Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Ende des 15. Jahrhunderts; aber auch aus weltlichem Stande zog mancher
ins Heilige Land, so der berühmte Herzog Heinrich der Löwe 1172, dessen Pil¬
gerfahrt der Abt Arnold von Lübeck beschrieb, die Markgrafen Johann und
Albrecht von Brandenburg 1435, Herzog Wilhelm III. von Sachsen 1461, und
daneben der Nürnberger Bürgersmann Hans Tucher, dessen "Reißbeschreibung"
1482 erschien.

Erwähnenswert!) ist es, daß solche Wallfahrten nach den heiligen Qrten
keineswegs bloß unternommen wurden, so lange der Katholicismus noch un¬
umschränkt in Deutschland herrschte. Auch nach der Reformation find, besonders
aus den Kreisen des wohlhabenden Bürgerstandes der freien Städte, der ja
vor allem den neuen evangelischen Geist repräsentirte, fromme Pilger nach
Palästina gewandert. Wir nennen nur den biedern Rauwolf, "der Artzney
Doctor und bestellten Medicus zu Augspurg", der 1573 bis 1576 auf der
Reise war und dessen mit vielen Abbildungen von Pflanzen ausgestattete Reise¬
beschreibung bereits ein wissenschaftliches Interesse an der Erforschung Palästinas
verräth und ihrer naturhistorischen Bemerkungen wegen überhaupt eine der
bedeutendsten Reisebeschreibungen des 16. Jahrhunderts ist. Und selbst heute
noch, wo flüchtige Touristen ebenso gut wie Geometer mit der Meßschnur und
Naturforscher mit Sammelbüchse und Mikroskop das Land durchziehen, wo
der historische Sinn, der unsere Zeit beherrscht, die genauere Kenntniß des
Landes zum Nachweise der Wechselbeziehungen zwischen dem Boden und den
Geschicken des Volkes, das ihn bewohnt und bebaut, verwerthet, selbst heute
noch ist der alte fromme Sinn neben der bloßen Neugierde und dem wissen¬
schaftlichen Forschungsdrang nicht ganz ausgestorben. In erster Linie ist
hier der wackere Schweizer Arzt Titus Tobler (gestorben am 20. Januar 1877
in München, 71 jährig) zu nennen, der viermal das Heilige Land durchwanderte
- zuletzt 1865 als 59 jähriger Mann -- und die Kenntniß Palästinas durch
seine Schriften in hervorragender Weise gefördert hat. Er verstand es wie kein
Anderer, die unserer Zeit charakteristische kritische Richtung des Geistes mit dem
gläubigen Interesse des Herzens an den durch die heilige Erinnerung geweihten
Stätten zu verewigen. Wie er dem frommen Schein entgegentrat, welcher den
Mangel an gewissenhafter Forschung mit salbungsvollen Phrasen zu decken sucht,
so war er auch weit entfernt von jener Blasirtheit, die kein Verständniß hat für
die Macht religiöser Empfindung und deren Freude nur darin besteht, mit
frivolem Spott zu leugnen und zu verneinen.

Freilich sind nicht alle, die ihre Sehnsucht nach dem Heiligen Lande hin¬
zieht, so glücklich, daß sie wie Titus Tobler Palästina mehrfach besuchen und
durchforschen können, obgleich zwischen einer Pilgerfahrt des Mittelalters und
einer Reise mit Eisenbahn und Dampfschiff ein gewaltiger Unterschied ist. Das


Ende des 15. Jahrhunderts; aber auch aus weltlichem Stande zog mancher
ins Heilige Land, so der berühmte Herzog Heinrich der Löwe 1172, dessen Pil¬
gerfahrt der Abt Arnold von Lübeck beschrieb, die Markgrafen Johann und
Albrecht von Brandenburg 1435, Herzog Wilhelm III. von Sachsen 1461, und
daneben der Nürnberger Bürgersmann Hans Tucher, dessen „Reißbeschreibung"
1482 erschien.

Erwähnenswert!) ist es, daß solche Wallfahrten nach den heiligen Qrten
keineswegs bloß unternommen wurden, so lange der Katholicismus noch un¬
umschränkt in Deutschland herrschte. Auch nach der Reformation find, besonders
aus den Kreisen des wohlhabenden Bürgerstandes der freien Städte, der ja
vor allem den neuen evangelischen Geist repräsentirte, fromme Pilger nach
Palästina gewandert. Wir nennen nur den biedern Rauwolf, „der Artzney
Doctor und bestellten Medicus zu Augspurg", der 1573 bis 1576 auf der
Reise war und dessen mit vielen Abbildungen von Pflanzen ausgestattete Reise¬
beschreibung bereits ein wissenschaftliches Interesse an der Erforschung Palästinas
verräth und ihrer naturhistorischen Bemerkungen wegen überhaupt eine der
bedeutendsten Reisebeschreibungen des 16. Jahrhunderts ist. Und selbst heute
noch, wo flüchtige Touristen ebenso gut wie Geometer mit der Meßschnur und
Naturforscher mit Sammelbüchse und Mikroskop das Land durchziehen, wo
der historische Sinn, der unsere Zeit beherrscht, die genauere Kenntniß des
Landes zum Nachweise der Wechselbeziehungen zwischen dem Boden und den
Geschicken des Volkes, das ihn bewohnt und bebaut, verwerthet, selbst heute
noch ist der alte fromme Sinn neben der bloßen Neugierde und dem wissen¬
schaftlichen Forschungsdrang nicht ganz ausgestorben. In erster Linie ist
hier der wackere Schweizer Arzt Titus Tobler (gestorben am 20. Januar 1877
in München, 71 jährig) zu nennen, der viermal das Heilige Land durchwanderte
- zuletzt 1865 als 59 jähriger Mann — und die Kenntniß Palästinas durch
seine Schriften in hervorragender Weise gefördert hat. Er verstand es wie kein
Anderer, die unserer Zeit charakteristische kritische Richtung des Geistes mit dem
gläubigen Interesse des Herzens an den durch die heilige Erinnerung geweihten
Stätten zu verewigen. Wie er dem frommen Schein entgegentrat, welcher den
Mangel an gewissenhafter Forschung mit salbungsvollen Phrasen zu decken sucht,
so war er auch weit entfernt von jener Blasirtheit, die kein Verständniß hat für
die Macht religiöser Empfindung und deren Freude nur darin besteht, mit
frivolem Spott zu leugnen und zu verneinen.

Freilich sind nicht alle, die ihre Sehnsucht nach dem Heiligen Lande hin¬
zieht, so glücklich, daß sie wie Titus Tobler Palästina mehrfach besuchen und
durchforschen können, obgleich zwischen einer Pilgerfahrt des Mittelalters und
einer Reise mit Eisenbahn und Dampfschiff ein gewaltiger Unterschied ist. Das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0552" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147057"/>
          <p xml:id="ID_1581" prev="#ID_1580"> Ende des 15. Jahrhunderts; aber auch aus weltlichem Stande zog mancher<lb/>
ins Heilige Land, so der berühmte Herzog Heinrich der Löwe 1172, dessen Pil¬<lb/>
gerfahrt der Abt Arnold von Lübeck beschrieb, die Markgrafen Johann und<lb/>
Albrecht von Brandenburg 1435, Herzog Wilhelm III. von Sachsen 1461, und<lb/>
daneben der Nürnberger Bürgersmann Hans Tucher, dessen &#x201E;Reißbeschreibung"<lb/>
1482 erschien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1582"> Erwähnenswert!) ist es, daß solche Wallfahrten nach den heiligen Qrten<lb/>
keineswegs bloß unternommen wurden, so lange der Katholicismus noch un¬<lb/>
umschränkt in Deutschland herrschte. Auch nach der Reformation find, besonders<lb/>
aus den Kreisen des wohlhabenden Bürgerstandes der freien Städte, der ja<lb/>
vor allem den neuen evangelischen Geist repräsentirte, fromme Pilger nach<lb/>
Palästina gewandert. Wir nennen nur den biedern Rauwolf, &#x201E;der Artzney<lb/>
Doctor und bestellten Medicus zu Augspurg", der 1573 bis 1576 auf der<lb/>
Reise war und dessen mit vielen Abbildungen von Pflanzen ausgestattete Reise¬<lb/>
beschreibung bereits ein wissenschaftliches Interesse an der Erforschung Palästinas<lb/>
verräth und ihrer naturhistorischen Bemerkungen wegen überhaupt eine der<lb/>
bedeutendsten Reisebeschreibungen des 16. Jahrhunderts ist. Und selbst heute<lb/>
noch, wo flüchtige Touristen ebenso gut wie Geometer mit der Meßschnur und<lb/>
Naturforscher mit Sammelbüchse und Mikroskop das Land durchziehen, wo<lb/>
der historische Sinn, der unsere Zeit beherrscht, die genauere Kenntniß des<lb/>
Landes zum Nachweise der Wechselbeziehungen zwischen dem Boden und den<lb/>
Geschicken des Volkes, das ihn bewohnt und bebaut, verwerthet, selbst heute<lb/>
noch ist der alte fromme Sinn neben der bloßen Neugierde und dem wissen¬<lb/>
schaftlichen Forschungsdrang nicht ganz ausgestorben.  In erster Linie ist<lb/>
hier der wackere Schweizer Arzt Titus Tobler (gestorben am 20. Januar 1877<lb/>
in München, 71 jährig) zu nennen, der viermal das Heilige Land durchwanderte<lb/>
- zuletzt 1865 als 59 jähriger Mann &#x2014; und die Kenntniß Palästinas durch<lb/>
seine Schriften in hervorragender Weise gefördert hat. Er verstand es wie kein<lb/>
Anderer, die unserer Zeit charakteristische kritische Richtung des Geistes mit dem<lb/>
gläubigen Interesse des Herzens an den durch die heilige Erinnerung geweihten<lb/>
Stätten zu verewigen. Wie er dem frommen Schein entgegentrat, welcher den<lb/>
Mangel an gewissenhafter Forschung mit salbungsvollen Phrasen zu decken sucht,<lb/>
so war er auch weit entfernt von jener Blasirtheit, die kein Verständniß hat für<lb/>
die Macht religiöser Empfindung und deren Freude nur darin besteht, mit<lb/>
frivolem Spott zu leugnen und zu verneinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1583" next="#ID_1584"> Freilich sind nicht alle, die ihre Sehnsucht nach dem Heiligen Lande hin¬<lb/>
zieht, so glücklich, daß sie wie Titus Tobler Palästina mehrfach besuchen und<lb/>
durchforschen können, obgleich zwischen einer Pilgerfahrt des Mittelalters und<lb/>
einer Reise mit Eisenbahn und Dampfschiff ein gewaltiger Unterschied ist. Das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0552] Ende des 15. Jahrhunderts; aber auch aus weltlichem Stande zog mancher ins Heilige Land, so der berühmte Herzog Heinrich der Löwe 1172, dessen Pil¬ gerfahrt der Abt Arnold von Lübeck beschrieb, die Markgrafen Johann und Albrecht von Brandenburg 1435, Herzog Wilhelm III. von Sachsen 1461, und daneben der Nürnberger Bürgersmann Hans Tucher, dessen „Reißbeschreibung" 1482 erschien. Erwähnenswert!) ist es, daß solche Wallfahrten nach den heiligen Qrten keineswegs bloß unternommen wurden, so lange der Katholicismus noch un¬ umschränkt in Deutschland herrschte. Auch nach der Reformation find, besonders aus den Kreisen des wohlhabenden Bürgerstandes der freien Städte, der ja vor allem den neuen evangelischen Geist repräsentirte, fromme Pilger nach Palästina gewandert. Wir nennen nur den biedern Rauwolf, „der Artzney Doctor und bestellten Medicus zu Augspurg", der 1573 bis 1576 auf der Reise war und dessen mit vielen Abbildungen von Pflanzen ausgestattete Reise¬ beschreibung bereits ein wissenschaftliches Interesse an der Erforschung Palästinas verräth und ihrer naturhistorischen Bemerkungen wegen überhaupt eine der bedeutendsten Reisebeschreibungen des 16. Jahrhunderts ist. Und selbst heute noch, wo flüchtige Touristen ebenso gut wie Geometer mit der Meßschnur und Naturforscher mit Sammelbüchse und Mikroskop das Land durchziehen, wo der historische Sinn, der unsere Zeit beherrscht, die genauere Kenntniß des Landes zum Nachweise der Wechselbeziehungen zwischen dem Boden und den Geschicken des Volkes, das ihn bewohnt und bebaut, verwerthet, selbst heute noch ist der alte fromme Sinn neben der bloßen Neugierde und dem wissen¬ schaftlichen Forschungsdrang nicht ganz ausgestorben. In erster Linie ist hier der wackere Schweizer Arzt Titus Tobler (gestorben am 20. Januar 1877 in München, 71 jährig) zu nennen, der viermal das Heilige Land durchwanderte - zuletzt 1865 als 59 jähriger Mann — und die Kenntniß Palästinas durch seine Schriften in hervorragender Weise gefördert hat. Er verstand es wie kein Anderer, die unserer Zeit charakteristische kritische Richtung des Geistes mit dem gläubigen Interesse des Herzens an den durch die heilige Erinnerung geweihten Stätten zu verewigen. Wie er dem frommen Schein entgegentrat, welcher den Mangel an gewissenhafter Forschung mit salbungsvollen Phrasen zu decken sucht, so war er auch weit entfernt von jener Blasirtheit, die kein Verständniß hat für die Macht religiöser Empfindung und deren Freude nur darin besteht, mit frivolem Spott zu leugnen und zu verneinen. Freilich sind nicht alle, die ihre Sehnsucht nach dem Heiligen Lande hin¬ zieht, so glücklich, daß sie wie Titus Tobler Palästina mehrfach besuchen und durchforschen können, obgleich zwischen einer Pilgerfahrt des Mittelalters und einer Reise mit Eisenbahn und Dampfschiff ein gewaltiger Unterschied ist. Das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/552
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/552>, abgerufen am 22.07.2024.