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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Abwägung aller Möglichkeiten, in der polemischen Verfolgung denkbarer und
und wirklich erhobener Einwände verräth überall den Vertreter exacter Wissen¬
schaft, als welcher unser Autor durch namhafte Leistungen, die uns hier nicht
beschäftigen, bekannt ist. Wenn zwischen diesen letzteren und den hier von uns
vorzüglich ins Auge gefaßten Arbeiten einige andere gleichsam die Brücke schlagen,
wie "Schleiden und der Mond" und die "Vorschule der Aesthetik", so sind es
vor allem "Zendavesta", "Nanna", die "Motive des Glaubens", die "Seelen¬
frage", die Schrift "Ueber das höchste Gut", das "Büchlein vom Leben nach
dem Tode", welche wir hier im Sinne haben. Diese Documente des Aufbaus
einer Gottes- und Weltanschauung, an welchem die Inspirationen eines indivi¬
duellen Gefühls- und Phantasiebedürfnisses nicht weniger Antheil haben als
die Untersuchungen des Physikers und die Erwägungen des reflectirenden Den¬
kers, thun eben deshalb das ganze Innere ihres Autors vor uns auf und
stellen uns unter die volle, ungebrochene Wirkung feines Genius. Niemand
wird verkennen, daß auch sein eigenes Herz, sein Glaube an einen besonderen
Lebensberuf, vor allem bei der Verkündigung jener fo aufgebauten Gottes- und
Weltanschauung ist.

Vielleicht daß in der Mischung dieses hohen und universellen Interesses mit
dein Gefühle der subjectiven Beschaffenheit und individuellen Eigenheit des
Erkenntnißquelles auch der tiefere Grund für die humoristische Färbung zu sehen
ist, die Fechners Darstellung gerade am leichtesten da gewinnt, wo er zugleich im
geheimsten Schreine seiner Seele ein tiefernstes Pathos beherbergt, das oft genug
die leichte Decke des Scherzes durchbricht. So, wenn er in Rückblicken auf sein
Lebe" Erfolge mustert und Mißerfolge beklagt; so, wenn er in gleichnißreicher
Rede Rechenschaft giebt über Eltern und Voreltern seiner Gedankenwelt, sich
selbst gleichsam einreihend in die Entwickelungsgeschichte des gottgetragenen
Menschengeistes; so, wenn er uns die Anlässe und zufälligen Anstöße innerer
Erleuchtung, plötzlicher Eingebung fruchtbarer Gedanken zu sympathischen Ein¬
gehen einladend erzählt. Allenthalben aber tritt neben die so augenscheinlich
persönlichen, gemüthvollen, poetischen Ausgangspunkte und ihre Geburten sogleich
mit unerbittlicher Verstandesstrenge ein richtender, sichtender, abwägender, allent¬
halben festen Grund fordernder Wahrheitssinn, der kein Vorurtheil duldet, jede
verdeckende Unbestimmtheit entlarvt, keine noch denkbare Möglichkeit unerwogeu
läßt, kein Bedenken gegen die eigenen Lieblingsgedanken ungehört verabschiedet.

Das jüngste uns vorliegende Werk Fechners bietet für diese Gattung seiner
Schriften, für die Verkündigung feines religiös-philosophischen Lehrgebäudes,
eine verkürzte und zusammenfassende Wiederholung und Ergänzung, in der uns
zunächst als leitendes Motiv ein Name entgegentritt, der den Inhalt in einem


Abwägung aller Möglichkeiten, in der polemischen Verfolgung denkbarer und
und wirklich erhobener Einwände verräth überall den Vertreter exacter Wissen¬
schaft, als welcher unser Autor durch namhafte Leistungen, die uns hier nicht
beschäftigen, bekannt ist. Wenn zwischen diesen letzteren und den hier von uns
vorzüglich ins Auge gefaßten Arbeiten einige andere gleichsam die Brücke schlagen,
wie „Schleiden und der Mond" und die „Vorschule der Aesthetik", so sind es
vor allem „Zendavesta", „Nanna", die „Motive des Glaubens", die „Seelen¬
frage", die Schrift „Ueber das höchste Gut", das „Büchlein vom Leben nach
dem Tode", welche wir hier im Sinne haben. Diese Documente des Aufbaus
einer Gottes- und Weltanschauung, an welchem die Inspirationen eines indivi¬
duellen Gefühls- und Phantasiebedürfnisses nicht weniger Antheil haben als
die Untersuchungen des Physikers und die Erwägungen des reflectirenden Den¬
kers, thun eben deshalb das ganze Innere ihres Autors vor uns auf und
stellen uns unter die volle, ungebrochene Wirkung feines Genius. Niemand
wird verkennen, daß auch sein eigenes Herz, sein Glaube an einen besonderen
Lebensberuf, vor allem bei der Verkündigung jener fo aufgebauten Gottes- und
Weltanschauung ist.

Vielleicht daß in der Mischung dieses hohen und universellen Interesses mit
dein Gefühle der subjectiven Beschaffenheit und individuellen Eigenheit des
Erkenntnißquelles auch der tiefere Grund für die humoristische Färbung zu sehen
ist, die Fechners Darstellung gerade am leichtesten da gewinnt, wo er zugleich im
geheimsten Schreine seiner Seele ein tiefernstes Pathos beherbergt, das oft genug
die leichte Decke des Scherzes durchbricht. So, wenn er in Rückblicken auf sein
Lebe» Erfolge mustert und Mißerfolge beklagt; so, wenn er in gleichnißreicher
Rede Rechenschaft giebt über Eltern und Voreltern seiner Gedankenwelt, sich
selbst gleichsam einreihend in die Entwickelungsgeschichte des gottgetragenen
Menschengeistes; so, wenn er uns die Anlässe und zufälligen Anstöße innerer
Erleuchtung, plötzlicher Eingebung fruchtbarer Gedanken zu sympathischen Ein¬
gehen einladend erzählt. Allenthalben aber tritt neben die so augenscheinlich
persönlichen, gemüthvollen, poetischen Ausgangspunkte und ihre Geburten sogleich
mit unerbittlicher Verstandesstrenge ein richtender, sichtender, abwägender, allent¬
halben festen Grund fordernder Wahrheitssinn, der kein Vorurtheil duldet, jede
verdeckende Unbestimmtheit entlarvt, keine noch denkbare Möglichkeit unerwogeu
läßt, kein Bedenken gegen die eigenen Lieblingsgedanken ungehört verabschiedet.

Das jüngste uns vorliegende Werk Fechners bietet für diese Gattung seiner
Schriften, für die Verkündigung feines religiös-philosophischen Lehrgebäudes,
eine verkürzte und zusammenfassende Wiederholung und Ergänzung, in der uns
zunächst als leitendes Motiv ein Name entgegentritt, der den Inhalt in einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/535>, abgerufen am 22.07.2024.