines Stils zu geben: „Die Frauennamen" — sagt er — (es ist vorher von den Namen der Männer und von den Eigenschaften, die in ihnen zum Ausdruck kamen, die Rede gewesen) „zerfallen in zwei Gruppen. Die eine verbindet Natur und Schönheit, sie sucht das Liebliche, Anmuthige zu bezeichnen, das Wohlthä¬ tige und Erfreuende. Die Namen dieser Gruppe reden von Liebe, Treue, Wonne, Heiterkeit und Frieden, von Heiligkeit und Göttlichkeit; sie erinnern an Nymphen und Dryaden, an badende Schwäne im Wald und an die lichten schwebenden Nebel auf Wassern und Wiesen. Die andere Gruppe zeigt uns die Frauen des Kampfes froh, waffenführend, fackelschwingend, zum Siege stürmend. Solche kriegerische Frauen, Walküren, kennt anch die germanische Mythologie. Und während Tacitus die Frauenverehrung der Germanen, ihren Glauben an Heiligkeit und Prophetenkraft in der weiblichen Natur bezeugt, während bei ihm die Frauen nur rathend, begeisternd und pflegend neben den Männern stehen, wissen spätere Historiker zu erzählen, daß einzelne Weiber vollständig gerüstet am Kampfe theilncihmen. Dieses Amazonenideal kann nicht wohl in derselben Zeit und auf demselben Boden gewachsen sein, wie jene sanfte Gruppe fried¬ licher Frauengestalten. Vielmehr mögen die Namen mit ihrem verschiedenen sittlichen Gehalt aus zwei verschiedene Epochen hindeuten, wie wir sie in der beglaubigten Geschichte unseres geistigen Lebens finden werden: die eine weist den Frauen ihre besondere Sphäre an und beugt sich ehrfürchtig vor dem schwachen Geschlechte; die andere schätzt im Weibe nur den gelungenen Wetteifer mit männlicher Kraft." Ist es aber wirklich so ganz undenkbar, daß ein und dieselbe Zeit die beiden verschiedenen Fraucnideale erzeugt habe? Wie frühe man schon die beiden Seiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/561>, abgerufen am 22.07.2024.