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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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zeigt. Wir lesen oft in den gegenwärtigen, wie in Fechners früheren Schriften:
Das Geistige ist das "innerlich Erscheinliche", das Materielle, das Körperliche,
das "äußerlich Erscheinliche". Es ist hierbei ausgegangen von dem menschlichen
Bewußtseinszustande. Wir unterscheiden unsere eigenen Gedanken, Gefühle, Wol¬
lungen von den sinnlichen Empfindungen und Vorstellungen dadurch, daß wir
die beiden letzteren für Boten einer Außenwelt ansehen, sür Erscheinungen, die
uns von außen kommen, jene ersteren Phänomene dagegen für Kundgebungen
des eigenen Wesens. Diese letzteren nennen wir das Geistige; wir geben diesen
Namen also dem, was uns von innen erscheint, dem "innerlich Erscheinlichen";
auch die sinnlichen Empfindungen und Vorstellungen zwar erscheinen uns nir¬
gend anders als in unserem Innern, aber sie find uns abgenöthigt, aufgezwungen,
wir erkennen ihre Herkunft als eine fremde. Das fremde Dasein nun eben,
von dem sie kommen, nennen wir materiell, lediglich um die Fremdheit, die
Aeußerlichkeit damit zu bezeichnen im Verhältniß zu unserem eigenen Geiste.
In diesen Begriff des Von-anßen-könnens, des "äußerlich Erscheinlichen" löst
Fechner den ganzen Begriff des Materiellen auf. Nur Geistwesen existiren, in
der Stufenfolge, die wir kennen gelernt haben, von ärmster, engster Innenwelt
bis hinaus zum weitesten, allumfassenden, göttlichen Bewußtsein. Diese Innen¬
welten sind aber für einander nicht völlig unzugänglich; vielmehr, je höher wir
emporsteigen auf dieser Wesenleiter, um so mehr sind die Wesen befähigt, in die
Innenwelt der niederen Geistwesen gleichsam hineinzuschauen, einen Theil ihrer
Anschauungen, Gefühle, Gedanken zu den ihrigen zu machen und so einen Aus¬
schnitt auch der höheren Bewußtsemswelten, zuletzt des göttlichen Gescmnntbe-
wußtseins, sür sich zu erobern, der die eigene Innenwelt weit überschreitet. Den
Antheil an der fremden Innenwelt aber, den jedes Wesen auf solche Weise
gewinnt, nennt es seine "Außenwelt", und deren'Dasein nennt es "sinnlich" oder
"körperlich", weil es den Complex seiner eigenen Beziehungen zur Außenwelt "Sinn¬
lichkeit" oder "Körper" zu nennen pflegt. In Wahrheit aber ist auch unser
eigener Leib mit all seinen Organen nichts anderes als ein System innerlicher
Functionen geistartiger Krastmittelpunkte. Die Erscheinung des Waltens dieser
Functionen nach außen, für Anderer Bewußtsein, wie auch für unser eigenes,
indem auch für uns selbst wieder unser Körper zum äußerlich auf uns wir¬
kenden Objecte werden kann, ist eben auch in jene Formen der Sinnlichkeit, des
sinnlichen Vorstellungsbildes, in die Formen des "äußerlich Erscheinlichen" gekleidet,
und darum nennen wir auch diese Functionen "körperlich" und nennen die Ge¬
sammtheit ihrer Träger einen "materiellen Leib".

Gott hat keine Außenwelt, nur Innenwelt. Ihm ist nichts "äußerlich er-
scheinlich", alles "innerlich erscheinlich". Für ihn giebt es sonach keine Materie,
sondern nur geistige, nnr Bewußtseinswelt. Aber wie? Sind nicht die ver-


zeigt. Wir lesen oft in den gegenwärtigen, wie in Fechners früheren Schriften:
Das Geistige ist das „innerlich Erscheinliche", das Materielle, das Körperliche,
das „äußerlich Erscheinliche". Es ist hierbei ausgegangen von dem menschlichen
Bewußtseinszustande. Wir unterscheiden unsere eigenen Gedanken, Gefühle, Wol¬
lungen von den sinnlichen Empfindungen und Vorstellungen dadurch, daß wir
die beiden letzteren für Boten einer Außenwelt ansehen, sür Erscheinungen, die
uns von außen kommen, jene ersteren Phänomene dagegen für Kundgebungen
des eigenen Wesens. Diese letzteren nennen wir das Geistige; wir geben diesen
Namen also dem, was uns von innen erscheint, dem „innerlich Erscheinlichen";
auch die sinnlichen Empfindungen und Vorstellungen zwar erscheinen uns nir¬
gend anders als in unserem Innern, aber sie find uns abgenöthigt, aufgezwungen,
wir erkennen ihre Herkunft als eine fremde. Das fremde Dasein nun eben,
von dem sie kommen, nennen wir materiell, lediglich um die Fremdheit, die
Aeußerlichkeit damit zu bezeichnen im Verhältniß zu unserem eigenen Geiste.
In diesen Begriff des Von-anßen-könnens, des „äußerlich Erscheinlichen" löst
Fechner den ganzen Begriff des Materiellen auf. Nur Geistwesen existiren, in
der Stufenfolge, die wir kennen gelernt haben, von ärmster, engster Innenwelt
bis hinaus zum weitesten, allumfassenden, göttlichen Bewußtsein. Diese Innen¬
welten sind aber für einander nicht völlig unzugänglich; vielmehr, je höher wir
emporsteigen auf dieser Wesenleiter, um so mehr sind die Wesen befähigt, in die
Innenwelt der niederen Geistwesen gleichsam hineinzuschauen, einen Theil ihrer
Anschauungen, Gefühle, Gedanken zu den ihrigen zu machen und so einen Aus¬
schnitt auch der höheren Bewußtsemswelten, zuletzt des göttlichen Gescmnntbe-
wußtseins, sür sich zu erobern, der die eigene Innenwelt weit überschreitet. Den
Antheil an der fremden Innenwelt aber, den jedes Wesen auf solche Weise
gewinnt, nennt es seine „Außenwelt", und deren'Dasein nennt es „sinnlich" oder
„körperlich", weil es den Complex seiner eigenen Beziehungen zur Außenwelt „Sinn¬
lichkeit" oder „Körper" zu nennen pflegt. In Wahrheit aber ist auch unser
eigener Leib mit all seinen Organen nichts anderes als ein System innerlicher
Functionen geistartiger Krastmittelpunkte. Die Erscheinung des Waltens dieser
Functionen nach außen, für Anderer Bewußtsein, wie auch für unser eigenes,
indem auch für uns selbst wieder unser Körper zum äußerlich auf uns wir¬
kenden Objecte werden kann, ist eben auch in jene Formen der Sinnlichkeit, des
sinnlichen Vorstellungsbildes, in die Formen des „äußerlich Erscheinlichen" gekleidet,
und darum nennen wir auch diese Functionen „körperlich" und nennen die Ge¬
sammtheit ihrer Träger einen „materiellen Leib".

Gott hat keine Außenwelt, nur Innenwelt. Ihm ist nichts „äußerlich er-
scheinlich", alles „innerlich erscheinlich". Für ihn giebt es sonach keine Materie,
sondern nur geistige, nnr Bewußtseinswelt. Aber wie? Sind nicht die ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/544>, abgerufen am 22.07.2024.