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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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oder Sommer, um vier Uhr Morgens aufstehen mußten, so wird man an die
Gewohnheiten der spartanischen Zuchtmeister erinnert. Es ist übrigens merk¬
würdig, daß die geistige Entwicklung Lessings in der ersten Zeit sehr langsam
von Statten ging. Im vierten Jahre begann er erst zu sprechen, und als der
Schulunterricht seinen Anfang nahm, hatte der Vater, welcher die Erziehung
seiner Kinder in allen Punkten selbst leitete, seine liebe Noth. Oft riß ihm die
Geduld, und er warf, wie er in seinen Aufzeichnungen schreibt, den Jungen zur
Thür hinaus und seine Bücher hinterdrein. Nur im Zeichnen that er es allen
seinen Mitschülern zuvor. Jnstinctmcißig entwickelte sich dieser Trieb in ihm,
und schon mit sieben Jahren setzte er seinem Lehrer durch seine Fertigkeit in
Erstaunen. Der Vater that zwar alles, um diese Fähigkeit seines Sohnes zu
voller Entwicklung zu bringen, doch traute er ihm das Zeug zu einem Künstler
nicht zu, weil sich der Knabe, vielleicht durch die strenge Zucht des Vaters ge¬
hemmt, nur einen sehr geringen Grad von Selbständigkeit angeeignet hatte. Er
wurde deshalb für das Baufach bestimmt, dessen Studium er nach Absolvirung
des Gymnasiums in Breslau an der Berliner Bauakademie begann. Auch der
Aufenthalt in Breslau ist von Einfluß auf die spätere künstlerische Thätigkeit,
des leicht empfänglichen Lessing geworden. Er wohnte mit seinem Bruder bei
einer Tante, deren Gatte ein eifriger Mineralog war. Die Knaben begleiteten
ihn auf seinen oft ziemlich weit ausgedehnten Excursionen und wurden so prak¬
tisch in die Gesteinslehre eingeweiht. Diese in seiner Jugend gesammelten Kennt¬
nisse hat der Maler später auf seinen Landschaften verwerthet. Seine Darstel¬
lung von Felsformationen -- wir erinnern besonders an die Eifellandschaften
und an die "Schützen in? Engpaß" in der Berliner Nationalgalerie -- war so
exact und naturgetreu, daß sie selbst vor den strengsten Untersuchungen der
Mineralogen Stand hielt. In Breslau genoß er auch weiteren Unterricht im
Zeichnen bei dem Maler König. Wir können diese kurze Schilderung seiner
Knabenjahre nicht besser schließen als mit dem ehrenvollen Zeugniß, welches
ihm der strenge Vater in seinen Aufzeichnungen ausgestellt hat. "Ich habe,"
sagt derselbe, "nie mit Erscheinungen von Jugendfehlern oder Ausgelassenheiten
irgend einer Art an ihm zu kämpfen gehabt, nie hat er mir eine andere kum¬
mervolle Stunde im Leben gemacht, als die der Trennung von ihm. Denn daß
ein Stein eine andere Form hat, als ich wünsche, kann mir zwar Anstrengung
und Aerger, wenn ich ihn anders formen will, erregen, allein ich kann auf den
Stein nicht zürnen. Daß er hart ist und meinem Meißel reagirt, bringt seine
Natur mit sich."

Der unmittelbaren Controle seines Vaters entrückt, widmete sich Lessing in
Berlin mit verdoppeltem Eifer dein Zeichnen und Malen. Der Entschluß, Maler
zu werde", stand bei ihm fest. Er verwendete den größten Theil seiner Zeit


Grenzboten II. 1880. 65

oder Sommer, um vier Uhr Morgens aufstehen mußten, so wird man an die
Gewohnheiten der spartanischen Zuchtmeister erinnert. Es ist übrigens merk¬
würdig, daß die geistige Entwicklung Lessings in der ersten Zeit sehr langsam
von Statten ging. Im vierten Jahre begann er erst zu sprechen, und als der
Schulunterricht seinen Anfang nahm, hatte der Vater, welcher die Erziehung
seiner Kinder in allen Punkten selbst leitete, seine liebe Noth. Oft riß ihm die
Geduld, und er warf, wie er in seinen Aufzeichnungen schreibt, den Jungen zur
Thür hinaus und seine Bücher hinterdrein. Nur im Zeichnen that er es allen
seinen Mitschülern zuvor. Jnstinctmcißig entwickelte sich dieser Trieb in ihm,
und schon mit sieben Jahren setzte er seinem Lehrer durch seine Fertigkeit in
Erstaunen. Der Vater that zwar alles, um diese Fähigkeit seines Sohnes zu
voller Entwicklung zu bringen, doch traute er ihm das Zeug zu einem Künstler
nicht zu, weil sich der Knabe, vielleicht durch die strenge Zucht des Vaters ge¬
hemmt, nur einen sehr geringen Grad von Selbständigkeit angeeignet hatte. Er
wurde deshalb für das Baufach bestimmt, dessen Studium er nach Absolvirung
des Gymnasiums in Breslau an der Berliner Bauakademie begann. Auch der
Aufenthalt in Breslau ist von Einfluß auf die spätere künstlerische Thätigkeit,
des leicht empfänglichen Lessing geworden. Er wohnte mit seinem Bruder bei
einer Tante, deren Gatte ein eifriger Mineralog war. Die Knaben begleiteten
ihn auf seinen oft ziemlich weit ausgedehnten Excursionen und wurden so prak¬
tisch in die Gesteinslehre eingeweiht. Diese in seiner Jugend gesammelten Kennt¬
nisse hat der Maler später auf seinen Landschaften verwerthet. Seine Darstel¬
lung von Felsformationen — wir erinnern besonders an die Eifellandschaften
und an die „Schützen in? Engpaß" in der Berliner Nationalgalerie — war so
exact und naturgetreu, daß sie selbst vor den strengsten Untersuchungen der
Mineralogen Stand hielt. In Breslau genoß er auch weiteren Unterricht im
Zeichnen bei dem Maler König. Wir können diese kurze Schilderung seiner
Knabenjahre nicht besser schließen als mit dem ehrenvollen Zeugniß, welches
ihm der strenge Vater in seinen Aufzeichnungen ausgestellt hat. „Ich habe,"
sagt derselbe, „nie mit Erscheinungen von Jugendfehlern oder Ausgelassenheiten
irgend einer Art an ihm zu kämpfen gehabt, nie hat er mir eine andere kum¬
mervolle Stunde im Leben gemacht, als die der Trennung von ihm. Denn daß
ein Stein eine andere Form hat, als ich wünsche, kann mir zwar Anstrengung
und Aerger, wenn ich ihn anders formen will, erregen, allein ich kann auf den
Stein nicht zürnen. Daß er hart ist und meinem Meißel reagirt, bringt seine
Natur mit sich."

Der unmittelbaren Controle seines Vaters entrückt, widmete sich Lessing in
Berlin mit verdoppeltem Eifer dein Zeichnen und Malen. Der Entschluß, Maler
zu werde», stand bei ihm fest. Er verwendete den größten Theil seiner Zeit


Grenzboten II. 1880. 65
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[0513] oder Sommer, um vier Uhr Morgens aufstehen mußten, so wird man an die Gewohnheiten der spartanischen Zuchtmeister erinnert. Es ist übrigens merk¬ würdig, daß die geistige Entwicklung Lessings in der ersten Zeit sehr langsam von Statten ging. Im vierten Jahre begann er erst zu sprechen, und als der Schulunterricht seinen Anfang nahm, hatte der Vater, welcher die Erziehung seiner Kinder in allen Punkten selbst leitete, seine liebe Noth. Oft riß ihm die Geduld, und er warf, wie er in seinen Aufzeichnungen schreibt, den Jungen zur Thür hinaus und seine Bücher hinterdrein. Nur im Zeichnen that er es allen seinen Mitschülern zuvor. Jnstinctmcißig entwickelte sich dieser Trieb in ihm, und schon mit sieben Jahren setzte er seinem Lehrer durch seine Fertigkeit in Erstaunen. Der Vater that zwar alles, um diese Fähigkeit seines Sohnes zu voller Entwicklung zu bringen, doch traute er ihm das Zeug zu einem Künstler nicht zu, weil sich der Knabe, vielleicht durch die strenge Zucht des Vaters ge¬ hemmt, nur einen sehr geringen Grad von Selbständigkeit angeeignet hatte. Er wurde deshalb für das Baufach bestimmt, dessen Studium er nach Absolvirung des Gymnasiums in Breslau an der Berliner Bauakademie begann. Auch der Aufenthalt in Breslau ist von Einfluß auf die spätere künstlerische Thätigkeit, des leicht empfänglichen Lessing geworden. Er wohnte mit seinem Bruder bei einer Tante, deren Gatte ein eifriger Mineralog war. Die Knaben begleiteten ihn auf seinen oft ziemlich weit ausgedehnten Excursionen und wurden so prak¬ tisch in die Gesteinslehre eingeweiht. Diese in seiner Jugend gesammelten Kennt¬ nisse hat der Maler später auf seinen Landschaften verwerthet. Seine Darstel¬ lung von Felsformationen — wir erinnern besonders an die Eifellandschaften und an die „Schützen in? Engpaß" in der Berliner Nationalgalerie — war so exact und naturgetreu, daß sie selbst vor den strengsten Untersuchungen der Mineralogen Stand hielt. In Breslau genoß er auch weiteren Unterricht im Zeichnen bei dem Maler König. Wir können diese kurze Schilderung seiner Knabenjahre nicht besser schließen als mit dem ehrenvollen Zeugniß, welches ihm der strenge Vater in seinen Aufzeichnungen ausgestellt hat. „Ich habe," sagt derselbe, „nie mit Erscheinungen von Jugendfehlern oder Ausgelassenheiten irgend einer Art an ihm zu kämpfen gehabt, nie hat er mir eine andere kum¬ mervolle Stunde im Leben gemacht, als die der Trennung von ihm. Denn daß ein Stein eine andere Form hat, als ich wünsche, kann mir zwar Anstrengung und Aerger, wenn ich ihn anders formen will, erregen, allein ich kann auf den Stein nicht zürnen. Daß er hart ist und meinem Meißel reagirt, bringt seine Natur mit sich." Der unmittelbaren Controle seines Vaters entrückt, widmete sich Lessing in Berlin mit verdoppeltem Eifer dein Zeichnen und Malen. Der Entschluß, Maler zu werde», stand bei ihm fest. Er verwendete den größten Theil seiner Zeit Grenzboten II. 1880. 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/513>, abgerufen am 22.07.2024.