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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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principielles Hinderniß für die sonstige Besorgung seines eigenen Wohls, sofern
er dieses dem allgemeinen Wohle nur unterzuordnen und einzuordnen weiß.
Wir halten auch unsererseits diese Grundlage der Ethik für die einzig richtige
und wahrhaft christliche; Fechner hat ihr in seiner kleinen herrlichen Schrift
"Vom höchsten Gute" (1846) einen classischen, oft wahrhaft ergreifenden und
poetischen Ausdruck gegeben. Derselbe ethische Quell ist es, dem sein Optimis¬
mus entspringt, dieses praktisch so wichtige und unserer Zeit besonders von neuem
nahezulegende Stück der "Tagesansicht", dem die "Nachtansicht" den Pessimis¬
mus entgegensetzt. Der Optimismus fließt aus dem Vertrauen in Gottes, des
Allgeistes, alleinige Macht, welche die Macht seiner Liebe ist. Gott wäre nicht
Gott, wenn seine Macht nicht die entscheidende Macht wäre in der Welt.
Gottes Macht wird alles herrlich hinausführen. Dieser Glaube hat den Glauben
an die Fortdauer nach dem Tode zur unerläßlichen und unersetzlichen Be¬
dingung oder vielmehr Folge: wer an die Macht der Gottesliebe glaubt,
muß auch glauben, daß ihn nach dem Elend und Jammer dieser Welt ein
höherer Heilszustand erwartet, zu dessen Ermöglichung und Steigerung selbst
die Uebel und alles Böse haben dienen müssen. Gewisse Lieblingsgedanken über
das Jenseits, welche den Lesern Fechnerscher Schriften längst bekannt sind,
kehren hier in neuer Darstellung wieder.

Anhangsweise bespricht Fechner auch den Spiritismus, an dessen
möglichst unbefangener, experimenteller Untersuchung er in Gemeinschaft mit
Zöllner und Anderen namhaften Antheil genommen hat. Allzurasch hat Fechner
sich hier auf die spiritistische Hypothese eingelassen, daß bei gewissen über¬
raschenden und höchst ungewöhnlichen Thatsachen, die er selbst erlebte, die
Geister des Jenseits im Spiele seien. Auch bei Galvcmis Froschexperimenten
fehlte es einst an physikalischen Kategorien, um ihre unleugbaren Erfolge wissen¬
schaftlich auszudrücken; man trug diese also unter dem Titel "Galvanismus"
in die Lehrbücher ein, bis man später fand, daß ein besonderer Titel der Art
nicht nöthig war. Aber im Grunde sind auch "Magnetismus" und "Elektricität",
ja selbst "Gravitation", nur solche Titel, welche eine Gruppe beobachteter Phäno¬
mene bezeichnen, die aber nicht im mindesten erklärt, d. h. nicht im mindesten
in ihrer Möglichkeit und Nothwendigkeit begriffen sind, und deren "Gesetz¬
mäßigkeit" nur die Wiederkehr der gleichen für uns wunderbaren Erscheinungen
unter den gleichen Bedingungen bedeutet. Möge man denn auch, ohne Geister und
ohne vierte Dimension, Zöllners Beobachtungen vorläufig unter dem Namen
"Sladismus" oder "Zöllnerismus" in die Lehrbücher der Physik eintragen, nach¬
dem alles nicht hinreichend Beglaubigte und ohne genügende Cautelen gegen
versteckte Hilfsmittel Aufgenommene, sowie alles unter bisher schon recipirte
Capitel der Physik Subsumirbare daraus gestrichen sein wird.




principielles Hinderniß für die sonstige Besorgung seines eigenen Wohls, sofern
er dieses dem allgemeinen Wohle nur unterzuordnen und einzuordnen weiß.
Wir halten auch unsererseits diese Grundlage der Ethik für die einzig richtige
und wahrhaft christliche; Fechner hat ihr in seiner kleinen herrlichen Schrift
„Vom höchsten Gute" (1846) einen classischen, oft wahrhaft ergreifenden und
poetischen Ausdruck gegeben. Derselbe ethische Quell ist es, dem sein Optimis¬
mus entspringt, dieses praktisch so wichtige und unserer Zeit besonders von neuem
nahezulegende Stück der „Tagesansicht", dem die „Nachtansicht" den Pessimis¬
mus entgegensetzt. Der Optimismus fließt aus dem Vertrauen in Gottes, des
Allgeistes, alleinige Macht, welche die Macht seiner Liebe ist. Gott wäre nicht
Gott, wenn seine Macht nicht die entscheidende Macht wäre in der Welt.
Gottes Macht wird alles herrlich hinausführen. Dieser Glaube hat den Glauben
an die Fortdauer nach dem Tode zur unerläßlichen und unersetzlichen Be¬
dingung oder vielmehr Folge: wer an die Macht der Gottesliebe glaubt,
muß auch glauben, daß ihn nach dem Elend und Jammer dieser Welt ein
höherer Heilszustand erwartet, zu dessen Ermöglichung und Steigerung selbst
die Uebel und alles Böse haben dienen müssen. Gewisse Lieblingsgedanken über
das Jenseits, welche den Lesern Fechnerscher Schriften längst bekannt sind,
kehren hier in neuer Darstellung wieder.

Anhangsweise bespricht Fechner auch den Spiritismus, an dessen
möglichst unbefangener, experimenteller Untersuchung er in Gemeinschaft mit
Zöllner und Anderen namhaften Antheil genommen hat. Allzurasch hat Fechner
sich hier auf die spiritistische Hypothese eingelassen, daß bei gewissen über¬
raschenden und höchst ungewöhnlichen Thatsachen, die er selbst erlebte, die
Geister des Jenseits im Spiele seien. Auch bei Galvcmis Froschexperimenten
fehlte es einst an physikalischen Kategorien, um ihre unleugbaren Erfolge wissen¬
schaftlich auszudrücken; man trug diese also unter dem Titel „Galvanismus"
in die Lehrbücher ein, bis man später fand, daß ein besonderer Titel der Art
nicht nöthig war. Aber im Grunde sind auch „Magnetismus" und „Elektricität",
ja selbst „Gravitation", nur solche Titel, welche eine Gruppe beobachteter Phäno¬
mene bezeichnen, die aber nicht im mindesten erklärt, d. h. nicht im mindesten
in ihrer Möglichkeit und Nothwendigkeit begriffen sind, und deren „Gesetz¬
mäßigkeit" nur die Wiederkehr der gleichen für uns wunderbaren Erscheinungen
unter den gleichen Bedingungen bedeutet. Möge man denn auch, ohne Geister und
ohne vierte Dimension, Zöllners Beobachtungen vorläufig unter dem Namen
„Sladismus" oder „Zöllnerismus" in die Lehrbücher der Physik eintragen, nach¬
dem alles nicht hinreichend Beglaubigte und ohne genügende Cautelen gegen
versteckte Hilfsmittel Aufgenommene, sowie alles unter bisher schon recipirte
Capitel der Physik Subsumirbare daraus gestrichen sein wird.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/548>, abgerufen am 22.07.2024.