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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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ganze parlamentarische Geschichte Deutschlands zurückblicken und auf die Einzeln-
heiten derselben eingehen zu können. Nur kurz sei aus älterer Zeit daran
erinnert, daß wir es dem Kanzler und ihm allein gutzuschreiben haben, wenn
die Deutschen eine solche Geschichte überhaupt erlebten. Im Uebrigen beschränken
wir uns auf diejenigen von seinen Leistungen hinsichtlich der inneren Angelegen¬
heiten Preußens und des Reiches, die dem letzten Jahrzehnt angehören, und da
fragen wir zunächst: Wer hat denn die Maigesetze angeregt, die man jetzt wie
ein Palladium hoch hält? Wer hat sie dem Minister Falk abgewonnen, der
eine Fülle juristischer Bedenken dagegen hatte, aus der Verfassung die Artikel
zu entfernen, welche den Bestrebungen der Ultramontanen zum Anhalte und
Schilde dienten? Falk fügte sich nur nach langem Widerstande dem entschiedenen
Willen des Kanzlers, und wir wissen aus guter Quelle, daß er als decretireuder
und verwaltender Minister keineswegs so schneidig gegen die clericalen Mi߬
bräuche vorgegangen ist wie als Kammerredner.

Wer hat serner die Verstaatlichung der Eisenbahnen ins Auge gefaßt und
gegen den Wunsch und Willen seines Amtsgenossen Camphausen, der sich nach
Kräften gegen die Maßregel sträubte und sie geraume Zeit zu verhindern oder
hinauszuschieben versuchte, schließlich zu Stande gebracht? Wer anders als der
Fürst Bismarck? Und ist das Werk etwa übel ausgefallen? Keineswegs; schon
jetzt wird gutes Geld damit verdient für den Staat, und wenn wir kein Deficit
zu beklagen haben, so wird uns der Minister Maybach erzählen können, woher
die Deckung kam.

Vergessen haben die Herren, "welche die Ausbildung und Befestigung des
Reiches im Wege constitutioneller Staatseinrichtungen erstreben," daß der Reichs¬
kanzler es war, der das Militärseptennat zweimal durch geschickte Vermittlung
durchgesetzt und so einem schweren Conflict zwischen der Krone und dem Reichs¬
tage, der bereits drohte, vorgebeugt hat. Die Krone verlangte ein eisernes Mili¬
tärbudget, um den Streit ein für alle Mal loszuwerden und Frieden zu haben,
der Reichstag hielt sein verfassungsmäßiges Bewilligungsrecht fest. Das erste
wie das zweite Mal schien ein Conflict unausbleiblich, als der Reichskanzler
einen Ausweg fand und betrat, das letzte Mal durch Verstärkung der Armee,
die dort als Aequivalent befriedigte, hier annehmbarer gefunden wurde als ein
Verzicht auf das Recht, das die Verfassung verlieh.

Nur kurz erwähnen wir der Verdienste des Kanzlers um das Zustande¬
kommen des Socialistengesetzes und die Ueberwindung der Schwierigkeiten, die
demselben auch von liberaler Seite in den Weg gelegt wurden. Sein Haupt¬
verdienst auf dem Gebiete der inneren Politik ist und bleibt die von ihm er¬
dachte und mit dem Aufgebot aller seiner Energie gegen allerlei Gegner zur
Geltung gebrachte neue Zollpolitik, eine Reform, bei der er nicht nur mit den


ganze parlamentarische Geschichte Deutschlands zurückblicken und auf die Einzeln-
heiten derselben eingehen zu können. Nur kurz sei aus älterer Zeit daran
erinnert, daß wir es dem Kanzler und ihm allein gutzuschreiben haben, wenn
die Deutschen eine solche Geschichte überhaupt erlebten. Im Uebrigen beschränken
wir uns auf diejenigen von seinen Leistungen hinsichtlich der inneren Angelegen¬
heiten Preußens und des Reiches, die dem letzten Jahrzehnt angehören, und da
fragen wir zunächst: Wer hat denn die Maigesetze angeregt, die man jetzt wie
ein Palladium hoch hält? Wer hat sie dem Minister Falk abgewonnen, der
eine Fülle juristischer Bedenken dagegen hatte, aus der Verfassung die Artikel
zu entfernen, welche den Bestrebungen der Ultramontanen zum Anhalte und
Schilde dienten? Falk fügte sich nur nach langem Widerstande dem entschiedenen
Willen des Kanzlers, und wir wissen aus guter Quelle, daß er als decretireuder
und verwaltender Minister keineswegs so schneidig gegen die clericalen Mi߬
bräuche vorgegangen ist wie als Kammerredner.

Wer hat serner die Verstaatlichung der Eisenbahnen ins Auge gefaßt und
gegen den Wunsch und Willen seines Amtsgenossen Camphausen, der sich nach
Kräften gegen die Maßregel sträubte und sie geraume Zeit zu verhindern oder
hinauszuschieben versuchte, schließlich zu Stande gebracht? Wer anders als der
Fürst Bismarck? Und ist das Werk etwa übel ausgefallen? Keineswegs; schon
jetzt wird gutes Geld damit verdient für den Staat, und wenn wir kein Deficit
zu beklagen haben, so wird uns der Minister Maybach erzählen können, woher
die Deckung kam.

Vergessen haben die Herren, „welche die Ausbildung und Befestigung des
Reiches im Wege constitutioneller Staatseinrichtungen erstreben," daß der Reichs¬
kanzler es war, der das Militärseptennat zweimal durch geschickte Vermittlung
durchgesetzt und so einem schweren Conflict zwischen der Krone und dem Reichs¬
tage, der bereits drohte, vorgebeugt hat. Die Krone verlangte ein eisernes Mili¬
tärbudget, um den Streit ein für alle Mal loszuwerden und Frieden zu haben,
der Reichstag hielt sein verfassungsmäßiges Bewilligungsrecht fest. Das erste
wie das zweite Mal schien ein Conflict unausbleiblich, als der Reichskanzler
einen Ausweg fand und betrat, das letzte Mal durch Verstärkung der Armee,
die dort als Aequivalent befriedigte, hier annehmbarer gefunden wurde als ein
Verzicht auf das Recht, das die Verfassung verlieh.

Nur kurz erwähnen wir der Verdienste des Kanzlers um das Zustande¬
kommen des Socialistengesetzes und die Ueberwindung der Schwierigkeiten, die
demselben auch von liberaler Seite in den Weg gelegt wurden. Sein Haupt¬
verdienst auf dem Gebiete der inneren Politik ist und bleibt die von ihm er¬
dachte und mit dem Aufgebot aller seiner Energie gegen allerlei Gegner zur
Geltung gebrachte neue Zollpolitik, eine Reform, bei der er nicht nur mit den


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[0528] ganze parlamentarische Geschichte Deutschlands zurückblicken und auf die Einzeln- heiten derselben eingehen zu können. Nur kurz sei aus älterer Zeit daran erinnert, daß wir es dem Kanzler und ihm allein gutzuschreiben haben, wenn die Deutschen eine solche Geschichte überhaupt erlebten. Im Uebrigen beschränken wir uns auf diejenigen von seinen Leistungen hinsichtlich der inneren Angelegen¬ heiten Preußens und des Reiches, die dem letzten Jahrzehnt angehören, und da fragen wir zunächst: Wer hat denn die Maigesetze angeregt, die man jetzt wie ein Palladium hoch hält? Wer hat sie dem Minister Falk abgewonnen, der eine Fülle juristischer Bedenken dagegen hatte, aus der Verfassung die Artikel zu entfernen, welche den Bestrebungen der Ultramontanen zum Anhalte und Schilde dienten? Falk fügte sich nur nach langem Widerstande dem entschiedenen Willen des Kanzlers, und wir wissen aus guter Quelle, daß er als decretireuder und verwaltender Minister keineswegs so schneidig gegen die clericalen Mi߬ bräuche vorgegangen ist wie als Kammerredner. Wer hat serner die Verstaatlichung der Eisenbahnen ins Auge gefaßt und gegen den Wunsch und Willen seines Amtsgenossen Camphausen, der sich nach Kräften gegen die Maßregel sträubte und sie geraume Zeit zu verhindern oder hinauszuschieben versuchte, schließlich zu Stande gebracht? Wer anders als der Fürst Bismarck? Und ist das Werk etwa übel ausgefallen? Keineswegs; schon jetzt wird gutes Geld damit verdient für den Staat, und wenn wir kein Deficit zu beklagen haben, so wird uns der Minister Maybach erzählen können, woher die Deckung kam. Vergessen haben die Herren, „welche die Ausbildung und Befestigung des Reiches im Wege constitutioneller Staatseinrichtungen erstreben," daß der Reichs¬ kanzler es war, der das Militärseptennat zweimal durch geschickte Vermittlung durchgesetzt und so einem schweren Conflict zwischen der Krone und dem Reichs¬ tage, der bereits drohte, vorgebeugt hat. Die Krone verlangte ein eisernes Mili¬ tärbudget, um den Streit ein für alle Mal loszuwerden und Frieden zu haben, der Reichstag hielt sein verfassungsmäßiges Bewilligungsrecht fest. Das erste wie das zweite Mal schien ein Conflict unausbleiblich, als der Reichskanzler einen Ausweg fand und betrat, das letzte Mal durch Verstärkung der Armee, die dort als Aequivalent befriedigte, hier annehmbarer gefunden wurde als ein Verzicht auf das Recht, das die Verfassung verlieh. Nur kurz erwähnen wir der Verdienste des Kanzlers um das Zustande¬ kommen des Socialistengesetzes und die Ueberwindung der Schwierigkeiten, die demselben auch von liberaler Seite in den Weg gelegt wurden. Sein Haupt¬ verdienst auf dem Gebiete der inneren Politik ist und bleibt die von ihm er¬ dachte und mit dem Aufgebot aller seiner Energie gegen allerlei Gegner zur Geltung gebrachte neue Zollpolitik, eine Reform, bei der er nicht nur mit den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/528>, abgerufen am 22.07.2024.